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Dortmund | Nach Mord an 11-Jährigem: Wie die Polizei "Cold Cases" neu aufrollt


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Ermittlungsgruppe in Dortmund
Mord an 11-Jährigem darunter: Wie die Polizei 42 "Cold Cases" neu aufrollt


13.01.2024Lesedauer: 4 Min.
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Auf dem Tisch von Staatsanwältin Gülkiz Yazir liegt eine Akte mit der Aufschrift "Cold Cases". Dortmunder Ermittler stellten sogenannte "Cold Case"-Verfahren vor. (Quelle: Bernd Thissen)
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Bricht jemand nach Jahren sein Schweigen? Führen neue Kriminaltechniken zu heißen Spuren? Das Kriminalkommissariat hat die Ermittlungen in 42 "Cold Cases" aufgenommen.

Als manche Taten begangen wurden, stand die Berliner Mauer noch, Helmut Schmidt war Kanzler und das Internet nicht massentauglich. Lange her, aber nicht zu lange, um die Fälle neu aufzurollen. Dabei handelt es sich um "Cold Cases", die eigentlich als "ausermittelt" galten, bei denen verbesserte Kriminaltechnik oder neue Erkenntnisse aber jetzt wieder zu heißen Spuren führen könnten.

Das Dortmunder Kriminalkommissariat 11 (KK11) rollt mit einer eigenen Ermittlungsgruppe 42 solcher Fälle wieder auf. "Eigentlich muss man von 'old case' anstatt von 'cold case' sprechen, denn kalt lassen uns die Taten auch Jahrzehnte später nicht", sagt Kriminalhauptkommissar Carsten Philipps bei der Vorstellung ausgewählter Fälle.

Ermittler aus dem Ruhestand geholt

Das Landeskriminalamt hat mithilfe von erfahrenen Ermittlern, die aus dem Ruhestand zurückgekehrt waren (sogenannte "Senior Experts"), landesweit mehr als 1.000 "Cold Cases" zwischen den Jahren 1970 und 2015 ausgemacht. Besonders interessant ist für die Ermittler, ob sich eine Tat vor 1990 oder danach ereignet hat. "Das ist der Zeitpunkt, in dem sich die Kriminaltechnik in Bezug auf die DNA maßgeblich verändert hat", erklärt Philipps. Jetzt widmet sich das KK11 mit besonderem Fokus den ungeklärten Tötungsdelikten, die sich zwischen 1970 und 1989 ereignet haben. Auf das Dortmunder Stadtgebiet entfallen 27 der 42 "Cold Cases".

"Bissiger" Ermittler leitet das Team

Die Ermittlungsgruppe soll sich ab Montag (15. Januar) an die Arbeit machen. Laut Polizei handelt es sich um ein heterogenes Team – erfahrene Ermittler, teilweise aus dem Ruhestand zurückgeholt, ermitteln mit jungen Mordermittlern. Auch ein Kriminaltechniker gehört zum Team, das von Kriminalhauptkommissar Gregor Schmidt geleitet wird. Ihn nennt Philipps einen "bissigen" Ermittler. Im engen Austausch steht das Team mit Staatsanwältin Gülkiz Yazir, die erinnert: "Mord verjährt nicht."

Der älteste Fall, den die Ermittler aktuell neu angehen, ereignete sich 1966. Damals war eine griechischstämmige Frau getötet worden. Akten mit ungelösten Fällen würden nie für immer weggelegt, sagt Yazir, sondern laufend auf neue Ermittlungsansätze hin geprüft. Das KK11 ist sich sicher: "Weiter zu ermitteln, sind wir den Opfern und den Hinterbliebenen schuldig, die mit dem Schicksal nach den schrecklichen Ereignissen leben müssen."

