Potsdam Brandenburg: Höchste Zahl politisch motivierter Straftaten
Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist in Brandenburg vor allem wegen der Corona-Pandemie und der Bundestagswahl im vergangenen Jahr auf den höchsten Wert seit 20 Jahren gestiegen. Die Polizei zählte insgesamt 3661 solcher Straftaten - das sei ein Anstieg um fast zwei Drittel im Vergleich zum Jahr zuvor, teilten Innenminister Michael Stübgen (CDU) und Polizeipräsident Oliver Stepien am Montag mit. Darunter waren 818 Straftaten im Zusammenhang mit Corona und 619 wegen der Bundestagswahl. Der Großteil davon konnte keinem Bereich zugeordnet werden. Politisch motivierte Kriminalität wird in Brandenburg seit 2001 erfasst.
Die Zahl der Fälle politisch motivierter Kriminalität von rechts nahm um vier Prozent auf 1813 zu, eie politische Gewaltkriminalität wuchs um zwei Drittel auf 179 Fälle. Der Großteil ging mit 108 Fällen auf Kriminalität von rechts zurück. Der Bereich rassistischer Gewaltdelikte stieg um 11 auf 74 Fälle. Die Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge sanken um 17 Prozent auf 159 Fälle.
Zur Kriminalität von rechts gehört laut Ministerium auch der gewaltsame Tod einer fünfköpfigen Familie aus Königs Wusterhausen (Landkreis Dahme-Spreewald). Der 40-jährige Vater soll erst die Kinder im Alter von vier, acht und zehn Jahren sowie seine 40-jährige Frau und anschließend sich selbst mit einer Schusswaffe getötet haben. In einem Abschiedsbrief soll er seine Sorge vor einer Verhaftung mitgeteilt haben, weil er das Impfzertifikat seiner Frau habe fälschen lassen. Antisemitismus war laut Polizei einer der Gründe für die Tat. Nach der Auswertung von Chatverläufen auf dem Handy des Mannes war er davon überzeugt, dass es im Zusammenhang mit der staatlichen Impfkampagne eine jüdische Weltverschwörung gebe.
"Die zunehmenden Gewaltbereitschaft und Radikalisierung innerhalb der Pandemieleugner-Bewegung beobachten wir mit großer Sorge", sagte Anne Brügmann, Projektkoordinatorin des Vereins Opferperspektive. "Daher stellt es aus unserer Sicht auch ein schweres Versäumnis der Brandenburger Landesregierung dar, das rechte Tötungsdelikt in Senzig mit vier Todesopfern nicht ausreichend und deutlich genug verurteilt zu haben", ergänzte Martin Vesely, Berater der Opferperspektive.
Der Verein registrierte zwölf Gewalttaten im Zusammenhang mit der von rechten Kräften getragenen Mobilisierung gegen die Corona-Bestimmungen. Im Jahr 2020 seien dies vier Gewalttaten gewesen. Auch die Zahl der Angriffe auf politische Gegner sei mit 23 Vorfällen deutlich gestiegen; im Jahr 2020 waren es demnach 9 Fälle. Verschoben habe sich die regionale Verteilung rechter Angriffe. "So liegen die Landkreise mit den meisten registrierten rechten Angriffen 2021 in Südbrandenburg, während es im Vorjahr Landkreise in Nordbrandenburg waren", hieß es in der Mitteilung des Vereins.
Die Zahl der Fälle politisch motivierter Kriminalität von links stieg nach Ministeriumsangaben drastisch um 130 Prozent auf 386. Die Zahl antisemitischer Straftaten nahm um zwei Prozent auf 150 zu. Darunter seien drei Gewaltdelikte gewesen, drei weniger als im Jahr zuvor. 50 antisemitische Straftaten wurden im Internet begangen, davon waren 28 sogenannte Hasspostings. Die Polizei zählte außerdem 27 Straftaten mit religiösem Motiv und sechs mit dem Hintergrund einer ausländischen Ideologie - in beiden Fällen gingen die Zahlen zurück.
Die Straftaten, die sich um die Corona-Pandemie drehen, schnellten im Vergleich zu 2020 auf fast das Siebenfache nach oben. Darunter waren 36 Gewaltdelikte. 70 Fälle gingen auf Kriminalität von rechts zurück und neun von links. Die Polizei zählte 361 Straftaten wegen gefälschter Impf- und Testnachweise sowie falscher QR-Codes. Dazu kamen 242 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, 50 Straftaten gegen Polizeibeamte und 33 gegen Amts- oder Mandatsträger.
Zu den Straftaten im Zusammenhang mit der Bundestagswahl zählten in 484 Fällen Sachbeschädigungen etwa von Plakaten, 70 Diebstähle und sieben Gewaltdelikte. 190 Fälle gingen auf Kriminalität von links zurück, 65 von rechts. 96 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger oder Parteipolitiker hatten mit der Bundestagswahl zu tun. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 303 Straftaten, die sich gegen Amts- und Mandatsträger oder Parteipolitiker richteten - das ist ein Anstieg auf mehr als das Doppelte.
Innenminister Stübgen sprach von einem traurigen Rekord. Die Bundestagswahl und das zweite Corona-Pandemiejahr seien die Haupttreiber einer Entwicklung, "die uns als Gesellschaft zutiefst beunruhigen muss", teilte er mit. Politische Überzeugung finde in Wahlen Ausdruck. "Wer aber seinen Hass gegenüber politisch Andersdenkenden durch Sachbeschädigung, Beleidigung oder gar Gewalt ausdrückt, tritt die Demokratie mit Füßen."
Die Rekordzahl bei der politisch motivierten Kriminalität seit 2001 sei ein besorgniserregendes Signal, sagte die innenpolitische Expertin der Linke-Fraktion im Landtag, Marlen Block. "Es zeigt, dass die Risse in der Gesellschaft tiefer werden, die Debatten zunehmend aggressiver." Hauptproblem bleibe der Rechtsextremismus mit 1813 Straftaten, meinte Block. "Das zeigt sich auch bei den Gewaltdelikten, die im rechtsextremen Bereich von 69 auf 108 Fälle angestiegen sind."