Millionenprojekt Ortsbesuch am "Kleinen Kiel"-Kanal – was denken Menschen wirklich?
Der Kleine Kiel-Kanal soll die Innenstadt beleben. Nach jahrelanger Bauzeit ist er nun eingeweiht – doch wie kommt er bei den Menschen vor Ort an? t-online-Autor Sven Raschke hat sich umgesehen.
Eingeweiht wurde der Kleine Kiel-Kanal bereits vor einem Monat. Jetzt sind so langsam auch die letzten Arbeiten abgeschlossen. Die überbrückten Wasserbecken sollten die Innenstadt attraktiver machen, nicht zuletzt der Einzelhandel sollte davon profitieren.
Das mit der Attraktivität ist, egal wo und wen man fragt, auf jeden Fall gelungen. Bleibt die Frage zu klären, ob das unbestrittene Atmosphäre-Plus auch tatsächlich mehr Menschen anlockt – und damit wie erhofft das Geschäftsleben rund um die Holstenbrücke belebt.
Nach knapp drei Jahren Bauzeit und einer Beinahe-Verdopplung der Kosten von 11,5 auf fast 19 Millionen Euro weist jetzt lediglich noch eine kleine, eingezäunte Fläche am nördlichen Ende auf die letzten noch zu erledigenden Arbeiten hin. Ein paar Pflanzeninseln und letzte Sitzgelegenheiten – ganz wie am anderen Ende der Straße Holstenbrücke – müssen hier noch errichtet werden. Im Laufe des Herbstes wolle man damit fertig sein, heißt es von der Stadt.
"Ein paar mehr Kaffees und Restaurants wären schön"
Ungeachtet dessen gefällt den Kielern ihr neues Innenstadt-Aushängeschild offenbar. Eine Gruppe Angestellter verbringt die Mittagspause am Kanal. "Wir finden's super. Es hat die Innenstadt schon deutlich aufgewertet. Wir können uns schon vorstellen, jetzt öfter hierherzukommen." Auch bei den Touristen kommt der Kanal gut an. "Sehr schön, dass Wasser und Shopping so nah beieinander sind", findet ein Paar.
Kritikpunkte fallen den meisten erst auf den zweiten Blick ein. "Leider ist es manchmal etwas vermüllt", findet Mariam Nazari (32). "Aber es wird auch immer wieder sauber gemacht." Und nicht als einzige stört sie der laute Busverkehr. Zwar ist der Abschnitt für Pkws und auch Taxis tabu. Busse halten hier dafür umso häufiger, und deren Motoren sind trotz eigens aufgebrachtem Flüsterbelag deutlich zu hören. Der ein oder andere Besucher würde deshalb eine komplett autofreie Innenstadt bevorzugen.
Bernd (56) und Susanna (52) Stächer wünschen sich ein reichhaltigeres Umfeld: "Ein paar mehr Kaffees und Restaurants wären schön." Denn noch herrscht rund ums hübsche Nass reichlich Leerstand. Den Bedarf nach mehr Schatten dürften in einigen Jahren die rund 30 Linden decken, sobald sie eine entsprechende Größe erreicht haben.
Ein anderes Paar würde sich klareres Wasser wünschen. Die trübe Wasserfarbe mag damit zusammenhängen, dass der Kleine Kiel-Kanal strenggenommen gar kein Kanal ist. Zwar führen zwei Fußgängerbrücken über das 9,5 Meter breite und 170 Meter lange Wasserbecken. Seine beiden Enden sind jedoch weder mit dem Kleinen Kiel noch mit dem Bootshafen verbunden.
Der Wunsch der Kieler nach mehr Kaffees und Restaurants entlang des Kanals wird sich schon bald erfüllen. Sämtliche noch leerstehende Gebäude seien bereits an Gastronomiebetriebe vergeben, so Innenstadtmanager Jonas Godau von Kiel Marketing. Neben einem Brauhaus sollen mehrere kleinere Stände mit verschiedenen Angeboten in den Leerstand ziehen.
"Zweifler sind größtenteils verschwunden"
Der Bau des Kanals habe eine Vielzahl privater Investitionen im Umfeld ausgelöst, so Felix Schmuck, Leiter der Stadtplanung. "Wir haben das mal umgerechnet. Der städtische Eigenanteil am Kanal liegt bei circa sechs Millionen Euro. Und es sind seitdem Investitionen in Hotels, Wohnungen und Geschäfte im Umfang von 100 Millionen Euro entstanden."
Auch sonst zeigt sich Felix Schmuck zufrieden mit dem Ergebnis: "Man sieht schon jetzt, wie gut der neue Raum von Kielern und Besuchern angenommen wird." Auch von den Kaufleuten im direkten Umfeld bekomme er durchweg positives Feedback. "Dort ist große Begeisterung. Die Zweifler vom Beginn des Projektes sind größtenteils verschwunden."
Innenstadtmanager Jonas Godau bestätigt: "Wir sehen jetzt schon nach den ersten Wochen, wie der Kanal zur Belebung der Innenstadt beiträgt. Gerade bei gutem Wetter treffen sich die Leute hier, setzen sich ans Wasser, trinken Kaffee – genauso, wie man es sich vorgestellt hatte."
Corona bremst Passantenzahlen aus
Das zeigen auch die Passantenzahlen, die an beiden Enden der angrenzenden Holstenstraße gemessen werden. Im Schnitt sind dort an Werktagen 17.500 Menschen unterwegs. "Da hat natürlich Corona für einen riesigen Einschnitt gesorgt", so Godau. Auch der noch recht kurze Zeitraum seit der Eröffnung mache Vergleiche schwer. "Trotzdem liegen wir für den Juli, als ein Teil des Kanals bereits eröffnet wurde, sogar leicht über den Werten des Vorjahres." Einen Tag nach der Teileröffnung wurden knapp 19.500 Personen gezählt.
Im August gab es dann noch einmal eine deutliche Steigerung vor allem an den Sonntagen. Die bisherigen Zahlen für den September lassen erkennen, dass der Trend anhält. Am nördlichen Messpunkt bei Saturn werden aktuell täglich etwa 2.000 Passanten mehr pro Tag gezählt als im vergangenen Jahr. Dabei, schränkt Godau ein, müsse man aber beachten, "dass das Wetter im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich besser ist, was sich sichtlich positiv auswirkt."
Allerdings hat sich laut Godau der Umsatz in den Geschäften nicht in ähnlicher Weise erholt wie die Passantenzahlen. Er formuliert es positiv: "Das heißt für uns, dass die Leute häufiger in die Innenstadt kommen, weil sie es jetzt hier attraktiver finden."
Auch scheint die Strahlkraft des Kleinen Kiel-Kanals seine Grenzen zu haben. Der Bio-Supermarkt in der Schlossstraße gleich hinter der St. Nikolai-Kirche liegt etwa 300 Meter vom Kanal entfernt. "Bei uns ist leider noch keine Belebung spürbar", heißt es von dort. "Es kann sein, dass der Effekt nicht bis dorthin wirkt", gesteht Innenstadtmanager Jonas Godau ein. "Dafür braucht es dann weitere Anziehungspunkte."
- Gespräche vor Ort
- Interview mit Jonas Godau und Felix Schmuck