Flip-Flop ins Abseits Toni Kroos läuft Mesut Özil den Rang ab
Aus Santo André (Brasilien) berichtet Thomas Tamberg
Brasilien ist das Land der Flip-Flops. Wohl nirgendwo anders ist die Kultsandale gesellschaftlich so etabliert wie im Gastgeberland der WM 2014. Sie erlaubt keine schnellen Schritte, sondern zwingt ihren Träger zu einem schlurfenden Gang mit betonter Lässigkeit. Flip, flop, flip, flop. Der Sound gab ihr gleichzeitig auch den Namen. Einer, der sich bereits früh in dieser Saison auf den brasilianischen Schuh-Style eingestellt hat, ist Mesut Özil. Zumindest wirkten die meisten seiner Auftritte so, als habe er Flip-Flops anstelle von Fußballschuhen gewählt. Das dürfte ihn bei der WM seinen Stammplatz gekostet haben.
Gegen Portugal wird aller Voraussicht nach Toni Kroos den offensiven Part im zentralen Mittelfeld übernehmen. Der Bayern-Star ist, um im Bilde zu bleiben, eher der Typ robuster Wanderschuh. In 51 Pflichtspielen kam er in dieser Saison beim FC Bayern zum Einsatz, lieferte fast immer eine starke Leistung ab und war somit für Trainer Pep Guardiola ein wichtiger Fixpunkt im Mittelfeld. Ex-Coach und Förderer Jupp Heynckes forderte kürzlich sogar, dass Kroos der Kopf des FC Bayern werden müsse.
Ausgerechnet Real zeigt Interesse
Doch der Double-Sieger konnte sich bisher nicht mit seinem Star auf eine Vertragsverlängerung über 2015 hinaus einigen. Kein Wunder, dass mittlerweile sogar Real Madrid die Fühler nach dem 24-Jährigen ausgestreckt hat. Ausgerechnet der Klub, der im vergangenen Sommer Özil unbedingt loswerden wollte und ihn zum FC Arsenal transferierte.
Dort kam er nie richtig in Tritt. Dass auch ein Top-Spieler mal in ein Leistungsloch fallen kann, ist nichts Ungewöhnliches. Doch bei Özil kommt hinzu, dass er in solchen Phasen eine Lustlosigkeit auf dem Platz ausstrahlt, die bei Mitspielern und Zuschauern gleichermaßen eine innere Aggression auslöst.
Viel Kredit verspielt
Sogar Bundestrainer Joachim Löw wurde im Vorfeld der WM ungewöhnlich deutlich, als er sagte, dass Özil unbedingt an seiner Körpersprache arbeiten müsse. Jetzt schlug Michael Ballack in die gleiche Kerbe. "Özil ist einer unserer besten Spieler, eine große Nummer 10. Aber er übernimmt nicht viel Verantwortung", sagte der Ex-Capitano in einem Interview mit der "Marca".
Bei den deutschen Fans hat der 25-Jährige jedenfalls viel Kredit verspielt. In den zurückliegenden Testspielen zeigte er nicht nur eine schon fast obligatorische schwache Leistung, sondern musste sich auch Pfiffe gefallen lassen. Dabei würde man ihm schlechte Auftritte durchaus verzeihen, das Problem ist: Özil strahlt dabei eben diese totale Lustlosigkeit aus.
Statistik spricht für Kroos
Das ist bei Kroos anders. Der ebenso pass- wie schussstarke Mittelfeldspieler hat sich zuletzt enorm weiterentwickelt und ist selbstbewusster geworden. In den letzten neun Länderspielen – ausgenommen der C-Elf-Test gegen Polen - stand er seit September 2013 stets in der Anfangsformation. Wieso sollte Löw also plötzlich daran etwas ändern? Zumal Kroos mit seinen Bayern-Kollegen Philipp Lahm hinter ihm und Thomas Müller vor ihm bestens eingespielt ist.
Somit dürfte Özil vorerst bei seinen 55 Länderspielen und 17 Toren stehen bleiben. Kroos indes kann seine Statistik (44 Länderspiele/ 5 Tore) weiter ausbauen. Nachdem er noch bei der EM 2012 von Löw nahezu ignoriert wurde und nur mit einer sehr sonderbaren Rolle im Halbfinale gegen Italien (Andrea Pirlos Wege einschränken) wirklich zum Einsatz kam, schlägt in Brasilien nun seine große Stunde.
Kroos muss man im Stadion sehen
Noch scheiden sich an Kroos ein wenig die Geister. Er ist ein Spieler, den man vor Ort im Stadion besser beurteilen kann als vor dem TV. Vom Sofa aus rutscht er dem Betrachter oftmals vom Radar, dabei läuft nahezu alles über den 1,82 Meter großen Ballverteiler mit dem präzisen Schuss. Der Spieler selbst hat dies wahrgenommen und wies zuletzt öfter auf seine Bedeutung hin. Mittlerweile fürchtet man sogar, dass Kroos als Bankdrücker bei der WM nur schwer sein eigenes Ego unter Kontrolle halten könnte.
Doch dazu wird es wohl nicht kommen. "Toni Kroos hat in den letzten ein, zwei Jahren einen Prozess gemacht", lobte ihn Löw zuletzt. "Er ist reifer, verantwortungsbewusster geworden." Der Bundestrainer erwartet, "dass er eine ganz andere Rolle spielt als bei den letzten Turnieren".
Vom Symbolbild zum Bankdrücker?
Eine andere Rolle kommt auch auf Özil zu. War er bei der WM 2010 in Südafrika noch Symbolbild für die neue deutsche Generation, sitzt er in Brasilien wohl nur auf der Bank. Dort stören dann auch die Flip-Flops nicht wirklich.