Bundesgerichtshof Gedenktafel für Reichsrichter in Lagerhaft: BGH diskutiert
Seit den 1950er Jahren erinnert eine Gedenktafel am Bundesgerichtshof (BGH) an das Schicksal höchstwahrscheinlich NS-belasteter Juristen - jetzt soll entschieden werden, was damit am besten passiert. Dafür lässt BGH-Präsidentin Bettina Limperg derzeit von Wissenschaftlern die genauen Hintergründe erforschen. Erste Ergebnisse sollen am Montag (11.00 Uhr) bei einem Symposium in Karlsruhe vorgestellt und diskutiert werden.
Die marmorne Tafel ist in eine Wand im ersten Stock des historischen Hauptgebäudes eingelassen, des Erbgroßherzoglichen Palais. Darauf steht: "Zum Gedächtnis der 34 Mitglieder des Reichsgerichts und der Reichsanwaltschaft, die in den Jahren 1945 und 1946 in den Lagern Mühlberg an der Elbe und Buchenwald umgekommen sind".
Bis 1945 hatte das oberste deutsche Zivil- und Strafgericht seinen Sitz in Leipzig. Dort waren die Juristen nach Ende des Zweiten Weltkriegs von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und später mehrheitlich in das bisherige Kriegsgefangenenlager Mühlburg gebracht worden, später auch ins frühere Konzentrationslager Buchenwald.
Einer der wahrscheinlich nur drei Überlebenden, der frühere Reichsgerichtsrat August Schaefer, hatte 1957 für die "Deutsche Richterzeitung" über - so der Titel - "Das große Sterben" geschrieben. Er schilderte harte Arbeitseinsätze und katastrophale hygienische Bedingungen, die 34 seiner Mitinsassen nicht überlebten - ein Drittel aller Mitglieder des früheren Reichsgerichts und der Reichsanwaltschaft. "Ein schweres Schicksal, unverdient für das Gericht und für seine Mitglieder", schrieb Schaefer.
Bei der Enthüllung der Tafel im Oktober 1957 sprach der erste BGH-Präsident Hermann Weinkauff von "unschuldigen Opfern" und "Märtyrern des Unrechts". Mehr als 20 Jahre lang gab es einen blumengeschmückten, altarähnlichen Vorbau und ein Kondolenzbuch für die Hinterbliebenen und Besucher des Gerichtshofs.
Erst 1979 machte das Magazin "Stern" öffentlich, dass unter den 34 Reichsrichtern und -anwälten immerhin 23 treue NSDAP-Mitglieder gewesen seien, und sprach von einer "Gedenktafel für Nazi-Richter".
Heute weiß man, dass "jedenfalls zahlreiche, wenn nicht die meisten der Personen, deren mit der Tafel gedacht wird, in der NS-Zeit an Unrechtsurteilen beteiligt" waren, wie Limperg in ihrer Einladung zum Symposium schreibt. Blumen und Kondolenzbuch sind längst entfernt. Im Erdgeschoss des Palais steht heute eine dreieckige Stele aus vergoldetem Messing als Mahnmal für die Opfer der NS-Justiz.
Aber wie soll es mit der Tafel selbst weitergehen? BGH-Anwalt Volkert Vorwerk kritisierte im Februar 2018 in der Wochenzeitung "Die Zeit" die unterbliebene Aufarbeitung und schrieb: "Die Tafel kann unkommentiert keinesfalls länger hängen bleiben. Uns täte es gut, man risse sie aus der Wand." Am BGH selbst will man die Zukunft der Tafel auf Grundlage der Forschungen ergebnisoffen diskutieren.
Seit März 2018 gibt es neben der Tafel eine kleine Plakette mit einer knappen Erläuterung und dem Verweis auf die in Auftrag gegebene Untersuchung, seit etwa einem halben Jahr auch noch einen großen Aufsteller. Die Nachforschungen der Mainzer Wissenschaftler Michael Kißener und Andreas Roth sind Teil einer umfangreichen Aufarbeitung von NS-Belastungen des BGH in den Jahren 1950 bis 1965, wie es sie auch schon für das Justizministerium und die Bundesanwaltschaft gab. Dieses Projekt soll voraussichtlich 2024 abgeschlossen sein.
Das Symposium hatte eigentlich schon 2020 stattfinden sollten, musste wegen der Corona-Pandemie aber zweimal verschoben werden.