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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Journalismus und Pornografie? "Ich arbeite für eine Erotikfirma"
Seit Neuestem moderiert Reporterin Carolin von der Groeben für eine Erotikfirma. Aber wie passen seriöser Journalismus und Pornografie zusammen?
Sie ist die Tochter der RTL-Sportmoderatorin Ulrike von der Groeben und kennt das Mediengeschäft gut. Denn Carolin von der Groeben machte sich über die Arbeit beim öffentlich-rechtlichen Format Y-Kollektiv einen Namen. Sie berichtete 2021 eine Woche nach der Flutkatastrophe vor Ort aus Ahrweiler oder traf Menschen, die aus Einsamkeit ihr Leben dauerhaft ins Internet verlagern.
Ihr bisher ungewöhnlichster Job startete jedoch vor einigen Monaten bei der Berliner Erotikfirma Ersties. Im Interview mit t-online erzählt die 27-Jährige, warum man für Sexfilme eine Moderatorin braucht und was ethische Pornografie bedeutet.
t-online: Seriöser Journalismus und Pornos moderieren – geht das denn zusammen?
Carolin von der Groeben: Auf den ersten Blick: nein. Ein Großteil der Pornoindustrie ist weiterhin ausbeuterisch. Als Journalist sollte man sich dazu natürlich nicht undifferenziert äußern. Auch im Ersties-Team gibt es noch viele Baustellen – aber der interne Diskurs wird bei einer ethisch geführten Pornofirma mit feministischem Unterton viel offener geführt. Ich als seriöse Journalistin kann mit diesem Gelegenheitsjob meinen Beitrag dazu leisten, diese Diskussionen stärker ins Scheinwerferlicht zu holen und auch mehr Transparenz zu fördern. Mit dem Risiko, dass potenzielle Arbeitgeber oder Partner das nicht gut finden, muss ich ab jetzt leben.
Ethische Pornografie – was darf man darunter genau verstehen?
Ethische Pornografie hat viele Facetten: Frauen und Männer werden gleich bezahlt. Zudem gibt es keinen Aufpreis für besondere Praktiken. Wenn jemand Lust hat, vor der Ersties-Kamera Analsex zu haben, dann weil die Person darauf steht. Und nicht, weil sie die 100 Euro mehr dringend benötigt. Bei Ersties wird nicht verschleiert, dass Pornos auch Lohnerwerb sein können – trotzdem wird viel Fokus auf echte weibliche Lust und echte Orgasmen gelegt.
Aber wozu braucht es im Bereich der Pornografie überhaupt eine Moderatorin?
Ersties ist eine Plattform, die sich vor allem an Frauen richtet. Diese Zielgruppe schätzt Inhalte, durch die man die Darsteller vor dem pornografischen Shoot ein bisschen kennenlernen kann. Zu diesem Zweck gibt es mit jeder Ersties-Performerin ein Interview und "Hinter den Kulissen"-Material. So erfährt man, was die Frauen und manchmal auch Männer sonst in ihrem Leben machen. Oder man sieht, wie sich alle Mitarbeitenden an einem Pornoset auf den Dreh vorbereiten. Mein Job bei Ersties ist es, einige dieser Gespräche zu führen.
Und wie sind Sie an diesen Job gekommen, der sich ja doch von Ihren übrigen Tätigkeiten bei Funk und Fernsehen, als Reporterin oder als Podcasterin unterscheidet.
Ich habe eine der Produzentinnen auf einer Berliner Party kennengelernt. Wir haben uns super verstanden und irgendwann hat sie mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, vor der Ersties-Kamera Sex zu haben. Das war nichts für mich – aber die Option, dort zu moderieren und echten Sexarbeiterinnen ehrliche Fragen zu stellen, hat mich durchaus neugierig gemacht. Vor dem ersten Dreh führten wir noch ein ernstes Gespräch. Amelie, die Produzentin, hat mir klargemacht: Auch wenn du keinen Sex vor der Kamera hast, bringst du dich in Verbindung mit einer Erotikfirma – und damit auch mit dem sozialen Stigma, welches immer noch auf Frauen lastet, die mit der Branche verbunden sind.
Den verspielten und emanzipierten Ansatz der verschiedenen Formate finde ich unterstützenswert.
Carolin von der Groeben zu t-online
Haben Ihnen Menschen in Ihrem Umfeld davon abgeraten, diesen Schritt zu gehen?
Ich habe ehrlich gesagt niemanden um Erlaubnis gefragt. Meine Familie, Freunde und Kollegen wissen, dass ich oft eine Faszination für Themen entwickle, bei denen sie vielleicht sagen: Ach, da möchte ich gar nicht so viel darüber wissen.
Sie haben jetzt schon einige Punkte genannt, die Ersties ausmachen. Warum ist es Ihnen denn sonst noch so wichtig, gerade diesem Projekt Ihre Stimme zu leihen?
Den verspielten und emanzipierten Ansatz der verschiedenen Formate finde ich unterstützenswert. Es gibt zum Beispiel eine Serie, bei der Performerinnen eine sexuelle Fantasie an die Redaktion herantragen und dann verfilmen dürfen.
