Wurster Nordseeküste Ein Toter, Sturmflut, Böen: Orkan tobt sich aus
Das Orkantief "Zeynep" hat sich in Niedersachsen und Bremen mit aller Macht ausgetobt - und mindestens einen Menschen das Leben gekostet. Auch Verletzte gab es. In der Gemeinde Wurster Nordseeküste im Landkreis Cuxhaven stürzte ein 68-Jähriger während des Sturms vom Dach und starb. Der Mann habe in der Nacht zum Samstag versucht, das beschädigte Dach eines Stalls zu reparieren, teilte die Polizei mit. Dabei brach er durch das Dach und stürzte etwa zehn Meter in die Tiefe. Das Orkantief überquerte Deutschland mit Windgeschwindigkeiten von örtlich mehr als 160 Stundenkilometern.
Der Spitzenwert bei den Windgeschwindigkeiten wurde in der Deutschen Bucht vor der Wesermündung gemessen: Am Nordsee-Leuchtturm "Alte Weser" erreichte die Windgeschwindigkeit rund 162 Kilometer pro Stunde, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte. Am Flugplatz Nordholz bei Cuxhaven wurden in der Spitze rund 140 Stundenkilometer registriert. Auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog blies der Orkan mit rund 135 Kilometern in der Stunde. Auf den Gipfeln der Mittelgebirge wurden ebenfalls hohe Geschwindigkeiten gemessen - der 1141 Meter hohe Brocken im Harz meldete rund 146 Stundenkilometer.
Nach der stürmischen Nacht zog der Sturm weiter in Richtung Osten, der Deutsche Wetterdienst meldete sich abschwächenden Wind an der Nordsee. Eine Sprecherin warnte allerdings davor, dass es zunächst unbeständig und stürmisch bleiben werde. "Der Wind kommt nicht längerfristig zur Ruhe", sagte sie.
In Bremen stürzte bei dem Sturm ein 55 Meter hoher Baukran ein. Der Kran sei auf den Rohbau eines Bürogebäudes gekracht, sagte ein Feuerwehrsprecher. "Es sieht verheerend aus." Auch einen gerade vorbeifahrenden Lastwagen habe der Kran erwischt, der Fahrer sei aber unverletzt. Trümmerteile blockierten die umliegenden Straßen. Es dürfte noch bis Anfang der Woche dauern, die Trümmer zu beseitigen. Die Schadenshöhe war zunächst unklar.
An vielen Pegeln an der niedersächsischen Nordseeküste überschritten die Wasserstände die Schwelle zur schweren Sturmflut. Vor allem an den Flussmündungen sei diese Grenze überschritten worden, sagte der Sprecher des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Carsten Lippe. Wegen der erhöhten Wasserstände vor allem in den Flusstrichtern seien alle Sperrwerke zwischenzeitlich geschlossen worden - auch das große Emssperrwerk bei Gandersum.
Statistisch gesehen komme es alle zwei Jahre zu schweren Sturmfluten, sagte Lippe. Der Februar sei ein "typischer Sturmflutmonat". In Cuxhaven an der Elbemündung sei ein Wasserstand von 2,82 Meter über dem mittleren Tidehochwasser gemeldet worden, die Grenze zur schweren Sturmflut liege bei 2,28 Metern. In Emden wurde ein Stand von 2,41 Meter gemessen worden, das sei auch exakt die Grenze zur schweren Sturmflut. Auf der Insel Norderney lag der Wasserstand bei 2,19 über dem mittleren Tidehochwasser, die Grenze zur schweren Sturmflut sei bei 1,95 Metern.
Die Nordseeinsel Wangerooge büßte etwa 90 Prozent ihres Badestrandes ein. "Auf einer Länge von einem Kilometer gibt es kaum noch Sand", sagte Inselbürgermeister Marcel Fangohr. Dennoch sei der Sturm glimpflich ausgegangen: "Wir haben Glück gehabt." Der Wasserstand habe zwar zwei Meter über dem normalen Stand gelegen, das sei aber weit von den Höchstständen entfernt. 2013 habe der Wasserstand bei 9,17 Metern gelegen. Auch auf der ostfriesischen Insel Langeoog wurde der Strand beschädigt. "In Teilen ist gar kein Strand mehr da, die Abbruchkante geht bis zu den Dünen", sagte Inselbürgermeisterin Heike Horn.
In Gronau bei Hildesheim wurde eine 80 Kilogramm schwere Kupferplatte von einem Kirchturm weggeweht. Die Platte schlug in etwa 80 Metern Entfernung in ein Haus ein. Weitere etwa drei mal drei Meter große Platten drohten abzubrechen, sagte ein Sprecher der Feuerwehr. Die Altstadt wurde abgesperrt, Anwohner sollten sich in Sicherheit begeben. In Garrel im Landkreis Cloppenburg wurde ein 53 Jahre alter Autofahrer schwer verletzt, als ein Baum auf seinen Wagen fiel. In Lehrte bei Hannover wurde ein Mann von einem umstürzenden Baum getroffen und ebenfalls schwer verletzt.
Fast überall im Land meldeten Polizei und Feuerwehr hohe Einsatzzahlen vor allem wegen umgestürzter Bäume. Besonders stark beschäftigte der Sturm aber die Einsatzkräfte im ostfriesischen Landkreis Aurich: Bis Samstagmorgen um 6.00 Uhr wurden die Feuerwehren dort zu mehr als 520 Einsätzen gerufen, bis zum Mittag waren es etwa 800 - "das ist historisch", sagte ein Sprecher. Umstürzende Bäume beschädigten die Oberleitung der Bahn in Norden, auch Überland-Telefonleitungen waren betroffen. Dächer mussten gesichert, Teile von Garten- und Blockhäusern von den Straßen geräumt werden. Ein Baukran neigte sich in Richtung zweier Einfamilienhäuser, die Familien mussten die Häuser verlassen.
In den Häfen in Emden und Wilhelmshaven mussten mehrere Schlepper die größeren Schiffe sichern und gegen die Pier drücken. Besonders die größeren Schiffe seien wegen ihrer Angriffsfläche bei Sturm gefährdet, sagte ein Sprecher der Wasserschutzpolizei.
Der Fernverkehr der Bahn blieb eingeschränkt, Bahnreisende mussten vor allem im Norden und Osten Deutschlands mit erheblichen Einschränkungen rechnen. Wann wieder ICE- oder IC-Züge von Frankfurt (Main) beziehungsweise Berlin nach Amsterdam im Einsatz sein werden, war noch nicht absehbar. Nach Angaben der Deutschen Bahn hat die Sturmperiode der vergangenen Tage für Schäden im Eisenbahnnetz auf einer Länge von mehr als 1000 Kilometer gesorgt. Und noch seien nicht alle Strecken erkundet.
Ein Ärgernis für die Feuerwehr in Aurich: sogenannte "Einsatzstellentouristik" - und das trotz der Warnung, sich nicht unnötig im Freien aufzuhalten. Die Bundesstraße 72 habe wegen umgestürzter und stürzender Bäume gesperrt werden müssen, ein Autofahrer habe aber trotzdem durchfahren wollen - um sich Einsätze der Feuerwehren anzusehen.