Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die 96. Oscars Plötzlich wurde es richtig unangenehm
Die 96. Oscarverleihung war eine von der Sorte, die schnell in Vergessenheit geraten wird. Ausgerechnet ein 83-jähriger Altmeister geriet dabei zum traurigen Symbol.
Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. So oder so ähnlich ließe sich die 96. Ausgabe der Academy Awards zusammenfassen. Überraschungen gab es an diesem Abend jedenfalls keine. Wer eine Liste mit den Vorhersagen der Buchmacher mit sich trug, dürfte bei 22 von 23 Fällen richtig gelegen haben. Doch die Gala aus dem Dolby Theatre in Los Angeles war nicht nur vorhersehbar, sie blieb auch weitgehend blass.
Jimmy Kimmel führte durch den Abend wie ein Zirkusdirektor beim x-ten Stopp irgendwo im Nirgendwo: ohne Ausrutscher, aber eben auch ohne Aufsehenerregendes. Der Film "Oppenheimer" wurde wie erwartet zum Abräumer, gewann 7 von 13 möglichen Goldjungen. Es gab Nazi-Witze über die Deutschen, Sprüche über Ryan Goslings Schönheit und dezente, schon fast zurückhaltende politische Statements. Lediglich bei der Auszeichnung für Emma Stone als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in "Poor Things" ging kurz ein erstauntes Raunen durch das Publikum im Saal.
Unangenehme Erinnerungen an das Jahr 2017
Beobachter waren davon ausgegangen, Lily Gladstone würde als erste indigene US-Amerikanerin für ihr Schauspiel in "Killers of the Flower Moon" prämiert, doch diese historische Chance verpasste die Academy. So wie sie es in diesem Jahr generell vermissen ließ, aus der international viel beachteten Preisverleihung ein Fest der Diversität und des Aufbruchs zu machen. Es war eine Wiederauferstehung des eigentlich längst überwunden geglaubten "Oscars so white"-Phänomens, als die Kritik, die Academy bevorzuge Weiße, über Jahre immer größer wurde.
Was für eine Ironie des Schicksals, als dann auch noch die Rede eines 83-jährigen, weißen Altmeisters zur Farce geriet: Dabei war sie als krönender Abschluss gedacht.
Bester Film … ähm, dafür muss ich in den Umschlag greifen und das werde ich.
Al Pacino
Schauspieler Al Pacino war es, der bei den 96. Oscars die Filmtrophäe für das beste Gesamtwerk ansagen sollte. Der einst gefeierte und inzwischen nur noch selten vor der Kamera aktive Star aus Klassikern des Films wie "Heat" oder "Der Pate" wirkte etwas tattrig, wie er da die Bühne betrat und zum Mikrofon schlurfte. Doch so richtig unangenehm wurde es erst, als er mit seiner Rede begann. "Bester Film … ähm, dafür muss ich in den Umschlag greifen und das werde ich", stotterte er vor sich hin und weckte damit unheilvolle Erinnerungen an das Jahr 2017, als Warren Beatty und Faye Dunaway aus Versehen "La La Land" zum besten Film machten, obwohl "Moonlight" den Preis gewonnen hatte.
- "Nicht angemessen": Nazi-Witz über Sandra Hüller löst Irritation aus
Ganz so schlimm kam es nicht. Al Pacino kündigte in einer konfusen Satzkonstruktion an: "Hier kommt es – und meine Augen sehen 'Oppenheimer'." Das Publikum reagierte verhalten, die Musik setzte leicht versetzt ein, alles machte einen sehr verunglückten Eindruck. "Ja, ja", rief Al Pacino noch hinterher, als so langsam der Applaus aufbrandete, der Rest seines Satzes ging im Lärm des Saals unter.
Dieser Moment steht am Ende symbolisch für den ganzen Abend: Alles wirkte etwas entrückt, uninspiriert und für sonstige Oscar-Verhältnisse fast schon seltsam lieblos. Dass "Oppenheimer" den wichtigsten Preis des Abends gewinnen würde, war keine Überraschung mehr. Vielleicht war es also nur passend, dass Al Pacino dies schlafwandlerisch verkündete.
Doch es gab noch eine andere Symbolik: die des Getriebenseins, des Zeitmangels. Denn Pacino hätte vor der Bekanntgabe des Siegers eigentlich noch die Nominierten ansagen sollen. Stattdessen stammelte er kaum einen geraden Satz – und brachte gerade eben so den richtigen Filmnamen über die Lippen.
Was dabei untergeht, ist der Kern der Kreativbranche
Während der ganzen Veranstaltung spürte der Zuschauer, dass die Academy sich vorgenommen hatte, die Verleihung nicht ewig in die Länge zu ziehen, hier und da die Programmpunkte zu straffen, in den Dankesreden schneller zum Punkt zu kommen. Das funktionierte teilweise auch, und es ist grundsätzlich eine erfrischende Entwicklung, dass die Academy Awards nicht mehr bis in die frühen Morgenstunden dauern.
Doch was droht dem Publikum dann erst im nächsten Jahr, wenn den Oscars wegen der Auswirkungen des Hollywood-Streiks die großen, triumphalen Werke der Branche fehlen? Verkommt dann ein noch langweiligerer Wettbewerb zum Trophäensprint – ohne Atempause für Zwischentöne und Unvorhergesehenes?
Was dabei verloren geht, ist der Kern der Kreativbranche: Originalität, Schlagfertigkeit, Witz – der Charme des Entertainments eben.
- ProSieben: Oscarverleihung vom 10. März 2024