Potsdam Mehr als ein Drittel der Kommunalpolitiker wurde angegriffen
Beleidigung, Bedrohung, Gewalt: Mehr als jeder dritte Kommunalpolitiker in Brandenburg ist in den vergangenen Jahren Opfer von Angriffen geworden. Das geht aus einer Studie für das Innenministerium hervor, die Minister Michael Stübgen (CDU) am Montag in Potsdam vorstellte. 35,5 Prozent der Mitglieder aus Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen, Gemeindevertretungen sowie der Oberbürgermeister, Bürgermeister und Amtsdirektoren berichteten, sie hätten seit 2014 mindestens einmal Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung oder Gewalt erlebt. Rechnerisch vergehe fast kein Tag, an dem es nicht irgendwo im Land zu Angriffen komme. Die Landesregierung kündigte Konsequenzen an. Rund 1500 Politiker beteiligten sich an der Studie.
Die Opfer: Am stärksten betroffen sind mit je 52 Prozent Mitglieder von Kreistagen sowie Oberbürgermeister, Bürgermeister und Amtsdirektoren, heißt es in der Studie. In Städten mit mehr als 20 000 Einwohnern ist fast die Hälfte der Kommunalpolitiker betroffen, in kleinen Dörfern unter 1000 Einwohnern ein Viertel und weniger. Frauen sind der Studie zufolge eher Opfer als Männer. Auch die Partei spielt eine Rolle: Politiker von AfD, Grünen und der Linken berichten häufiger von Angriffen. Und Politiker wurden häufiger Opfer, die sich klar für oder gegen Windkraft, Asyl oder Extremismus positionieren.
Die Angriffe: Am häufigsten sind Beleidigungen, sie werden von einem Drittel der Kommunalpolitiker genannt, wie die Forscher in der Studie der Beratungsfirma Change Centre schreiben. Bedrohungen machen knapp ein Fünftel aus, Sachbeschädigungen rund ein Siebtel. Beleidigungen im Netz gab rund ein Fünftel an, Bedrohungen im Netz fast ein Achtel. Vier Prozent sagen, es sei zu körperlicher Gewalt gekommen. Etwa die Hälfte von 49 telefonisch interviewten weiblichen Amts- und Mandatsträgern sprach von Beleidigungen mit sexistischem Hintergrund oder Anspielungen auf das Geschlecht. Eine Bürgermeisterin berichtete von dem Satz: "Die Schlampe müsste abgeschlachtet werden."
Politiker von AfD, Grünen, der Linken und der Freien Wähler geben mehr Angriffe als der Durchschnitt der Befragten an. Vor allem Kreistagsmitglieder berichten von Angriffen, auch Politiker von FDP und SPD. AfD-Mitglieder erlebten Sätze wie "Nazischweine", Linke-Politiker sollten dahin gehen, wo die Ausländer herkämen. Rund jeder zehnte Kommunalpolitiker wurde ein bis zwei Mal persönlich bedroht. Darunter sei eine Morddrohung per Mail bei Mitgliedern von Kommunalparlamenten und die Drohung gegen einen OB, ihn abzustechen. Ein OB berichtete von der Drohung, ihn und seine Familie aufzuhängen.
Regionale Hotspots: Die Studie zeigt, dass Kommunalpolitiker in der Region um Senftenberg an der Grenze zu Sachsen sowie in Potsdam besonders betroffen sind. Dort gab jeweils mehr als die Hälfte an, Opfer von Angriffen geworden zu sein.
Beispiele: Die Stadt Cottbus berichtet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung seien regelmäßig Beleidigungen vor allem verbaler Art ausgesetzt. Die Respektlosigkeiten hätten alle Ebenen erreicht. Der OB von Cottbus, Holger Kelch (CDU), hatte 2019 berichtet, er habe Hassmails und Morddrohungen bekommen, als er 2017 nach dem Mord an einer Rentnerin durch einen Syrer dazu aufrief, Ruhe zu bewahren. Der OB von Frankfurt (Oder), René Wilke (Linke), war laut Stadt in den vergangenen Jahren per Brief und persönlich Bedrohungen ausgesetzt. Die Fälle seien angezeigt worden. Nach seinem Amtsantritt erhielt er 2018 eigenen Angaben zufolge Morddrohungen.
Senftenbergs Bürgermeister Andreas Fredrich (SPD) sprach von Hass, Hetze und Bedrohung. "Persönlich habe ich das erlebt bis vor die Haustür", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Bei Bedrohung erstatte er Anzeige, alles andere mache er mit sich aus. Die Bürger fänden den rauen Umgangston unmöglich. Mit der Corona-Pandemie habe sich eine aggressive Grundstimmung noch einmal verstärkt.
Die Täter: Für Angriffe kommen nach den Erkenntnissen der Forscher Bürgerinnen und Bürger in Betracht, aber auch Kommunalpolitiker selbst. Mit 36,5 Prozent berichtet mehr als ein Drittel der befragten Opfer, dahinter steckten Mitglieder anderer Fraktionen ihrer Kommune oder ihres Landkreises. Etwa ein Viertel gibt an, Täter oder Täterin seien unbekannt, ein weiteres Viertel kennt die Person. Rund sieben Prozent vermuten die Drahtzieher in der eigenen Fraktion oder Partei. 22 Prozent derer, die darauf antworteten, gehen von einem rechtsradikalen Hintergrund aus, 13 Prozent von einem linksradikalen.
Konsequenzen: Nur rund 27 Prozent der Opfer mit mindestens einem Angriff meldeten den Vorfall der Polizei, wie die Studie ergab. In persönlichen Befragungen dominiert ein mangelnder Glaube an Strafverfolgung und effektive Verurteilungen. Die Landesregierung will mit mehr Training gegensteuern, um Kommunalpolitiker bei Konfliktsituationen fit zu machen. Es soll Hilfe und Beratung geben.