Fußball Zittern der Weltmeister und Elfer-Flut
Moskau (dpa) - Die sportliche Bilanz zur Halbzeit der Fußball-WM fällt gemischt aus. Viel Spannung, aber nur selten das ganz große Spektakel zeichnet die erste Hälfte der Spiele in Russland aus.
Dabei geben mehrere Trends die Richtung für die Partien um Alles oder Nichts vor: Die Top-Favoriten um Weltmeister Deutschland tun sich schwer, der Videobeweis beeinflusst das Turnier auf vielen Ebenen - und es bleibt packend bis zum Abpfiff.
DAS ZITTERN DER GROßEN: Die Top-Favoriten haben Probleme. In Frankreich schaffte nur ein Weltmeister der vergangenen 48 Jahre vorzeitig den Sprung in die nächste Runde. Neben Deutschland müssen auch Brasilien und Spanien vor dem letzten Gruppenspiel bangen, Argentinien steht am Abgrund. Begeisternden Fußball zeigt hingegen die zweite Reihe des Weltfußballs: Belgien und Kroatien wollen mit weiteren Erfolgen ihren Status als Geheimfavoriten aufwerten, Russland die Stimmung im Gastgeberland hochhalten. "Ich gehe nicht so weit, dass ich sage, dass eins der kleinen Teams der nächste Weltmeister wird", analysierte Lothar Matthäus die Probleme der Top-Teams in einer exklusiven Kolumne für den internationalen Dienst der dpa. "Aber sie können die Favoriten weiter ärgern."
DIE ELFMETER-FLUT: Der Videobeweis lässt offensichtlich auch die Zahl der Strafstöße deutlich steigen. Nach 32 Spielen wurden 13 Elfmeter verwandelt, 16 gab es insgesamt - damit ist bereits der Wert der kompletten Weltmeisterschaften 2014 (13) und 2010 (15) übertroffen. 2002 wurden zuletzt 18 Strafstöße gepfiffen. Insgesamt gab es bei sechs Elfmetern in Russland eine Intervention des Video-Assistenten, die maßgeblich zur Entscheidung beitrug. Auch die Gesamt-Anzahl der Standardtore liegt deutlich über dem Niveau vergangener Weltmeisterschaften.
SPÄTER JUBEL: Toni Kroos macht es vor. Der Trend zum Treffer in der Nachspielzeit geht auch bei dieser WM ungebremst weiter. Der deutsche Star von Real Madrid sorgte für das zehnte Tor nach der 90. Minute. Bei der WM 2010 in Südafrika wurden über das komplette Turnier nur sechs Tore in der Nachspielzeit der zweiten Halbzeit erzielt, vier Jahre später in Brasilien waren es schon zwölf. Begünstigt wird die Entwicklung in Russland auch durch die Anweisung, sämtliche durch den Videobeweis verlorene Zeit nachzuholen. So erzielte Brasiliens Superstar Neymar in der 90.+7 Minute laut Opta den spätesten, seit 1966 erfassten Treffer in der regulären Spielzeit der WM-Geschichte.
VIDEOBEWEIS: Die WM zeigt der Bundesliga, wie es geht. Anders als in der Testphase des deutschen Fußballs und auch beim Confederations Cup bleibt die ganz große Konfusion aus. Nur bei absolut klaren Situation überprüft der Schiedsrichter noch einmal am Spielfeldrand. Die Diskussionen reißen aber natürlich nicht ab, vor allem wenn der Video-Assistent nicht eingreift: Brasilien fühlte sich schon betrogen, Serbien wütet über Schiedsrichter Felix Brych. Dass Spieler und Trainer mit ihren Händen die Bildschirm-Geste machen, hat das Gelb-Fordern als häufigste Protestform auf dem Rasen abgelöst.
DER KONTINENTE-VERGLEICH: Europa regiert die Fußball-Welt. Bis Sonntag verloren die Europäer lediglich vier Duelle mit Teams von anderen Kontinenten - unter anderem Deutschland gegen Mexiko. Keine andere Konföderation kommt zur WM-Halbzeit auf eine positive Sieg-Bilanz, für Asien und Afrika fällt das Zwischenfazit besonders bitter aus. Auch die Mannschaften aus Südamerika müssen sich bis auf Uruguay steigern. Auch damit setzt sich bislang eine Entwicklung fort. Bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften gab es insgesamt nur ein nicht-europäisches Team unter ersten Drei: Vize-Weltmeister Argentinien 2014.
STIMMUNG: Die Südamerikaner geben den Ton vor. Besonders die Fangruppen aus Peru, Mexiko und Argentinien sorgen für die beste Stimmung. Auch Iraner mit ihren vuvuzela-ähnlichen Sheypoors oder Marokkaner überzeugen mit Lautstärke. Die europäischen Anhänger sind bislang eher nicht die größten Stimmungsbringer - im Vergleich zur EM 2016 fehlen Wales und Nordirland hörbar. Die befürchteten Ausschreitungen blieben bis auf kleinere Scharmützel aus.