In der Form seines Lebens Manuel Neuer ist das Gold-Füßchen Gottes
Aus Rio de Janeiro (Brasilien) berichtet Thomas Tamberg
Es war kurz nach dem Portugal-Spiel. Der Reiseveranstalter des DFB hatte die mitgereisten Journalisten zum Barbecue eingeladen. Es gab jede Menge gegrilltes Fleisch, Dosenbier und natürlich Caipirinha. Auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach war da. Es war ein lauer Sommerabend, das Ambiente und Stimmung rund um den Swimmingpool waren prima. Zu vorgerückter Stunde sagte ein erfahrener Kollege plötzlich, er könne sich nicht wirklich vorstellen, dass die deutsche Nationalmannschaft Weltmeister wird, aber wenn, dann nur wegen Manuel Neuer.
Wie er plötzlich auf den 28-Jährigen gekommen war, erschloss sich den Umstehenden in diesem Moment nicht wirklich. Das Team von Joachim Löw hatte 4:0 gewonnen und gegen zehn Portugiesen quasi keine Torchance zugelassen. Es wurde eher übermütig darüber diskutiert, ob Thomas Müller den Torrekord von Brasiliens Torjäger Ronaldo schon in diesem Turnier knacken würde. Aber wie recht der Mann doch hatte.
Eiskalte Rettungstat gegen Benzema
Neuer rettete beim 1:0-Erfolg im Viertelfinale gegen Frankreich in den Schlussminuten wieder einmal den Sieg für die DFB-Elf. Karim Benzema hatte aus kurzer Distanz voll draufgehalten, Neuer riss den Arm nach oben und parierte die Kugel. Im ersten Moment dachten die meisten Beobachter im weiten Rund des Maracana, der Ball wäre an die Latte gegangen, so vehement sprang er ins Spielfeld zurück, doch es war wirklich der Arm des Keepers.
Als Reporter anschließend wissen wollten, wie er diesen Ball noch parieren konnte, antwortete Neuer trocken: "Ich muss ihn halten. Die Verteidigung stand gut und deckte das Zentrum ab. Bei Benzema muss ich damit rechnen, dass er sofort auf das Tor schießt, weil er schnell und gerne abschließt. Entsprechend war ich auf der Hut."
Beeindruckende Gesamtperformance
Doch es sind nicht nur die Glanzparaden, die Neuer auszeichnen. Es ist sein gesamtes Torwartspiel. Wohl noch nie hat man einen Keeper gesehen, der so sehr auch als elfter Feldspieler Einfluss auf das Spiel seiner Mannschaft nimmt wie Neuer. Er hat das Torhüterspiel noch einmal auf eine ganz neue Ebene geführt, weil er als zusätzliche Anspielstation und somit als erster Aufbauspieler oder eine Art Libero dem Team auch taktisch neue Möglichkeiten verleiht. In dieser Disziplin gibt es keinen auf der Welt, der ihm annähernd das Wasser reichen könnte. Wenn Maradona als Feldspieler die Hand Gottes erfunden hat, dann kann Neuer für sich mindestens die Bezeichnung "das Goldfüßchen Gottes" in Anspruch nehmen.
Die Viererkette kann höher verteidigen, da Neuer bei Kontern des Gegners die Bälle antizipiert wie kein anderer und weit aus seinem Tor herauskommt, um die Situation zu klären. "Wenn was durchkommt, wissen wir, dass er da ist", sagte Toni Kroos. Neuer verschätzt sich so gut wie nie. Der beidfüßig starke Goalie kann aber auch mit weiten Pässen, die er gerne direkt spielt, das Spiel unwahrscheinlich schnell machen und eigene Konterchancen einleiten.
Neuer wäre auch ein guter Drittliga-Spieler
Torwart Trainer Andreas Köpke schätzt, dass Neuer im Feld ein richtig guter Drittligaspieler wäre. "Mike Büskens hätte ihm das auch mal gesagt", erzählte Neuer, der im Training und seiner Freizeit immer gerne auch im Feld spielt. Dass er als sicherer Elfmeterschütze gilt, wie er beim Champions-League-Finale gegen Chelsea unter Beweis gestellt hat, ist noch das Sahnehäubchen auf die ganze Palette seiner fußballerischen Qualitäten.
Dazu gesellt sich noch seine außergewöhnliche Gelassenheit. Neuer ist bei dieser WM noch kein Patzer unterlaufen. Seine Ruhe strahlt auf die ganze Mannschaft ab. Vor allem beim Nervenspiel gegen Algerien im Achtelfinale waren es nicht nur die Aktionen, mit denen Neuer die Mannschaft im Spiel hielt, sondern vor allem auch seine Ausstrahlung, die der Elf Sicherheit verlieh.
Vorfreude auf Brasilien
Und so hat sich der Bayern-Star zum bisher besten Keeper des Turniers aufgeschwungen. Kein anderer Kollege interpretiert das Torwartspiel so offensiv wie er. Kein Wunder, dass er nun auch bei allen anderen Journalisten in den Fokus gerückt ist. Philipp Lahm jedenfalls weiß schon gar nicht mehr, was er sagen soll, wenn er wieder einmal nach seinem Teamkollegen gefragt wird. "Ich will mich nicht jeden Tag hinstellen und sagen, dass Manuel Neuer absolute Weltklasse ist", sagte der Kapitän nach dem Frankreich-Spiel.
Der so Hochgelobte selbst hat seinen Fokus bereits auf das kommende Halbfinale gerichtet. Dabei freut er sich, dass es gegen den Gastgeber geht. "Wir kennen einige Brasilianer aus unseren Vereinen, aber auch aus unserem Campo Bahia. Es wird für alle sicherlich ein schönes Erlebnis."