Schweinsteiger & Klose Leader auf dem Abstellgleis? Von wegen!
Aus Santo André berichtet Thomas Tamberg
7500 Kilometer! Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. So lautet das Ergebnis, wenn man alle Strände Brasiliens zusammenrechnet. Hier in Santo André, wo die Nationalmannschaft im Campo Bahia ihr Lager aufgeschlagen hat, ist er besonders schön. Um sechs Uhr geht über diesem traumhaften Örtchen die Sonne auf. Bastian Schweinsteiger ist oft frühmorgens am Strand zu beobachten. Mit einem Kaffee in der Hand blickt er aufs Meer hinaus, Richtung Horizont. Solche Augenblicke sind auch für Superstars immer noch besondere Momente. Schweinsteiger erlebt sie ebenso wie Miroslav Klose bisher vorzugsweise am Strand.
Dabei wäre es dem Duo tausend Mal lieber, sie bei dieser WM endlich auch auf dem Platz zu spüren. Doch wohin mit den beiden Routiniers? Nach der 4:0-Gala gegen Portugal hat Joachim Löw eigentlich keinen Grund seine Startformation zu wechseln. Doch die Betonung liegt auf dem Wörtchen „eigentlich“. Daher ist das Bild Schweinsteigers, das er via Facebook hinaus in die Welt schickt, gar nicht verwunderlich.
Schweinsteigers Botschaft via Facebook
Dort postet er Bilder, die ihn strahlend mit kleinen und großen Fans zeigen. Agiert so ein 102-facher Nationalspieler, der im Auftaktspiel gegen Portugal 90 Minuten auf der Ersatzbank saß und dem bei seinem vermutlich letzten WM-Turnier nur eine Statistenrolle droht? Nein! Denn Schweinsteiger weiß, dass seine Stunde schlagen wird. Sein Schicksal teilt Klose. Und auch wenn der Angreifer gar keinen eigenen Facebook-Account hat, dürfte seine Stimmung ähnlich gut sein wie die des 29-Jährigen.
Kein Wunder hat Toni Kroos bei Schweinsteiger keine Veränderung festgestellt. „Ganz normal, so wie immer“, sagte der Bayern-Profi auf die Frage, wie es seinem Teamkollegen nach einem Spiel auf der Bank geht.
Kroos: "Wir brauchen den ganzen Kader"
Dabei dürften die Schlagzeilen in der Heimat wieder einmal ein anderes Bild zeichnen. „Wohin mit Schweinsteiger und Klose?“, „Schweini und Miro auf dem Abstellgleis“ oder „Das Ende einer Ära“: So oder ähnlich dürften in diesen Tagen die Überschriften lauten. Aber mal Hand aufs Herz! Wie oft haben Sie schon solche Schlagzeilen über Schweinsteiger gelesen oder über Klose, der angeblich seinen Zenit längst überschritten hat. Wie oft musste dieses Duo um die WM bangen? Am Ende sind sie trotzdem mit nach Brasilien gekommen.
Und sie werden auch zum Einsatz kommen. Aus zweierlei Gründen. Erstens, weil sie ganz einfach die spielerische Klasse haben, um auf sie gänzlich verzichten zu können. Zweitens, weil alle Beteiligten wissen, dass es bei den vorherrschenden klimatischen Bedingungen in Brasilien unmöglich ist, mit einer ersten Elf bis ins Finale durchzumarschieren und dort auch noch zu bestehen. „Wir brauchen bei diesen Bedingungen den ganzen Kader. Nicht jeder kann im ersten Spiel spielen“, sagte Kroos.
Impulse setzen als Spezialkraft
Trainer Löw hat nicht umsonst vor dem Turnier deutlich darauf hingewiesen, dass es keine erste Elf mehr gebe, sondern eine „erste 14“. Und dass er sogar bereit sei, vermeintlich bessere Spieler zunächst auf der Bank zu lassen, um im zweiten Drittel des Spiels, wenn die Kräfte beim Gegner nachlassen, wichtige Impulse setzen zu können. „Spezialkräfte“ nannte Löw diese Spieler.
Wenn Kroos, Philipp Lahm oder Sami Khedira eine Pause brauchen, dann ist Schweinsteiger der erste Nachrücker im Mittelfeld. Vor allem der gerade erst von einem Kreuzbandriss wiedergenesene Khedira dürfte immer mal wieder eine Pause brauchen. „Eigentlich war geplant, dass er nach 60 oder 70 Minuten rausgeht. Aber dann verletzte sich Mats Hummels, und ich musste umdisponieren", sagte Löw nach dem Portugal-Spiel.
Auf Klose wartet der ganz große Moment
Dass Schweinsteiger mit seiner neuen Rolle nicht umgehen könnte, diese Befürchtung besteht nicht. Im Gegenteil. Er hörte in jungen Jahren immer genau hin, wenn Spieler wie Michael Ballack oder Oliver Kahn sprachen. Gerade vom Bayern-Keeper hat er gelernt, was es heißt, sein eigenes Ego hinten anzustellen, als dieser bei der WM 2006 hinter Jens Lehmann nur zweite Wahl war und die Degradierung hinnahm wie ein großer Sportsmann. Bei der EM 2012 bemängelte Schweinsteiger den mangelnden Teamgeist. Der emotionale Leader, der ohnehin lieber nach innen wirkt, als über die Medien seine Befindlichkeiten preiszugeben, wird daher nicht sein eigenes Credo über den Haufen schmeißen.
Bei Klose wird es nicht anders sein. Der 36-Jährige wird vielleicht nicht ganz so oft zum Einsatz kommen wie Schweinsteiger, aber er wird spielen. Die Konkurrenz vorne im Angriff ist größer und Klose doch eher ein zentraler Stürmer anstatt ein Flügelflitzer. Der Angreifer wird vor allem dann ganz wichtig, wenn Deutschland einen Rückstand aufholen muss. Gut möglich, dass Klose im Verlauf des Turniers für den größtmöglichen „besonderen Moment“ sorgen wird.