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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geschlechtsumwandlung Hannahs Verwandlung – diese Frau war mal ein bekannter Musiker
Hannah aus Wuppertal war mal Paralympics-Sieger, dann Musiker – jetzt kämpft sie gegen den Bierbauch. Dabei kennt sie es nur allzu gut, im eigenen Körper gefangen zu sein. Das soll sich nun ändern.
Wie Gefangene im eigenen Körper fühlen sich Menschen, die mit ihrem ursprünglichen Geschlecht nicht zurechtkommen. So erging es auch dem bekannten Panflötenspieler Matthias Schlubeck. Dem "Knastbruder" in sich setzte er vor etwa drei Monaten ein Ende. Nach einem Outing heißt er nun Hannah.
Die gebürtige Wuppertalerin fühlt sich seitdem wie ein neuer Mensch. "Dieses Öffnen nach außen hat mir unglaublich viel Kraft gegeben", sagt die 47-Jährige. Dem Outing ging eine lange Leidenszeit voraus.
Seit gut 15 Jahren seien die Diskrepanzen innen und außen immer größer geworden. "Das waren zeitweise depressionsähnliche Zustände, man versteckt sich, fühlt sich unwohl. Ich konnte dann nur noch das Nötigste tun. Suizidgedanken hatte ich aber keine. Zum Glück bin ich ein sehr willensstarker Mensch", sagt Schlubeck.
Zuerst hatte sich Hannah im Familienkreis offenbart, dann in der Öffentlichkeit. Dabei hatte sie auch Angst, welchen Einfluss das auf ihre musikalische Tätigkeit, ihren Broterwerb, haben könnte.
Die Sorgen scheinen unbegründet zu sein. Berufliche Ansprechpartner duckten sich nicht weg, sondern sendeten positive Rückmeldungen.
Die kamen auch aus ihrem familiären und privaten Umfeld. Das ostwestfälische Dorf Bellersen bei Brakel im Kreis Höxter, wo Schlubeck seit 2009 in einer alten Mühle lebt, stärkte ihr den Rücken durch viele positive Zuschriften. Ohnehin schon rege am Dorfleben teilnehmend, ist Schlubeck jetzt dort unter den knapp 700 Einwohnern ein noch bunterer Hund. "Hündin", sagt sie korrigierend und muss schmunzeln.
Das Outing war für sie erst der Auftakt zu einem neuen Leben. Es folgen die körperlichen Veränderungen. Seit zwei Monaten nimmt sie beispielsweise für die Bildung von Brüsten Hormone ein. Heftiger wird das, was am 3. November in Planegg bei München ansteht: eine geschlechtsangleichende Operation.
Operationskosten bis 12.000 Euro
"Das ist keine kleine ästhetische Angelegenheit, da geht‘s ans Eingemachte", sagt sie. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es wird dort etwas eingeführt, wo im Körper schon etwas vorhanden ist. Aus den männlichen Geschlechtsorganen wird eine Neovagina geformt. Fraglich ist noch, ob die Krankenkasse die Operationskosten in Höhe von 8.000 bis 12.000 Euro übernimmt. "Die Bedingungen dafür seitens der Kasse empfinde ich als sehr veraltet", sagt Schlubeck.
Als Transsexuelle möchte sie sich nicht bezeichnen. "Ich finde den Begriff problematisch, denn es hat mit meiner sexuellen Orientierung gar nichts zu tun. Ich sehe mich einfach als Frau." Als neues Geschlecht soll dann "weiblich" im Ausweis stehen. Auch mit dem behördlichen Prozess für solch eine Metamorphose, wie Schlubeck ihre Geschlechtsumwandlung selber nennt, ist sie nicht glücklich. Gutachter und schlussendlich ein Richter befinden formal über ihr neues Geschlecht.
Nach der Operation rechnet Schlubeck mit einer Heilungszeit von zwei bis drei Monaten. Die Panflöte wird in dieser Zeit stumm bleiben, denn der Luftdruck, um dieses Instrument spielen zu können, kommt auch aus dem Unterbauch. Die Weihnachtszeit ist normalerweise die Hochzeit für Panflötenkonzerte. Doch auch die am Rande von Wuppertal-Nächstebreck aufgewachsene Musikerin leidet an den Folgen der Corona-Pandemie. 80 bis 120 Auftritte absolviert Schlubeck in einem durchschnittlichen Jahr, 2020 werden es mit viel Glück vielleicht zehn bis zwölf Konzerte sein.
Doch auch hierbei hat sie aus ihrem privaten Kreis und sogar von Spendern Unterstützung erhalten. Zum 30. Bühnenbestehen in diesem Jahr hat sie eine Jubiläums-CD herausgegeben.
Ganz abstreifen möchte Schlubeck ihre geschlechtliche Vergangenheit in Bezug auf die Musik im Übrigen nicht. "Es wäre auch schwachsinnig, jetzt nicht mehr mit dem Matthias in Verbindung gebracht zu werden. Ich will ja musikalisch nicht bei Null anfangen", sagt sie.
Die Bedenken vor komischen Blicken halten sich in Grenzen. Als behinderter Mensch mit von Geburt an stark verkürzten Armen und Füßen ist sie die ohnehin gewöhnt. Ob die Menschen nun gucken würden, weil sie behindert sei oder nun eben eine Frau mache keinen Unterschied. "Das ist für mich persönlich ein Riesenvorteil", sagt Schlubeck.
Probleme bereiten ihr aber Stimme und Bartwuchs. Beides lässt sich nicht so schnell verändern beziehungsweise abstellen. Arbeiten kann sie hingegen schon jetzt an ihrem Körper. Der ehemalige Paralympics-Sieger im Schwimmen (1988 und 1992) hält sich mit Nordic Walking fit. "Pfunde verlieren, das tut der Hannah gut. Schließlich passen Bierbauch und kurzer Rock nicht zusammen."
- Interview mit Hannah Schlubeck