Karlsruhe "Kohl-Protokolle": Kaum Aussicht auf Millionen-Entschädigung
Im Streit vor dem Bundesgerichtshof (BGH) um ein Buch über Altkanzler Helmut Kohl und verletzte Persönlichkeitsrechte sieht es für seine Witwe Maike Kohl-Richter schlecht aus. Dass sie an die von ihrem Mann kurz vor dem Tod erkämpfte Millionen-Entschädigung kommt oder ihr sogar noch mehr Geld zugesprochen wird, ist nach der Verhandlung am Montag in Karlsruhe kaum zu erwarten. Ein Anspruch darauf sei grundsätzlich nicht vererblich, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters in einer vorläufigen Einschätzung. Er sehe bisher auch keine Gründe für eine Ausnahme - zumal die Entscheidung des Kölner Landgerichts noch nicht rechtskräftig war. Ein Urteil will der BGH Ende November verkünden. (Az.: VI ZR 248/18 und VI ZR 258/18)
Hintergrund ist der Bestseller "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" aus dem Jahr 2014. Kohls Ghostwriter und früherer Vertrauter Heribert Schwan sollte die Memoiren des ehemaligen CDU-Chefs schreiben und traf sich 2001 und 2002 an mehr als 100 Tagen mit dem Altkanzler bei ihm zu Hause in Ludwigshafen. Kohl erzählte aus seinem Leben und seiner Amtszeit, etwa 630 Stunden Gespräch zeichnete der Historiker und Journalist auf. Nach drei von vier geplanten Bänden zerstritten sich die beiden allerdings. Eigenmächtig veröffentlichte Schwan das Buch.
Darin zitiert er Kohl mit abwertenden Urteilen etwa über Politiker wie Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Kohl habe sich teils einer "umgangssprachlichen" und "drastischen" Wortwahl bedient, formulierte Seiters. 116 Passagen sind so umstritten, dass vor dem BGH auch über ihre Verbreitung verhandelt wird. Dabei geht es unter anderem um fehlerhafte Zitate und um Formulierungen, die aus dem Kontext gerissen sein könnten.
Kohl verlangte von Schwan, Co-Autor Tilman Jens und dem mitbeklagten Verlag mindestens fünf Millionen Euro nebst Zinsen. Das Landgericht Köln sprach ihm 2017 immerhin eine Million Euro wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu - die höchste Entschädigung der deutschen Rechtsgeschichte. Nachdem der 87-Jährige gestorben war, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln, der Anspruch auf diese Geldentschädigung sei nicht vererblich. Dagegen geht Kohl-Richter nun vor dem BGH vor und erhebt dieselbe Forderung wie ihr Mann.
Die Frage, die in beiden Fällen - den Zitaten und dem Geld - nun eine Rolle spielt, ist die nach dem Schutz der Persönlichkeit und der Menschenwürde über den Tod hinaus. Dieser ist deutlich enger gefasst als zu Lebzeiten, so viel wurde am Montag deutlich. Doch wird das Ansehen Kohls nachhaltig beschädigt, wenn eine nicht im ausführlichen Kontext wiedergegebene Aussage suggeriert, er habe keine Gefahr von rechts gesehen? Auch stellt sich zum Beispiel die Frage, ob man - beziehungsweise Hinterbliebene - eine Indiskretion hinnehmen muss oder sie dennoch wie ein schwerer Vertrauensbruch wiegt.
Was die Geldentschädigung angeht, argumentierte Kohl-Richters Anwalt, die Schuldner seien nach dem Kölner Urteil in Verzug gewesen. Er sprach von einer "Diskriminierung des Alters", wenn sich Menschen am Lebensalter nicht darauf verlassen könnten, dass ihre Erben erstrittenes Geld bekommen. Die Gegenseite bezeichnete das als "juristischen Salto Mortale". Richter Seiters hatte gesagt, dass es bei dem Geld um Genugtuung gehe, die Tote nicht erfahren könnten.
Schwan sprach in einer Reaktion von einem "Lichtblick in meiner unappetitlichen Auseinandersetzung mit der Kohl-Erbin". "Die geldgierige Kohl-Witwe wird wohl endgültig finanziell leer ausgehen und muss erhebliche Prozesskosten erstatten", schrieb er der dpa.
Bei den Textpassagen sieht der sechste Zivilsenat nur einen Teil wirklich fraglich. Bei anderen, die mit einem Sperrvermerk versehen waren, sei hingegen nicht erkennbar, warum eine Veröffentlichung die postmortale Menschenwürde berühren würde, führte Seiters aus. Hier könnte es darauf hinauslaufen, dass der BGH das Verfahren zurückverweist und das OLG einzelne oder alle Zitate bewerten muss.
Der Fall ist komplex: So ist Schwan beispielsweise in Bezug auf die Passagen nicht von der BGH-Verhandlung betroffen. In seinem Fall hatte das OLG die Berufung zurückgewiesen, weil er anlässlich der "Memoirengespräche" mit Kohl Verschwiegenheit vereinbart hatte. Eine Beschwerde Schwans dagegen, dass das OLG keine Revision zuließ, hatte beim BGH keinen Erfolg. Das Verfahren ist abgeschlossen.
Anders sieht es im Fall von Co-Autor Jens aus. Weil der Journalist vergangenes Jahr starb, sind die Rechtsstreitigkeiten mit seinen Erben den Angaben zufolge in beiden Punkten unterbrochen.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass der BGH sich mit der Thematik befasst. Vor gut einem Jahr erzielte Kohl-Richter einen Teilerfolg gegen Schwan: Er muss ihr Auskunft geben, was von den Gesprächen mit dem Altkanzler noch auf Band oder abgetippt existiert. An Unterlagen aus dem Kanzleramt, die Schwan möglicherweise in seinem Besitz hat, kommt die Kohl-Seite aber nicht mehr heran. (Az. III ZR 136/18)
Gegen das Urteil legte Schwan Verfassungsbeschwerde ein, wie sein Anwalt mitteilte. Darüber sei noch nicht entschieden. Dennoch habe Kohl-Richter schon Auskünfte verlangt, die Schwan auch erteilt habe.