Kiel Bericht des Rocker-Ausschusses nun öffentlich zugänglich
Die im Frühjahr 2017 medial erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit Ermittlungen der Polizei gegen Rockerkriminalität in Schleswig-Holstein wogen schwer: Knapp vier Jahre lang ging ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Vorwürfen der Aktenmanipulation, der Unterdrückung von Beweismitteln, der Einflussnahme von oben und Mobbing nach. Nun ist der mehr als 1000 Seiten umfassende Abschlussbericht öffentlich zugänglich.
"Im Ergebnis stelle ich für mich fest, dass Vorwürfe in der Vergangenheit, dass Grenzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens bewusst und strukturell überschritten worden seien, sich als haltlos erwiesen haben", sagte der Ausschuss-Vorsitzende Tim Brockmann (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Er wolle einzelnen Beteiligten nicht die Hauptschuld für die Eskalation innerhalb der Polizei zuweisen. "Ex post betrachtet hätte manches sicher anders gemacht werden können. Aber in der damaligen gefährlichen Situation waren schnelle Entscheidungen von Polizei und Staatsanwaltschaft erforderlich."
Auslöser waren polizeiliche Ermittlungen nach einem Überfall unter Rockern in einem Schnellrestaurant in Neumünster 2010. Sieben Jahre später rückte die Beharrlichkeit von zwei Ermittlern die Affäre in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Ausschuss kämpfte mit teils bemerkenswerten Gedächtnislücken, unzureichenden Aussagegenehmigungen und widersprüchlichen Erinnerungen damaliger Beteiligter. Die schwierige Aufklärungsarbeit der Abgeordneten führte dennoch zu einem vorsichtigeren Umgang mit V-Leuten. Dafür gelten strengere Regeln.
Für SPD-Obmann Kai Dolgner steht nach der Befragung von 59 Zeuginnen und Zeugen, Sachverständigen und Betroffenen fest: Viele medial erhobene Vorwürfe hätten sich nicht erhärtet. "Es gibt keine Hinweise für illegale Überwachungsmaßnahmen, konspirative Netzwerke von Polizeiführern oder der Vernichtung von Beweismitteln." Es habe aber gravierende Mängel in Fehler- und Führungskultur in Teilen des Landeskriminalamtes (LKA), Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze wie Aktenwahrheit und -klarheit und beim Umgang mit Vertraulichkeitszusagen und überzogene Personalmaßnahmen gegeben. Keinem der Beteiligten sei aber vorzuwerfen, "dass sie kriminellen Rockern irgendeinen Gefallen tun wollten".
Klar ist für Dolgner, "dass die teilweise bis heute immer noch verbreitete Erzählung, dass eigentlich nur zwei renitente Ermittler, die sich weisungswidrig verhalten hätten und gar Leib und Leben einer Quelle gefährdet hätten, die alleinige Ursache der Probleme sein würden, eine nicht aus den Tatsachen ableitbare Legende und Schutzbehauptung ist". Nach dem Überfall hatte der zuständige Oberstaatsanwalt entschieden, den von einem V-Mann-Führer stammenden, entlastenden Hinweis eines Informanten zu einem damals in Untersuchungshaft sitzenden Mann nicht zur Akte zu nehmen, weil dieser für ihn nicht erheblich gewesen sei.
Nach Ansicht von Dolgner muss sichergestellt werden, dass bei der Verschriftlichung von Quelleninformationen für die Ermittlungsakte sowohl Staatsanwaltschaft als auch die der zuständigen Ermittler eingebunden sind. "Wenn es keine Vertraulichkeitszusage gibt, dann sind die Informationen nicht etwa, wie im Subway-Verfahren geschehen, den Ermittlungsbeamten vorzuenthalten, sondern sie müssen ihnen vollständig mitgeteilt werden."
FDP-Obmann Jan Marcus Rossa vertritt in einem Punkt eine andere Position als die anderen Ausschussmitglieder. "Der wesentliche Unterschied in der Bewertung der Untersuchungsergebnisse liegt in der Frage, ob die Weisung des Leiters der SoKo Rocker an die Ermittlungsbeamten rechtmäßig gewesen ist, die vertraulichen Hinweise nicht zu verschriftlichen." Dies hänge im Normalfall entscheidend davon ab, ob die Staatsanwaltschaft die Polizei mit Ermittlungen konkret beauftragt habe oder - wie im Regelfall üblich - nur ersucht hat, Ermittlungen durchzuführen. Im ersten Fall läge die Weisungsbefugnis bei der Staatsanwaltschaft, im zweiten Fall bei den polizeiinternen Vorgesetzten. "Da die Staatsanwaltschaft allerdings die Entscheidung bereits getroffen hatte, dass eine Verschriftlichung unterbleiben sollte, war die entsprechende Weisung durch den Leiter der Sonderkommission Rocker an die beiden Ermittlungsbeamten in beiden Fällen rechtmäßig."
Grünen-Obmann Burkhard Peters betonte, "der Umgang mit verdeckten Quellen durch das LKA, die Staatsanwaltschaft Kiel und die Polizeiabteilung im Innenministerium hat sich in der Vergangenheit als höchst problematisch dargestellt". Zeugenaussagen, Sperrerklärungen, Vertraulichkeitszusagen und Verschwiegenheitsverpflichtungen unterlägen nicht der Beliebigkeit, sondern rechtsstaatlichen Anforderungen.
Für die Gewerkschaft der Polizei brachte der Ausschuss dagegen keine weitere Klärung. Er habe nur bereits 2017 von der Polizei eingeräumte defizitäre Abläufe und Kommunikation in Teilen des LKA bestätigt. Der Ausschuss habe "in kaum erträglicher Art und Weise eine Unkultur des Misstrauens in staatliches und polizeiliches Handeln geradezu zelebriert", sagte der Landesvorsitzende Torsten Jäger. "Die Landespolizei stand unter Dauerkritik und dem haarsträubenden Verdacht der willkürlichen Rechtsauslegung." Die Ausschusskosten in Millionenhöhe hätten weitaus sinnvoller verwendet werden können.
Der Anwalt des ins Visier geratenen Oberstaatsanwalts warf dem Ausschuss spekulative Sachverhaltsergänzungen und Unterstellungen vor. Mit maximalem Ermittlungsansatz seien minimale Ergebnisse erzielt worden. "Im Ergebnis: Viel Rauch um nichts."