Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Debatte um Thailand-Flug Die "Letzte Generation" betreibt Event-Aktivismus
Der Thailand-Flug zweier Klimaaktivisten der "Letzten Generation" wird heftig diskutiert. Deutschland ist sich uneins: Dürfen die das?
Aufregung um die "Letzte Generation" – mal wieder. Zwei Aktivisten, die sich in Stuttgart auf die Straße geklebt hatten, erschienen am Montag nicht zu einem Gerichtstermin. Die Begründung bringt eine ganze Bewegung in Erklärungsnot: Die beiden hatten nicht nur dem Richter abgesagt – sie waren zudem nach Thailand geflogen, also nicht mal im Land.
Seitdem wird diskutiert. Denn die "Letzte Generation" kritisiert nicht nur den Auto-, sondern auch immer wieder den Flugverkehr. Im November hatten sich mehrere Aktivisten am Hauptstadtflughafen BER festgeklebt und über Stunden Flüge verhindert. Die Begründung: "Ein wohlhabendes Prozent der Bevölkerung verursacht allein etwa die Hälfte der flugbedingten Emissionen."
Auch die Reaktion der Gruppe sorgte für Diskussionen: Zunächst war die Rede davon, dass man zwischen der Privatperson und dem Aktivisten unterscheiden müsse – und die Flüge als Privatpersonen angetreten worden seien. Fast den ganzen Mittwoch über war die Gruppe nicht erreichbar – auch Anfragen von t-online blieben unbeantwortet. Zugleich äußerte sich die "Letzte Generation" bei Twitter zu anderen Themen.
Erst am Donnerstag folgte dann eine längere Einlassung: Die "Letzte Generation" wirft ihren Kritikern darin Doppelmoral vor, zeigt aber auch Verständnis für "negative Gefühle". Seitdem wird die Frage diskutiert:
Dürfen Aktivisten der "Letzten Generation" in den Urlaub fliegen?
Ja, denn sie zeigen das echte Problem
Wie schlecht kann eine politische Gruppierung kommunizieren? Das lange Schweigen der Sprecherinnen und Sprecher der "Letzten Generation" grenzte zunächst an Arbeitsverweigerung und wurde auch nicht besser, als sie dann endlich den Kopf aus dem Sand zogen und ihn in den Shitstorm hielten. Das Haar in der Suppe sei mal wieder gefunden worden, schrieben sie und schoben damit die Verantwortung von sich. Von einer hanebüchenen ersten Erklärung über die stundenlange Funkstille bis hin zur selbstmitleidigen Erklärung am Folgetag (!) – die "Letzte Generation" hat mal wieder bewiesen, dass Kommunikation keine ihrer Stärken und offensichtlich auch keine ihrer Prioritäten ist.
Und doch: Auch Klimaaktivisten dürfen Urlaub machen (oder was auch immer die beiden in Thailand vorhaben). Das gilt auch für die "Letzte Generation", trotz ihres hypermoralischen Wahrheitsanspruchs. Sich den nun selbst zu eigen zu machen und die Aktivisten für den Flug zu kritisieren, geht am Ziel vorbei. An diese jungen Menschen einen solch absoluten Anspruch zu stellen, ist genau die Doppelmoral, die die Sprecher in ihrem Statement zu Recht anprangern. Was den Aktivisten allerdings entgangen zu sein scheint: Sie treffen damit nicht nur die Doppelmoral der anderen, sondern auch die eigene.
Den eigenen hohen Ansprüchen werden die Thailand-Urlauber damit nicht gerecht. Und doch: Sie zeigen auf, dass das Problem systemisch ist. Der Klimawandel lässt sich aufhalten, obwohl der Flieger nach Südostasien geflogen ist. Die beiden können alleine nichts tun, um die Katastrophe, die unbestritten droht, zu verhindern. Dazu fehlt ihnen die politische Macht. Und an diesem Punkt haben die Aktivisten der "Letzten Generation" eben doch recht: Es braucht ein Umdenken in der Klimapolitik der Regierungen dieser Welt – unabhängig davon, welche kommunikativen Fehler denen unterlaufen, die darauf hinweisen.
Nein, denn echte Klima-Aktivisten fliegen nicht
Mit der Urlaubsreise nach Thailand haben die zwei sogenannten Klimaaktivisten ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen: Das Fehlverhalten weniger fällt auf alle zurück. Wer soll die "Letzte Generation" jetzt noch mit ihren Warnungen vor der unmittelbar bevorstehenden Klimakatastrophe ernst nehmen, wenn sich einige Aktivisten selbst eine Auszeit auf Thailand gönnen? Eine aus der Perspektive des Klimaschutzes zu vermeidende, aus Perspektive der Klimaaktivisten sogar verwerfliche Reise.
Gereist wurde selbstverständlich mit dem Flugzeug – damit nehmen sie genau den kapitalistischen Komfort in Anspruch, den sie stets kritisieren. Denn würden die Forderungen der "Letzten Generation" umgesetzt, gäbe es diesen Komfort und den Wohlstand nicht mehr.
Scheinbar hat es bei den sonst so gut organisierten Aktivisten keine Schulung zum Thema "Wie urlaube ich richtig?" gegeben. Denn dass ein Klimaaktivist an seine Urlaubsdestination zigtausende Kilometer mit dem Flugzeug reist, obwohl er daheim das bevorstehende Ende der Zivilisation und das von allen so falsch geführte Leben beklagt, kann man getrost als Event-Aktivismus bezeichnen.
In der Öffentlichkeit klimaschädigendes Konsumverhalten zu verteufeln, privat sein Leben danach auszurichten, ist dann offenbar doch zu anstrengend. Dann lieber Sonne tanken in Thailand. Haben Sie schon mal einen Peta-Aktivisten Pelz tragen sehen, bloß weil es kalt ist? Nein: Wer sich die Weltrettung auf die Fahne schreibt, darf nicht den Anspruch haben, zwischen Aktivismus und Privatem zu differenzieren.
Wer das nicht kann, der ist dann eben auch kein Aktivist. Wer echte Überzeugungen hat – in diesem Fall also, dass jedes ausgestoßene Gramm CO2 uns dem Klimakollaps näherbringt – tut alles dafür, nach diesen zu handeln. Wer das nicht schafft, ist natürlich deswegen kein schlechterer Mensch. Er sollte es dann aber unterlassen, anderen zu erklären, wie ein moralisch besseres, weil klimaschonendes Leben auszusehen hat.
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