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Altenheim für Alkoholiker in Hamburg: Ein Gespräch über Würde und Suff


Pflegeheim für Alkoholiker
"Es gibt Menschen, die sich zu Tode trinken. Wir begleiten sie dabei"


Aktualisiert am 16.10.2024 - 16:40 UhrLesedauer: 4 Min.
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Ein Mann betrinkt sich (Symbolbild): Wer im Pflegeheim in Öjendorf lebt, ist in der Regel schwerer Alkoholiker.Vergrößern des Bildes
Ein Mann betrinkt sich (Symbolbild): Wer im Pflegeheim in Öjendorf lebt, ist in der Regel schwerer Alkoholiker. (Quelle: Udo Herrmann)

In einem besonderen Pflegeheim in Hamburg leben fast ausschließlich alkoholkranke Menschen. Der Pflegedienstleiter der Einrichtung über Suff und Würde im Alter.

Das Pflegeheim in Öjendorf ist wohl eines der kuriosesten der Stadt: Wer hier lebt, ist in der Regel schwerer Alkoholiker. Damit bietet die Einrichtung denen ein Zuhause, die mit der Sucht im Alter kämpfen. Laut Robert Koch-Institut trinken rund 34 Prozent der Männer und 18 Prozent der Frauen im Rentenalter zu viel Alkohol. Ein Problem, wenn diese Menschen Pflege benötigen. Denn in den meisten Häusern wird übermäßiger Alkoholkonsum nicht toleriert.

Die Einrichtung bietet Hilfe für die Trinker – verpflichtend ist dies aber nicht. Vielmehr will das Haus einen sicheren Hafen bieten. Nicht nur die alkoholkranken Bewohner fühlen sich hier wohl, offenbar auch das Personal. Fluktuation ist kein Thema.

Doch wie ist es, dort zu arbeiten? Wie unterscheidet sich diese Einrichtung von anderen Häusern? Diese Fragen beantwortet Andreas Meyer, Pflegedienstleiter der Einrichtung Haus Öjendorf.

t-online: Herr Mayer, wer zu Ihnen in die Einrichtung will, muss erst mal Rollstuhlfahrern ausweichen, die mitten auf dem Weg stehen, sich dort nicht wegbewegen und einen kräftigen Zug aus einer Bierflasche nehmen. Morgens um 11 Uhr.

Andreas Mayer: Das kann sein, ja. Manchmal stehen sie auch mitten auf der Hauptstraße und sorgen dort für Stau. Das ist bei uns so. Dann kommt jemand und schiebt die Person einfach zur Seite.

Finden Sie das normal?

Bei uns ja. Hier wohnen eben Menschen mit einem massiven Alkoholproblem. Das gibt es in anderen Häusern auch.

Mag sein, doch bei Ihnen dürfen die Bewohner so viel Alkohol trinken, wie sie wollen, und wenn sie dann betrunken sind, ist das halt nicht weiter schlimm.

Ja, das ist unser Konzept. In den meisten Fällen ist der Alkoholkonsum aber auf 150 Euro pro Monat beschränkt. Das ist das Taschengeld, das von den Sozialleistungen übrig bleibt, die fast alle Bewohner hier beziehen.

Den Alkohol bezahlt also der Staat, konkret wir alle?

Den Vorwurf höre ich oft. Unsere Bewohner haben ein Recht auf Ihre Sozialleistungen. Viele haben dafür lange gearbeitet. Was sie mit ihrem Taschengeld machen, ist ihre Sache. Viele lassen sich ihr Taschengeld von uns einteilen, damit es über den Monat reicht.

Und wenn nicht?

Dann kann es kompliziert werden. Ohne Alkohol fangen einige Bewohner Streit an oder klauen auch schon mal anderen Geld. Wer in Not ist, wird erfinderisch.

Deshalb haben einige Ihrer Bewohner in den örtlichen Supermärkten auch Hausverbot.

Alle unserer Bewohner sind erwachsen. Wir sind nicht für ihr Verhalten außerhalb des Hauses verantwortlich. Wer im Supermarkt klaut und dort keinen Alkohol mehr bekommt, schädigt sich ja selbst.

Haben die Mitarbeiter eine Notration an Alkohol für Bewohner im Büro, damit dann Ruhe ist?

Das kann ich nicht bestätigen. Ich habe die nicht.

Das war in anderen Medien großes Thema, dort gibt es auch Bilder von der Notration.

Ich spreche nur für mich, ich habe die nicht.

Wie viel Alkohol muss man konsumieren, um hier einziehen zu dürfen?

Das kann man pauschal nicht sagen. Sie müssen massiv alkoholsüchtig sein und ein auffälliges Sozialverhalten haben. Nur zu viel Alkohol trinken reicht nicht.

Auffälliges Sozialverhalten bedeutet schlechte Stimmung.

Ja, betrunkene Menschen werden schnell aggressiv, beschimpfen sich untereinander, auch uns Mitarbeiter. Das kommt vor.

Pöbeln oder Klauen im Suff ist für sie okay?

Nicht okay, aber normal. Die Grenze liegt bei körperlichen Angriffen. Eine ernst gemeinte Bedrohung geht gar nicht.

Die gibt es?

Selten, in krassen Fällen muss jemand auch mal ausziehen. Man braucht hier ein dickes Fell. Man darf das nicht so persönlich nehmen. Wir arbeiten das durchaus auch auf. Wenn der Bewohner wieder nüchtern ist, kann ich mit ihm auch mal von Mann zu Mann sprechen. Ob das dann fruchtet, ist eine andere Geschichte. Aber das gilt für Demenzkranke ja auch.

Kann man das vergleichen?

Ja, es gibt Häuser für Demenzkranke, es gibt Häuser für Drogenabhängige. Unser Haus ist eines für Alkoholkranke.

Ist das Wohnen hier eine Art Palliativstation für Alkoholiker?

Es gibt schon Menschen, die sich zu Tode trinken. Vielen ist das auch bewusst. Wir begleiten sie auf ihrem Weg. Es gibt auch Bewohner, die gerade eine alkoholfreie Episode haben, wer will, kann auch wieder ausziehen. Viele haben aber keine Alternative, würden sonst auf der Straße leben. Die wissen das hier zu schätzen. Draußen gibt es kein Dach über dem Kopf, kein Essen, auch weniger Alkohol.

Dann ist Alkoholtrinken der Tagesinhalt?

Wenn jemand den ganzen Tag betrunken in seinem Zimmer ist, dann ist das für uns auch in Ordnung. Aber wir versuchen schon gegenzusteuern. Wer das noch kann und will, wäscht seine Wäsche selbst, hilft vielleicht im Garten mit oder verteilt das Mineralwasser. Wenn ihnen alles abgenommen wird, wenn sie sich um nichts kümmern, sitzen sie auf dem Bett und gucken an die Decke. Da hängt der Fernseher. Das kann ja nicht alles sein.

Hier zu arbeiten, muss ziemlich speziell sein.

Ich mache das seit über 40 Jahren hier und das sehr gerne. Die anderen Kollegen auch. Fluktuation haben wir hier nicht. Wo gibt es das in der Pflege?

Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Mayer
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