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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Abgeschnitten" kommt ins Kino Fitzek und Tsokos erklären ihren Film-Schocker im Leichenkeller
Plötzlich stand Sebastian Fitzek vor einer Baby-Leiche: Der Bestseller-Autor hatte im Obduktionssaal recherchiert für den Thriller "Abgeschnitten". Zur Vorstellung der Verfilmung war er wieder in der Rechtsmedizin. t-online.de hat ihn getroffen.
Gut 50 weiße Plastiksäcke liegen in mehreren Regalreihen. Da, wo das Fußende sein muss, hängen Zetteln mit Namen. Die Toten sind Zeugen bei einem Rundgang zur vielleicht gruseligsten Filmvorstellung Deutschlands. "Abgeschnitten" kommt ab dem 11. Oktober in 250 Kinos, der Bestseller von Psychothriller-Legende Sebastian Fitzek und Rechtsmediziner Michael Tsokos ist verfilmt worden.
Obduktionsszenen seien noch nie in einem Film mit so viel Aufwand so realistisch dargestellt worden, sagt Tsokos, Leiter der Rechtsmedizin der Berliner Charité. "Es ist trotzdem ein Film fürs erste Date", behauptet Fitzek und wird das auch später erklären.
Tsokos hielt Puppe für Leiche, Fitzek Leiche für Puppe
Bei den Dreharbeiten am Set war Tsokos, der schon 200.000 Leichen vor sich hatte, irritiert. Was da auf dem Seziertisch lag, "das habe ich einen Moment lang wirklich für eine Leiche gehalten, so gut war das gemacht". Es war umgekehrt, als Fitzek zum Recherchieren bei Tsokos zum ersten Mal auch in einem der beiden Sektionsräume stand. "Ich dachte", sagt Fitzek, "da liegt eine total echte Puppe, vielleicht zu Übungszwecken."
Fitzek macht eine Pause, schaut zu einem der beiden metallischen Tische in der anderen Hälfte des Raums, wo das Kind lag. Er hatte vor der echten Leiche eines Säuglings gestanden. Alle Sektionstische waren belegt, es gab vier Leichen. "Die waren aber für mich entseelt, man hat gemerkt, es fehlt etwas. Dann war es nicht mehr so schlimm, es zu beobachten."
Knochensäge sieht aus wie Staubsauger
Auf den insgesamt neun Obduktionstischen in zwei Sälen liegen pro Tag im Schnitt sechs bis zwölf Verstorbene, meist anderthalb bis zwei Stunden lang, erläutert Tsokos. "Wenn es zehn, zwanzig Stichverletzungen sind oder acht Schussverletzungen, dann dauert es aber schon länger."
Heute sind die Tische leer, und die Knochensäge wirkt in der Ecke stehend so, wie sie auch aussieht: wie ein Staubsauger. Nur die beispielhafte Aufnahme eines Schädels auf einem Bildschirm erinnert gerade an die Funktion des Raums. Nebenan steht ein Computertomograph, in den manche Leiche gelegt wird. Die Rechtsmediziner müssen nicht mühselig auf die Suche nach Fremdkörpern gehen.
Es riecht nicht einmal nach Reinigungsmittel. Fitzek hat hier auch den Geruch erlebt, der so gefürchtet ist. Gegen den, sagt Tsokos, helfe auch kein Minzöl unter der Nase. "Das ist Unsinn, eine Erfindung aus 'Schweigen der Lämmer'. Wir brauchen auch unseren Geruchssinn." Doch Berlin war friedlich genug gewesen in den vergangenen Stunden, um die Säle blank zu putzen für den Besuch der Journalisten und sie seither nicht nutzen zu müssen. Keine Toten, die nicht warten konnten.
Laiin muss Obduktion durchführen
Im Film ist das anders: BKA-Rechtsmediziner Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) hat im Kopf eines schwer misshandelten Toten einen Zettel mit dem Namen seiner Tochter Hannah (17) und einer Handynummer gefunden. Sie ist entführt von einem Psychopathen (Lars Eidinger), es beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit, eine Schnitzeljagd mit Leichen.
Ein entscheidender Hinweis soll sich im Körper eines Toten auf Helgoland finden. Aber dorthin kommt der Forensiker nicht, durch einen Orkan ist die Insel vom Festland "abgeschnitten", der Titel des Buchs und des Films.
Also drängt Herzfeld im Film notgedrungen Linda (Jasna Fritzi Bauer), die mit Leichen so gar nichts am Hut hat. Sie soll einspringen und im Leichnam nach Hinweisen stöbern. So ähnlich hatte der echte Rechtsmediziner Tsokos 2010 die Idee bei einer Currywurst nachts um halb eins mal Fitzek vorgetragen. Fitzek hatte Small Talk erwartet, daraus wurde das gemeinsame Buch und ein bis heute bestehender enger Kontakt. In dem Thriller spielen beide in kleinen Rollen mit, "wir mussten aber vorsprechen, Ersatz stand bereit", sagt Fitzek.
Ohne Vorkenntnisse eine Obduktion durchführen, zum Schlachtermesser greifen wie Tsokos ("Das sieht nicht filigran aus, aber wir nehmen keine Skalpelle, da ist die Gefahr größer, sich selbst zu verletzen") und dann aber vor der Kamera laienhaft in Schweineherzen und Schweinelungen herumschnippeln – könnte das nicht jeder? Tsokos widerspricht und schwärmt von Bauers Schauspielkunst. "Ohne das von der Obduktion viel gezeigt wird, siehst du alles in ihrem Gesicht." Entsetzen, Widerwillen, Überwindung.
Befreiende Szenen zum Lachen
Regisseur Christian Alvart, Mann hinter den Til-Schweiger-"Tatort"-Episoden, hat aber auch Splatter-Szenen eingebaut. Zu sehen ist Horror, nichts für zartbesaitete Gemüter. Fitzeks Folgerung überrascht zunächst: "Es ist ein perfekter Date-Film", sagt er. “Bei einem Feelgood-Movie gibt es doch keine Veranlassung, an den Partner heranzurutschen. Hier schon.” In dem Genre habe auch die Emanzipation längst Einzug gehalten hat, dass Psychothriller stark von Frauen konsumiert werden.
Seine Lieblingsszene ist aber eine, bei der in Probevorführungen das ganze Kino schallend gelacht habe. Und vermutlich dankbar war – witzige Szenen als Befreiung von dem Schrecken in anderen. Das braucht es auch.
Im Kühlraum mit mehr den als 50 weißen Säcken hinter sich mögen Tsokos und Fitzek aber nicht lächeln, als ein Kamerateam eines Privatsenders diese Bitte äußert. Tsokos hat die Namensschilder umgedreht, um die Aufnahme möglich zu machen. Aber Lächeln geht auch ihm zu weit. "Das wäre hier dann doch deplatziert", sagt Tsokos. Die Toten hinter ihm sind eben keine Requisiten.
- Eigene Recherchen
- Abgeschnitten – Der Film
- Homepage Sebastian Fitzek
- Rechtsmedizin der Charité