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Alternatives Wirtschaftsmodell: Eine Kieler Firma kehrt dem Kapitalismus den Rücken


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Alternatives Wirtschaftsmodell
Eine Kieler Firma kehrt dem Kapitalismus den Rücken

Von Sven Raschke

27.06.2021Lesedauer: 4 Min.
Gründende und Mitarbeitende des Unternehmens stehen vor der Filiale. Die 30 MItarbeitenden können sich ihre Arbeitszeiten teilweise flexibel einteilen.Vergrößern des Bildes
Gründende und Mitarbeitende des Unternehmens stehen vor der Filiale. Die 30 MItarbeitenden können sich ihre Arbeitszeiten teilweise flexibel einteilen. (Quelle: Sven Raschke/leer)

Ein neues Wirtschaftsmodell hat in Kiel Fuß gefasst. Die Firma Oceanbasis wirtschaftet nach den Richtlinien der so genannten Gemeinwohl-Ökonomie – und stellt damit nicht die Gewinnmaximierung, sondern Naturschutz und Menschenwohl in den Mittelpunkt.

Im Kapitalismus gibt es für Unternehmen drei heilige Ziele: Gewinne, Gewinne, Gewinne. Das mag nicht jedem gefallen, aber so sind nun mal die Regeln. Kommunismus ist schließlich auch keine Lösung. Nach diesem scheinbar unumstößlichen Denkmuster funktioniert seit Jahrzehnten unser Wirtschaftssystem.

Doch in Kiel beweist eine kleine Firma erfolgreich, dass es offenbar doch auch anders geht. Gemeinwohl-Ökonomie, kurz GWÖ, nennt sich das noch recht junge Konzept, bei dem statt reiner Gewinnmaximierung das Wohl von Mensch und Natur im Mittelpunkt steht.

Mittlerweile 30 Mitarbeitende

Bei Oceanbasis, in Holtenau direkt an der Förde gelegen, werden seit 2001 Algen aus der Ostsee zu Kosmetik und anderen Produkten verarbeitet. Von zwei Meeresbiologen und dem gelernten Maschinenbauer Christian Koch gegründet, stand dabei laut selbigem schon immer die Nachhaltigkeit im Fokus. "Wir wollten zeigen, dass Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu bringen sind", sagt Christian Koch. Das gelang. Nach 20 Jahren ist die Firma von drei auf mittlerweile dreißig Mitarbeitende angewachsen.

Vor zwei Jahren dann wurde man bei Ocean Basis auf die GWÖ-Bewegung aufmerksam. Vor elf Jahren in Österreich entstanden, misst diese den Erfolg eines Unternehmens an vier Grundsäulen:

  • Menschenwürde
  • ökologische Nachhaltigkeit
  • Solidarität und Gerechtigkeit
  • Tranzparenz und Mitentscheidung

Je besser ein Unternehmen in den einzelnen Bereichen abschneidet, desto besser seine GWÖ-Bewertung.

"Davon waren alle hier sehr angetan, denn wir haben unseren Wertekanon darin wiedergefunden", sagt Christian Koch. Mithilfe der erst im vergangenen Sommer gegründeten GWÖ-Regionalgruppe Kiel lässt sich die Firma zurzeit nach den GWÖ-Richtlinien bilanzieren.

Weg von Amazon, hin zu sauberen Lieferketten

Praktisch bedeutet die GWÖ-Orientierung etwa, dass sich die Firma von Amazon zurückgezogen hat. "Wir hatten unsere Algenflakes bei Amazon verkauft. Das ging wie geschnitten Brot – ganz ohne Werbung. In Nullkommanix hatten wir fünfstellige Umsätze", sagt Koch. "Dann haben wir aber gedacht: So wie Amazon, was man so hört, seine Mitarbeitenden behandelt und wie sie in Punkto Nachhaltigkeit agieren – das passt nicht zu uns." Das sei zwar ein Umsatzverzicht gewesen – allerdings auch kein großer. Denn, so Koch, verdienen tue bei Amazon hauptsächlich Amazon. Für die Lieferanten falle nur wenig ab. Die Kosmetik-Produkte von Oceanbasis findet man trotzdem weiterhin auch auf amazon.de. "Weil unsere Kunden dort unsere Produkte weiterverkaufen", so Koch.

Womit ein weiterer wichtiger Punkt der GWÖ-Philosophie angeschnitten ist: Das der Lieferketten. "Kinderarbeit zum Beispiel", sagt Koch, "gibt es bei uns natürlich nicht. Und auch nicht bei unseren Lieferanten. Aber wie ist es denn mit den Lieferanten der Lieferanten?" Hier sieht Koch selbst noch Verbesserungsbedarf in seiner Firma. Sheabutter etwa, ein Rohstoff, den Oceanbasis in seiner Kosmetik verwendet, erhalten die Kieler von einem deutschen Zwischenhändler, der ihn wiederum aus Ostafrika bestellt.