Sie sind jetzt seit einigen Monaten bei Ersties dabei. An welches Projekt erinnern Sie sich besonders gern in diesem Zusammenhang?
Kürzlich habe ich einen aufwendigen Toyboydreh moderiert: einen Gruppensexporno, der wie eine Castingshow aufgezogen ist. Acht Männer stellen sich bei diesem Erotik-DSDS einer anspruchsvollen Jury von drei Damen. Die drei dürfen entscheiden, mit welchem der Männer sie am Ende schlafen, basierend auf kleinen Vorführungen und Fragerunden mit den Kandidaten. Wie es sich für eine echte Castingshow gehört, ist eben auch eine Moderatorin dabei – in diesem Fall ich. Es war ein bunter Zirkus und ein großer Spaß.
Ersties stellt sich bei Instagram unter anderem mit der Beschreibung "von Frauen gedrehte Amateurfilme" vor. Wie sieht es an einem frauengeführten Pornoset aus?
Ich kenne nur diese eine Produktionsfirma im Erotikbereich. Dort konnte ich beobachten, dass zum Thema Technik zum Beispiel viele Posten vorhanden sind, die es auch beim Film gibt: Licht, Ton, Kamera, Make-up, Catering. Allerdings arbeiten bei Ersties in diesen Positionen nur Frauen am Set. Kamerafrau Karyn zum Beispiel achtet immer sehr auf "Consent Coaching". Das bedeutet, dass in langen Gesprächen vor dem Dreh die No-Gos und Grenzen der Performerinnen besprochen werden und deutlich gemacht wird, dass jederzeit abgebrochen werden kann.
Mir fehlt eine generelle Empörung und ich habe wenig Berührungsängste.
Carolin von der Groeben zu t-online
Wie stehen Sie generell zu Pornografie?
Für mich war das als Jugendliche nie ein großes Thema. Ich konsumiere privat eher keine Pornos, hatte aber auch nie besonders negative Emotionen gegenüber der Branche und den freiwilligen Sexarbeiterinnen. Als Erwachsene hat es sich dann in meiner Persönlichkeit gezeigt, dass ich mich für Lebensbereiche begeistere, die so ein bisschen abseits sind. Deshalb bin ich vielleicht auch Journalistin geworden. Mir fehlt eine generelle Empörung und ich habe wenig Berührungsängste.
Dank weniger Berührungsängste knüpfen Sie sich auch Themen vor, die polarisieren. Bei welchem Projekt haben Sie als Journalistin besonders viel Gegenwind gespürt?
Vor Kurzem habe ich eine Reportage über Alkoholkonsum gemacht: ein Selbsttest, 30 Tage ohne Alkohol. Die Kommentare, denen ich danach auf meinen Social-Media-Kanälen ausgesetzt war, erklären, warum viele journalistische Kollegen so intensiv darauf achten, mit ihrer Arbeit möglichst nicht anzuecken. Aber so ein Vorgehen würde einen Teil meiner Identität eliminieren. Denn auch wenn Kritik wehtut, und ich lese wirklich jeden einzelnen Kommentar, kann es auch produktiv sein zu merken, dass ein Thema die Zuschauer wirklich wütend macht. Dadurch kommt man ins Gespräch.
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Sie lesen wirklich jeden einzelnen Kommentar? Welcher ist Ihnen aus den letzten Tagen besonders in Erinnerung geblieben?
Der ging ungefähr so: "Deine Mutter tut mir jetzt schon leid, dass sie irgendwann dein Blut von den Händen wischen muss." Der kam in dem Kontext, dass ich alkoholkrank und deswegen automatisch selbstmordgefährdet sei. Ich bin schon gespannt, wie die Reaktionen auf diesen Artikel sind. Bei all dem Ärger: Auf der anderen Seite ist es auch ein kleines Schulterklopfen, wenn die Leute so emotionalisiert werden, dass sie sich aufregen.
Kürzlich berichtete t-online über Sexismus in der Werbung: Am Berliner Alexanderplatz wollte ein Start-up seine Erotikaudios bewerben. Die zunächst geplanten Motive wurden verboten: du freizügig. Ein Plakat nebendran, das zwei oberkörperfreie Männer zeigte, die sich in die Hose fassen, wurde aber zugelassen. Welche Blockaden erleben Sie als Frau, wenn es um weibliche Lust geht?
Wer Pornos schauen will, soll auch die Möglichkeit haben, sich für ethische Pornos zu entscheiden. Diese Fair-Trade-Erotika sind aus meiner Perspektive ein Schritt hin zur Anerkennung und Sichtbarkeit von Sexarbeiterinnen. Man wird aber nie erleben, dass ich eine Kampagne unterstützen will, die Frauen dazu auffordert, Pornografie zu konsumieren, obwohl sie das gar nicht reizt. Natürlich ist eine befreite weibliche Lust nicht nur an feministische Pornografie, sondern an viele gesellschaftliche Prozesse gebunden.
- Persönliches Interview mit Carolin von der Groeben
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