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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tragisches WM-Aus Immer wieder Drama um Marco Reus
Marco Reus ist die tragische Figur des deutschen Fußballs. Nach seinem WM-Aus bleibt er international der Unvollendete – aber ein großer Traum lebt weiter.
Wie sehr Marco Reus in den letzten Wochen darum gerungen haben muss, wieder auf dem Platz zu stehen, hat Edin Terzic am Donnerstag durchblicken lassen: "Bei Marco haben wir um jeden Tag gekämpft." Als der Trainer das sagte, war bereits klar, dass der Kapitän des BVB wegen seiner Probleme am Sprunggelenk nicht mit zur Weltmeisterschaft nach Katar fahren wird. Alle Anstrengung und Mühe, alles Hoffen und Bangen umsonst.
Wieder findet ein großes Turnier ohne den Dortmunder statt, weil ihm sein Körper einen Strich durch die Rechnung macht. Reus, der begnadete Fußballer, bleibt die tragische Figur des deutschen Fußballs. Und nach diesem bitteren WM-Aus und mit Blick auf sein Alter von 33 Jahren bleibt er international wohl auch für immer der Unvollendete.
Vor vier Jahren hat er in Russland seine erste und wohl auch einzige Weltmeisterschaft gespielt – und die stand sportlich für die deutsche Auswahl unter keinem guten Stern. Ein Turnier, das im Rückblick kein Ruhmesblatt für die Mannschaft war und bei dem Jogi Löw einiges an Reputation als Weltmeister-Trainer eingebüßt hat. Damals war Reus topfit, konnte aber das Aus nach der Vorrunde nicht verhindern. Magere drei WM-Spiele stehen so in seiner Vita. Die Wahl zum Nationalspieler des Jahres war da nur ein schwacher Trost.
Reus absolvierte 48 Länderspiele seit 2011
Dass einer wie er – hochbegabt mit dem Ball und 2012 zum ersten Mal zum deutschen Fußballer des Jahres gewählt – überhaupt erst mit 29 Jahren in Russland sein Debüt auf der ganz großen Fußballbühne feiern konnte, verwundert nur auf den ersten Blick. Seit seinem ersten Länderspiel im Jahr 2011 bis 2018 konnte er gerade einmal 31 Einsätze verbuchen, inzwischen sind es 48 Partien. Thomas Müller etwa bringt es in einem ähnlichen Zeitraum auf 118 Spiele. In Katar spielt der Münchner seine vierte Weltmeisterschaft im DFB-Dress.
Bei Marco Reus aber stand schon sein Start in die Nationalmannschaft unter keinem guten Stern. Gleich die erste Einladung im Mai 2010 musste er verletzungsbedingt absagen. Im letzten Bundesligaspiel der Saison hatte er sich eine Minute vor dem Abpfiff eine Zerrung im Oberschenkel zugezogen. Seither kämpfte der Offensivspieler immer wieder mit seinem Körper – und der lieferte sich stets einen Wettlauf mit der Zeit. Das tragische Last-Minute-Aus bei großen Turnieren begleitet Reus durch seine Karriere.
2017 holte Reus mit BVB den DFB-Pokal
2014 war er für die WM in Brasilien fest eingeplant, galt als Hoffnungsträger und war gesetzt für die erste Elf. Im abschließenden Testspiel gegen Albanien wurde er dann so schwer am Sprunggelenk getroffen, dass er mit angerissenem Syndesmoseband zum Zuschauen verdammt war, als sich andere zum Weltmeister kürten. 2016 verhinderten anhaltende Probleme an den Adduktoren seine Nominierung für die Europameisterschaft.
Umso mehr brannte Reus 2018 darauf, endlich ein großes Turnier zu spielen, endlich auch seinen ersten großen Titel zu holen. Den jahrelangen Fluch der verlorenen Endspiele auf Vereinsebene, der ihm schon das Prädikat "titellos" eingebracht hatte, hatte er schon 2017 gebrochen. Da gewann er mit Borussia Dortmund erstmals den DFB-Pokal.
Dass er sich damals beim Finale in Berlin einen Kreuzbandriss zuzog, passt in seine Leidens-Vita. Doch auch das hat den Kapitän der Borussia in seiner Karriere immer wieder ausgemacht: Er hat nie aufgegeben, er ist immer wieder zurückgekommen – und hat sich zumeist selbst in so rasanter Zeit wieder in hervorragende Form gebracht, wie er auf dem Rasen seine Gegner stehen lässt. Seine Torgefahr und Abschlussstärke, gepaart mit enormem Tempo, herausragender Technik und guter Übersicht, haben Marco Reus dabei immer ausgezeichnet. Sogar der Bundestrainer kam damals nicht umhin, ihn nach seinem DFB-Comeback nach 795 Tagen Pause zu loben: "Er ist wahnsinnig geschickt und intelligent, er spielt überraschend für den Gegner und ist raffiniert im Torabschluss. Er ist ein Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten – eine Rakete."
Doch ein Comeback wie 2018 blieb Reus dieses Mal verwehrt. Im Vorjahr hatte er für die Europameisterschaft noch freiwillig abgesagt, um seinem Körper nach einer kräftezehrenden Saison Erholung zu geben. Jetzt wollte er unbedingt mit zur WM, doch der dauerhafte Weg zurück auf den Platz sollte über Wochen ein unerreichbares Ziel bleiben. Schon als er im Derby im September böse umgeknickt war und unter dem höhnischen Gelächter der Schalker Anhänger vom Platz getragen wurde, schwante manchem Borussen-Fan Böses. Wieder Reus, wieder vor einem großen Turnier?
Erster Versuch des Comebacks endete mit Schmerzen
Der erste Versuch eines Comebacks gegen Union Berlin Mitte Oktober endete mit Schmerzen am Sprunggelenk und einer erneuten Pause. Die 23 Minuten gegen Bochum am vergangenen Samstag entpuppten sich am Ende als letzter, verzweifelter Versuch; wieder zeigte der Körper eine Reaktion. "Alle Beteiligten haben in den letzten Tagen alles Mögliche versucht, um meine Teilnahme an der WM doch noch möglich zu machen. Am Schluss mussten wir alle einsehen, dass es nicht reicht", kommentierte "marcinho11" sein Aus via Instagram fast nüchtern.
Man kann nur ahnen, wie es in ihm wirklich aussieht. Seine Familie – Frau und Tochter – werden ihm jetzt Halt geben. Und Reus wird alles daransetzen, spätestens im Januar endlich wieder beschwerdefrei zu sein und mit dem BVB wieder in der Bundesliga anzugreifen. Denn ein ganz großer Traum, der bleibt auch nach dem WM-Aus. Einmal möchte Marco Reus als gebürtiger Dortmunder im schwarz-gelben Trikot die Meisterschale in die Höhe recken, als Kapitän dieser Mannschaft. Mit 33 Jahren bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, sein Vertrag läuft, Stand jetzt, im Sommer aus. Aber aufgeben ist keine Option. Wie schrieb Reus doch selbst auf Instagram? "Wir sehen uns auf dem Platz!"
- Eigene Recherchen