Fußball Wie geht es weiter nach Putins WM-Party?
Moskau (dpa) - So hat sich WM-Gastgeber Wladimir Putin die finale Krönung seiner Fußball-WM wohl kaum gewünscht: mit einem Protest vor laufenden Kameras für politische Freiheit.
Die vier Aktivisten, die beim Endspiel zwischen Frankreich und Kroatien (4:2) in Polizeiuniformen auf den Platz flitzten, gehörten zur kremlkritischen Punk-Gruppe Pussy Riot. Sie wollten aufmerksam machen auf Missstände, die der Straßenkarneval der Fans bei der WM nach Einschätzung vieler überstrahlt hat. Der Auftritt war eine bezeichnende Randnotiz, während die FIFA die "beste WM aller Zeiten" feiert und Russland um den Umgang mit dem Erbe des Turniers ringt.
Pussy Riot beanspruchte die Flitzer-Aktion bei Facebook für sich. 2012 war die Gruppe mit den schrillen Masken bekannt geworden, weil sie in Moskaus wichtigster Kirche ein kritisches "Punk-Gebet" aufgeführt hatte. Der Fall sorgte international für Wirbel. Drei Frauen mussten in Lagerhaft, wurden aber später begnadigt.
Nun also kein schriller Punk, sondern winkende Polizisten mitten auf dem Spielfeld des WM-Finales. In ihrer Mitteilung erklärten die Aktivisten, mit dem Auftritt wollten sie den "himmlischen (guten) Polizisten" die "irdischen (bösen) Polizisten" gegenüberstellen. Der "himmlische Polizist" freue sich über die Siege der Sbornaja und sei ein Vorbild für die Nation; der "irdische" gehe gegen Proteste vor und schere sich nicht um Regeln.
Damit prangerte Pussy Riot an, was die russischen Behörden und WM-Organisatoren als großen Erfolg feierten. Sie spielten an auf den lockeren Umgang der Polizei mit feiernden Fans, während bei politischen Protesten in Russland immer wieder Menschen festgenommen werden. So nutze Pussy Riot Putins Jubel-WM für konkrete Forderungen: Freilassung politischer Gefangener, ein Ende von Festnahmen bei Demonstrationen, mehr politischer Wettbewerb.
Die Staatsmedien hielten sich mit der Berichterstattung über den Fall zurück. Kaum ein Politiker kommentierte ihn. Die Polizei beantragte für die vier Flitzer - drei Frauen und ein Mann - Geldstrafen oder gemeinnützige Arbeit. Beobachter schätzen, würde man dem Fall mehr Aufmerksamkeit schenken und Haftstrafen anstreben, könnte dies ein Kratzer auf dem Erbe der WM werden, über den lange gesprochen würde.
Stärker aber als die Flitzer zeigt ein Video, dass sich trotz aller Beschwörung der WM-Freude wenig geändert hat an der Einstellung so mancher Polizisten. Der Clip wurde angeblich beim Verhör der Aktivisten aufgenommen. Dem kritischen Portal meduza.io zufolge fragte darin ein Mann, der nicht zu sehen war, wo die Aktivisten die Uniformen her hätten. "Gemietet", antwortete einer. Der Frager sagte verärgert: "Gemietet? Manchmal bedauere ich es, dass wir nicht das Jahr 37 haben." Das Video war nicht unabhängig zu verifizieren.
1937 war die Zeit des sogenannten Großen Terrors unter Sowjetdiktator Josef Stalin. Massenfestnahmen, Deportationen und Hinrichtungen prägten diese Phase. Hunderttausende Menschen waren betroffen.
Doch auch dieser Aspekt des Flitzer-Vorfalls dürfte rasch vergessen werden, denn er spiegelt nicht den russischen Grundtenor der WM. Was überwiegt, ist das Bild eines straff organisierten Turniers mit fröhlichen Fans und ohne größere Zwischenfälle. "Die WM ist schon Geschichte. Aber wir werden uns das ganze Leben an sie erinnern", schrieb der "Sport-Express".
"Wir können stolz sein, wie wir diese WM organisiert haben", sagte Putin nach dem Finale. Er wollte der Welt zeigen, wie gastfreundlich und liebenswert Russland ist. "Und es ist uns gelungen in allen Aspekten dieses großartigen Ereignisses", sagte er.
Wie lange der Eindruck vom weltoffenen Russland bestehen bleibt, hängt von der Führung selbst ab. Die erste politische Prüfung stand Putin gleich am Montag beim Gipfel mit US-Präsident Donald Trump bevor. Ein Zeichen setzte Putin aber noch am Abend: Fan-ID-Inhaber sollen bis Jahresende ohne Visum nach Russland reisen dürfen.
Auch für Russland selbst stellt sich die Frage, wie lange es von den Glücksgefühlen zehren kann und wie es das sportliche WM-Erbe nutzt. Was aus den modernen Stadien wird, während die meisten Clubs an den Spielorten kaum 10.000 Zuschauer mobilisieren, ist eins der Probleme.
Am Freitag will Putin darüber mit Sportfunktionären beraten. Das Organisationskomitee teilte der Deutschen Presse-Agentur mit, die Infrastruktur müsse der Entwicklung des Sports dienen. "Wir müssen Kinder- und Jugendmannschaften, Ligen und Wettbewerbe gründen."
Der Amateurfußball-Experte Sergej Nowikow glaubt nicht, dass die Eishockey-Nation Russland nun ein Fußballland wird. "Leider wird das Fußballmanagement kaum anfangen, den regionalen Fußball zu entwickeln", sagte er. "Die Zahl der Mannschaften wird eher sinken. Aber die WM hat sicher kurzfristig einen positiven Impuls gebracht."