Im Zuge der gerade laufenden GWÖ-Bilanzierung haben die Mitarbeitenden von Oceanbasis genauer bei ihren Lieferanten nachgefragt. "Bei einigen von ihnen ist das auf fruchtbaren Boden gestoßen, und die holen jetzt wiederum Informationen von ihren Lieferanten ein." Eine Kette, die sich, so hofft Koch, weiter fortsetzen wird – bis ausgeschlossen werden kann, dass Kinderhände die Sheabutter in Oceanbasis-Produkten geerntet haben.

Zufriedene Mitentscheider statt gehorsame Angestellte

Zu den zentralen Richtwerten der GWÖ zählt auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden . Die wird bei der Bilanzierung etwa durch Umfragen gemessen. Ohne die Umfrageergebnisse bei Oceanbasis zu kennen, erweckt zumindest ein kurzer Gang durch die Firma den Eindruck, dass mit schlechten Noten in diesem Punkt nicht zu rechnen ist. Es wird gelacht und gescherzt, mit dem Chef nicht weniger als mit den übrigen Kollegen, die Atmosphäre wirkt freundlich und entspannt.

"Ich bin seit 14 Jahren hier", sagt Thorsten Walter, der sich als "Produktmanager nach der Visitenkarte", aber eigentlich als "Mädchen für alles" bezeichnet. "Es ist jeden Morgen eine Freude, zu Arbeit zu fahren", sagt er. "Es gibt hier kein 'ich Chef, du Angestellter'. Alles ist familiär und auf Augenhöhe. Die Offenheit, die hier herrscht, auch gegenüber verschiedenen Denkrichtungen – jeder wird abgeholt, wo er steht. Ich kenne keinen schöneren Arbeitsplatz."

Freie Einteilung der Arbeit möglich

Susanne Woldmann, Projektmanagerin und Mutter zweier Kinder, sagt: "Es macht Spaß hier, die Arbeit ist vielseitig und selbstbestimmt, und man hat viel Mitspracherecht. Ich kann kommen und gehen, wann ich will – gerade wenn man Familie hat, ist das toll!" Neben den Arbeitszeiten bestimmt bei Oceanbasis auch jeder die Zahl seiner Urlaubstage selbst.

Lob von den Angestellten, Eigenlob vom Chef – etwas anderes wird ein Journalist beim Firmenbesuch, so ehrlich es in diesem Fall auch klingen mag, selten zu hören bekommen. Aber auch von Lisa Buddemeier, der Organisatorin der besagten GWÖ-Regionalgruppe Kiel, sind ganz ähnliche Töne zu hören. "Ich finde es einfach großartig, wie ernst sie bei Oceanbasis diesen Prozess nehmen", so Buddemeier.

Sie ist der Überzeugung, dass die GWÖ-Orientierung in der Firma deutliche Wirkung zeigt – besonders bei der Arbeitsatmosphäre und der Beteiligung aller Mitarbeitenden bei Entscheidungen. "Ich habe den Eindruck dass sie mit einer sehr großen Authentizität an das Thema herangehen und dass die Werte der Firma und der GWÖ optimal zusammenpassen."

Oceanbasis mach Schule in Kiel

Oceanbasis ist laut Buddemeier das erste Unternehmen in Kiel, das sich bewusst nach den GWÖ-Richtlinien ausrichtete. Und mittlerweile nicht mehr das einzige. Ein knappes Dutzend weiterer Firmen seien seitdem ebenfalls in diese Richtung vorgestoßen: etwa der "Unverpackt"-Laden am Schützenwall oder die Kommunikationsagentur "New Communication".

Das Ergebnis der GWÖ-Bilanzierung von Oceanbasis steht in einigen Wochen an. "Allerdings ist mir die Bewertung und das Zertifikat nur sehr nachrangig wichtig", sagt Christian Koch. "Viel wichtiger ist der Prozess, den wir damit in Gang gesetzt haben. Ich war 15 Jahre meines Lebens in irgendwelchen großen Konzernen. Da muss das letzte Promille an Produktivität rausgequetscht werden."

Solch eine Firma, so Koch, könnte die Gemeinwohl-Ökonomie zwar als "esoterisches Geblubber" abtun. "Aber dem würde ich entgegensetzen: Leute wollen überall das Gefühl haben, an einem guten Produkt zu arbeiten und damit etwas sinnvolles für die Gesellschaft zu tun. Das gelingt mit einer guten GWÖ-Bilanz sehr viel eher, als wenn der Meister durch die halle schreit: 'Mehr arbeiten!'" Und glückliche Mitarbeitende, davon ist Koch überzeugt, spiegelten sich dann auch irgendwann in besseren Bilanzen wider.

Verwendete Quellen
  • Lisa Buddemeier, Organisatorin GWÖ Regionalgruppe Kiel
  • Christian Koch, Geschäftsführender Gesellschafter Oceanbasis
  • weitere Mitarbeitende von Oceanbasis
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