Zeugen neu vernehmen

Mit gebündelten Ressourcen will sich die Ermittlungseinheit nun an die Arbeit machen, etwa Zeugen und Angehörige erneut vernehmen. In manchen Fällen haben sich mögliche Zeugen ergeben, die der Polizei vorher nicht bekannt waren. Ebenso sollen etwa Asservate ein weiteres Mal untersucht und auf DNA-fähiges Material analysiert werden. Dabei kommen Methoden zum Einsatz, die zur Tatzeit noch nicht zur Verfügung standen. Auf diese Weise ist es den Ermittlern in der Vergangenheit gelungen, den Mord an der Schülerin Nicole Denise Schalla zu lösen, die in der Nähe ihres Elternhauses erwürgt worden war. Ihr Mörder war 2021 verurteilt worden – mehr als 27 Jahre nach der Tat.

Auf ähnliche Erfolge hofft die Polizei im Fall der getöteten Heike Kötting, die im Februar 1991 in ihrer Wohnung in Dortmund-Scharnhorst gefunden wurde. Die Frau hatte sich zuvor von ihrem Partner getrennt und größere Mengen Bargeld im Haus aufbewahrt. Weil bei Heike Kötting wenige Tage vor der Tat eingebrochen worden war, hält die Polizei es für möglich, dass jemand dem Täter einen Tipp gab. Sie geht von mindestens zwei Tätern aus.

Spuren des Fluchtfahrzeugs führen nach Frankreich, denn der rote Fiesta von Heike Kötting wurde bereits drei Tage nach der Tat auf einem Parkplatz an der Autobahn Paris gefunden. "Wie konnten die Täter von einem Autobahnplatz weiterflüchten?" und "Warum wurde Heike Kötting fast schon übertötet?" Fragen, die die Ermittler der Cold-Case-Einheit jetzt beschäftigen.

Aufruf bei "Aktenzeichen XY"

Am Mittwoch (17. Januar) gehen die Ermittler zudem an die Öffentlichkeit: Der Fall wird in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" gezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat für den entscheidenden Hinweis eine Belohnung von 5.000 Euro ausgelobt.

Besonders bewegend ist für die Ermittler der Fall des 11-jährigen Marc Gutte, der 1986 tot in einem Maisfeld in Unna aufgefunden worden war. Das Kind, das mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einem Freund war, war vor seinem Tod massiver Gewalt gegen den Kopf ausgesetzt. Ein sexuelles Motiv sehen die Ermittler bislang nicht. Am Leichnam konnte aktuell eine DNA-Spur gesichert werden, die aber nicht in der Datenbank erfasst ist. "In der globalen Datenbank werden Einträge nach einer bestimmten Zeit gelöscht, wenn jemand nicht wieder straffällig war", erklären die Ermittler. Es sei also möglich, dass der Täter irgendwann einmal in der Datenbank gelistet worden sei – einen Treffer gibt es heute aber nicht.

Zu den 42 Fällen zählt auch der Mord am damals 67-jährigen Joseph Milata, der 1986 von seinem Pflegesohn nachts mit zahlreichen Stichverletzungen und Strangulationsmalen aufgefunden worden war. Milata war homosexuell und traf sich regelmäßig mit jungen Männern in seiner Bergkamener Wohnung. Außerdem war Milata wohlhabend – und machte daraus kein Geheimnis.

Die Ermittler gehen davon aus, dass Milata seinem späteren Täter die Tür zur Wohnung selbst öffnete. Die DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden, führten bislang zu keinem sicheren Tatverdacht. Denn sie konnten mehreren Personen zugeordnet werden, sodass unklar bleibt, wer sich berechtigt in der Wohnung aufhielt.

Mitwisser könnten Schweigen brechen

Die Ermittler setzen auch auf die Öffentlichkeit: "Solche Dinge vergisst man nicht", sagt Kommissar Philipps über mögliche Mitwisser. Manche Taten seien heute verjährt, sodass es Zeugen leichter fallen könnte, sich doch noch an die Polizei zu wenden, um ihr Gewissen zu erleichtern. Möglich auch, dass Zeugen erst wegen der neuen Ermittlungen eigenartige Beobachtungen mit einer Tat in Zusammenhang bringen können. Zeugen, die Hinweise zu "Cold Case"-Fällen geben können, werden gebeten, sich bei der Kriminalwache Dortmund zu melden: Telefon 0231/1327441.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
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