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Paralleljustiz: Friedensrichter bei muslimischen Konflikten – seine Aufgaben


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Debatte um Paralleljustiz
Friedensrichter bei muslimischen Konflikten: Was sind seine Aufgaben?


21.06.2023Lesedauer: 3 Min.
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Polizeieinsatz nach einer Massenschlägerei zwischen zwei größeren Gruppen am Donnerstagabend in Castrop-Rauxel. (Quelle: Marc Gruber / dpa)

Ein Imam ruft im Streit zwischen Syrern und Libanesen zum Entgegenkommen auf. Ein Friedensrichter sei das nicht, sagt die Moschee.

Der Begriff des "Friedensrichters" rückt nach den gewaltsamen Ausschreitungen libanesischer und syrischer Gruppen im Ruhrgebiet zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. So gab es unter anderem Schlichtungsversuche eines Imams einer im libanesischen Milieu verwurzelten Moschee im Essener Norden. Der Gläubige der Salahuddin-Moschee ruft die beiden im Streit liegenden Gruppen in einem Video dazu auf, einander entgegenzukommen und den Konflikt beizulegen.

Dass es sich hierbei um einen eingesetzten "Friedensrichter" handeln soll, weist die Moschee entschieden zurück. Die Polizei in Essen warnt jedoch: "Als Polizei dulden wir keine Paralleljustiz." Doch was hat es mit dem Begriff des "Friedensrichters" auf sich?

Video | Massenschlägerei im Ruhrpott: Mindestens 80 Beteiligte
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Laut Polizei Essen handelt es sich bei Friedensrichtern um Autoritäten, die von den Familienclans anerkannt sind und die etwa bei Streitigkeiten zwischen den Familien vermitteln. Hierbei kann es um Kleinigkeiten gehen, manchmal aber auch um blutige Konflikte, um Macht und Geld.

Das Portal "Der Westen" berichtet über ein Video, das aus den Innenräumen einer Moschee im Essener Norden stammen soll. Auf diesem sei ein Mann zu sehen, der im Beisein mehrerer älterer Oberhäupter syrischer Familien als Friedensrichter agiere. Dem Portal zufolge fordert der Mann, wie auch der Imam, die "Beilegung des Kriegsbeils mit den Libanesen". Die "Bild"-Zeitung hatte ebenfalls über Gespräche in der Moschee berichtet.

"Szenen haben sich definitiv nicht bei uns abgespielt"

"Dass dieses Gespräch in unserer Moschee stattgefunden haben soll, weisen wir entschieden zurück", sagte Alaá El Sayed, stellvertretender Vorsitzende der Salahuddin-Moschee in Essen, t-online am Mittwoch. Er kenne das erwähnte Video. "Diese Szenen haben sich aber definitiv nicht bei uns abgespielt. Das entbehrt jeder Grundlage", so El Sayed weiter. Er schließe allerdings nicht aus, dass diese Gespräche unter Beteiligten des eigentlichen Streits der zwei Familien in Castrop-Rauxel stattgefunden haben könnten.

"Wir lehnen den Einsatz möglicher sogenannter Friedensrichter kategorisch ab", teilte die Polizei in Essen im Zuge der Ausschreitungen der letzten Tage mit.

Polizei kämpft seit Jahren gegen "Paralleljustiz"

Die Polizei kämpft seit Jahren gegen diese Art der "Paralleljustiz" insbesondere in Clanstrukturen an. Die Paralleljustiz der Friedensrichter ist im Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland verfassungswidrig.

"Die Tätigkeit der sogenannten Friedensrichter beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege, sodass deren Tätigkeit eine konkrete Gefahr darstellt, die im Bereich der öffentlichen Sicherheit liegt, weil dadurch das ordnungsgemäße Funktionieren staatlicher Einrichtungen gefährdet wird", heißt es in einem Bericht der "Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei". Zudem verletze die Tätigkeit das staatliche Strafmonopol, "das aus Artikel 92 GG abzuleiten ist".

Kinderstreit löste Massenschlägerei aus

Der Straßensozialarbeiter Khatib Walid aus Berlin sagte dem Magazin "Cicero" über die "Friedensrichter", dass seiner Meinung nach viele arabische Familien die Streitschlichtung durch die Paralleljustiz der Clans immer noch für den einzig möglichen Weg hielten, eine Blutrache zu verhindern.

"Diese Sippengesellschaftstradition verlangt ja eigentlich nach der Blutrache. Wenn also jemand verprügelt oder sogar getötet wird, dann ist eigentlich die Blutrache fällig. Und hier spielen die Stammesführer eine große Rolle. Die sagen: Lasst uns versuchen, den Streit untereinander zu regeln, ohne Blutrache zu nehmen."

Kinderstreit löste Massenschlägerei aus

Beobachter des aktuellen Konflikts im Ruhrgebiet befürchteten massive Racheschläge der syrischen Seite, sollte der Syrer, der bei den gewaltsamen Ausschreitungen in Castrop-Rauxel zunächst lebensgefährlich verletzt wurde, seinen Verletzungen erliegen. Am Dienstag gab die Staatsanwaltschaft Dortmund jedoch bekannt, dass der 23-Jährige nach einer Not-OP auf dem Weg der Besserung sei.

Ausgelöst wurde die Massenschlägerei in Castrop-Rauxel laut Staatsanwaltschaft durch einen Kinderstreit zwischen zwei Elfjährigen. Am Donnerstagabend waren zwei größere Gruppen unter anderem mit Dachlatten, Baseballschlägern und Messern aufeinander losgegangen. Bekannt sind sieben Verletzte, die in sechs verschiedenen Krankenhäusern liegen.

Verwendete Quellen
  • Cicero.de: Die Paralleljustiz blüht abseits der Öffentlichkeit
  • presseportal.de: Mitteilung der Polizei Essen vom 19. Juni 2023
  • kriminalpolizei.de: Die Gefährdungspotenziale arabischer Clans und krimineller Rockergruppierungen
  • Mit Material der dpa
  • Youtube.de: Salahuddin Moschee Essen - Ein Aufruf der Versöhnung
  • DerWesten.de: Brüchiger Frieden im Clan-Krieg – ER soll es jetzt richten
  • Bild.de: "Wenn der Syrer stirbt, wird es noch brutaler"
  • Telefonat mit Alaá El Sayed, stellvertretender Vorsitzende der Salahuddin Moschee
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