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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Bundestrainer unter Druck Sonst ist er seinen Job los
Ein Jahr vor der Heim-EM spielt die deutsche Mannschaft schlecht. Gegen Polen muss sie ein anderes Gesicht zeigen.
"Zehn Jahre werden es sicher nicht mehr." Hansi Flick war sich unsicher, wie lange er noch den Job des Bundestrainers ausüben würde, als er vom Redaktionsnetzwerk Deutschland auf die Länge seiner Amtszeit angesprochen wurde. Eine komplette weitere Dekade konnte er aber ausschließen. Das war Ende September 2022.
Knapp zwei Monate später sah sich der Bundestrainer in Doha einer ähnlichen Frage ausgesetzt. Ob er ausschließen könne, dass das dritte Vorrundenspiel bei der WM gegen Costa Rica sein letztes als Bundestrainer sein würde. Flick parierte die Frage mit einem Lächeln, und versicherte, davon auszugehen, auch 2023 auf der Trainerbank der Nationalmannschaft zu sitzen.
Flick sollte recht behalten mit seiner Annahme, trotz des Scheiterns bei der WM in Katar. An seiner statt erwischte es Oliver Bierhoff. Der Manager galt als das personifizierte Marketingvehikel einer Mannschaft, die sich von den Fans distanziert hatte – und verließ den DFB nur wenige Tage nach dem Turnierende. Hansi Flick durfte weitermachen.
Doch die Frage ist: wie lange noch? Denn seitdem hat sich die Verfassung der Mannschaft nicht verbessert. Von der Weltspitze ist sie weit entfernt – und Flick ist der Verantwortliche dieser Mannschaft. Er ist angezählt und muss jetzt liefern. Sonst ist er bald seinen Job los.
Eine durchschnittliche Bilanz
Seit dem WM-Debakel saß Flick bei drei weiteren Länderspielen an der Seitenlinie. Heraus sprangen ein Sieg (gegen Peru), eine Niederlage (gegen Belgien) und ein Remis (gegen die Ukraine). Insgesamt holte Flick aus den vergangenen 14 Partien nur vier Siege. Ergebnistechnisch eine durchwachsene, durchschnittliche Bilanz. Maximales Mittelmaß.
Fast zwei Jahre zeichnet sich der Triple-Sieger-Trainer aus München schon für die Nationalmannschaft verantwortlich. Was mit acht Siegen am Stück (gegen zugegeben eher zweit- bis drittklassige Gegner) im September 2021 begann, mündete in der wohl größten fußballerischen wie stimmungstechnischen Krise seit dem enttäuschenden EM-Aus 2004.
Es droht ein Donnerwetter
Der geschasste Ex-Manager Bierhoff sprach im November 2020 von einer "dunklen Wolke", die über der Nationalmannschaft schwebe. Diese Wolken sind keinesfalls verzogen. Es sind eher noch ein paar Regenschauer hinzugekommen. Ein kompletter Verband macht den Anschein, sich lediglich dem Prinzip Hoffnung anzuvertrauen, um ein gewaltiges Donnerwetter zu vermeiden. Es fehlt die klare Idee – auch beim Trainer.
Und der muss nun endlich liefern. Nicht im September gegen Frankreich oder Japan. Oder im Oktober auf der geplanten USA-Reise. Sondern schon am Freitag in Warschau gegen Polen. Denn aktuell stimmt zweierlei nicht: die Leistung und die Ergebnisse. Bis in einem Jahr muss er das hinbekommen. Sportdirektor Rudi Völler sprach dem Coach zwar eine Jobgarantie aus, doch welche Gültigkeit ein solches Versprechen hat, ist in der Branche hinlänglich bekannt.
50 verschiedene Spieler setzte der gebürtige Heidelberger seit seinem Debüt gegen Liechtenstein im September 2022 ein. Ein geschlossenes Team, das Widerständen trotzt, Lösungen im letzten Drittel findet und kapitale Abwehrfehler vermeidet, konnte er bis dahin nicht formen. Das hat er bis heute verpasst. Es ist sein Verschulden.
Nächste Möglichkeit gegen Polen
Dass Fans Probleme damit haben, sich mit abgehobenen Fußballern zu identifizieren, denen die Bindung zu ihren Anhängerinnen und Anhängern mehr als Mittel zum Zweck dienen soll – dafür kann Hansi Flick nichts. Aber es ist seine Aufgabe, elf Spieler auf dem Platz zu versammeln, die in der Lage sind, besser zu spielen, als sie es seit gut einem Jahr tun.
Gegen Polen hat Flick nun erneut die Chance, die "enorme Qualität" seiner Mannschaft herauszukitzeln. Er sollte sie nutzen. Nicht dass es sich die Verantwortlichen vielleicht doch noch anders überlegen, zum Hörer greifen und einen vor nicht allzu langer Zeit beim FC Bayern entlassenen jungen Trainer anrufen, der dort schon einmal auf Hansi Flick gefolgt war: Julian Nagelsmann.
Denn aktuell kann sich Flick wohl wirklich nur bei einer Sache sicher sein: Zehn Jahre als Bundestrainer werden es bestimmt nicht mehr.
- Eigene Recherche