OVG-Urteil Land muss Fleischindustrie keine Lohn-Entschädigung zahlen
Das Land Nordrhein-Westfalen hat nach einem Urteil Forderungen auf Entschädigung für Lohnzahlungen in der Corona-Pandemie zu Recht abgewiesen. Das hat das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht am Freitag entschieden und damit überraschend Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Minden und Münster in Berufungsverfahren geändert. Mehrere Subunternehmer der großen Fleischbetriebe von Tönnies (Rheda-Wiedenbrück) und Westfleisch (Münster) hatten die Entschädigungen beantragt, nachdem ihre Mitarbeiter auf Anweisung der Behörden im Frühjahr 2020 in Quarantäne mussten. Die Ablehnung durch das Land hatte eine Klagewelle mit über 7000 Fällen ausgelöst. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ließ das Gericht die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu.
Die Erstattung gezahlter Verdienstausfallentschädigung komme nur in Betracht, wenn die Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Zahlung des Arbeitslohnes durch den Arbeitgeber haben, befand der 18. Senat in der Urteilsbegründung. Dieser Anspruch besteht aber nach Überzeugung des Gerichts in den am Freitag verhandelten Musterverfahren. Entscheidend sei die Frage aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, ob der Arbeitnehmer für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum ohne sein Verschulden nicht arbeiten könne. In den beiden verhandelten Musterfällen lagen die Ausfallzeiten mit mehreren Tagen deutlich unter sechs Wochen und die Arbeitsverhältnisse waren unbefristet und ungekündigt.
Das OVG knüpfte in seiner Entscheidung an ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1978 an, bei dem es um die 6-Wochen-Frist für Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall ging.
Die Richter in der ersten Instanz hatten komplett anders argumentiert und den klagenden Firmen Recht gegeben. Nur wenn feststehe, dass allein der Arbeitgeber schuld sei an der angeordneten Quarantäne, könne das Land die Entschädigungszahlungen ablehnen. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte der Fleischindustrie vorgeworfen, für den Ausbruch der Pandemie mitverantwortlich zu sein und hatte den Landschaftsverband Westfalen-Lippe angewiesen, die Anträge auf Entschädigung abzuweisen. Die Werke von Westfleisch in Coesfeld und Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mussten über mehrere Wochen geschlossen bleiben.
Nach Auffassung des Vorsitzenden Richters Martin Schnell hat sich der Gesetzgeber die Regelungen gut überlegt. "Keinem Arbeitnehmer kann zugemutet werden, dass er ohne Lohn hängen gelassen wird. Deshalb gibt es die Entschädigung durch das Land." Aber in der Quarantäne helfe das nicht sofort, deshalb müsse der Arbeitgeber weiterzahlen und könne die Summen später vom Land zurückfordern.
"Aber nur, wenn er nicht zur Fortzahlung verpflichtet ist", erklärte Schnell. "Die entscheidende Frage ist also in diesen Fällen: Hatten die Arbeiter Anspruch auf Lohnfortzahlung in der Quarantäne. Die Verwaltungsgerichte haben das verneint. Wir sehen das anders", sagte der Vorsitzender Richter in der Urteilsbegründung. Und bei dieser juristischen Einschätzung gehe es nicht um die Bewertung, wer Schuld hatte an der Pandemie.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht die Sicht des OVG nicht teilen, sieht Schnell ein Problem. Nicht bei jedem der über 7000 Fälle könne geprüft werden, wer für die Ansteckung der Arbeitnehmer oder auch der Kontaktpersonen verantwortlich war, die dann zur Quarantäne geführt hat. Das OVG hält das für aussichtslos und appelliert an das Land und die Unternehmen, sich dann im großen Stil zu vergleichen und die Kosten zum Beispiel zu teilen.
"Die Betroffenen können sich ja in einer Schicht angesteckt haben, aber eben auch im Privatleben abends in der Kneipe oder in der Wohnunterkunft", sagte der Vorsitzende Richter und fragte: "Wie wollen die Behörden wie der Kreis Coesfeld das nachweisen?"
- Nachrichtenagentur dpa