Anarchist, Freiheitskämpfer oder Terrorist Wer war Gavrilo Princip?
"Schwer vorstellbar, dass dieser kleine, schweigsame und bescheidene Mann einen solchen Mord begangen hat", befand einer der Richter von Gavrilo Princip. Vor Gericht stand der junge bosnische Serbe, weil er den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz-Ferdinand in Sarajevo erschossen hatte. Die Tat vom 28. Juni 1914 führte zur "Julikrise" - und einen Monat später zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Hundert Jahre später ist sich die Nachwelt uneinig in ihrem Urteil über Princip: War er ein gefährlicher Nationalist oder ein glühender Patriot?
Die einen verehren den zur Tatzeit 19-Jährigen als Helden und Freiheitskämpfer, der Bosnier, Kroaten und Serben von der österreichisch-ungarischen Besatzung und Fremdherrschaft erlösen wollte. Die Donau-Monarchie hatte Bosnien 1908 annektiert. Die anderen sehen in Princip einen "Terroristen" und Mörder.
Flucht eines Außenseiters in die Literatur
Gavrilo Princip wird 1894 in dem abgeschiedenen Dorf Obljaj im kroatischen Teil des heutigen Bosnien-Herzegowina geboren. Schon als Kind erkrankt er an Tuberkulose, die ihn sein Leben lang begleiten wird.
Der Junge flüchtet sich in Bücher, verschlingt Werke von Alexandre Dumas, Oscar Wilde und Walter Scott. Mit 13 Jahren folgt er seinem älteren Bruder nach Sarajevo, wo er 1911 das Abitur macht. Er liest historische und politische Werke und beginnt, sich für revolutionäre und anarchistische Ideale zu begeistern.
"Bücher sind alles für mich", sagt Princip dem österreichischen Psychiater Martin Pappenheim, der ihn nach seiner Verurteilung mehrfach im Gefängnis besucht. Auf den ersten Blick sei der junge Mann "reserviert und wortkarg" gewesen, aber er konnte auch "zynisch und hart" sein, schreibt sein Biograph Drago Ljubibratic.
Belgrad - Zentrum des serbische Nationalismus
1912 reist Princip nach Belgrad. Die serbische Hauptstadt ist längst zum Zentrum eines wachsenden serbischen Nationalismus geworden. Die organisierten Anhänger begehren immer stärker gegen die Vorherrschaft der Donau-Monarchie über die ethnischen Vielvölkerstaaten auf dem Balkan und die Unterdrückung der nach Freiheit strebenden Menschen auf.
Im ersten siegreichen Krieg des Balkanbundes - einem Zweckbündnis aus Serbien, Montenegro, Bulgarien, Griechenland und Russland - gegen das untergehende Osmanische Reich (1912), das bis dato die Vorherrschaft über den Balkan ausgeübt hatte und nach dem Ersten Balkankrieg auf alle Gebiete westlich des Schwarzen Meeres und der Ägäis verzichtete, versucht der junge Mann, in den Dienst der serbischen Armee zu treten.
Er wird jedoch wegen seiner schmächtigen Statur und angeschlagenen Gesundheit abgelehnt. Aus demselben Grund weist ihn auch die serbische Nationalisten-Bewegung "Schwarze Hand" zurück. Diese Kränkungen hätten Princip in seiner Motivation bestärkt, das Attentat zu begehen, "um zu beweisen, dass er etwas kann", glaubt der serbische Historiker Wladimir Dedijer.
Princip schließt sich der Bewegung "Mlada Bosna" ("Junges Bosnien") an, einer studentischen Gruppe aus kommunistisch und anarchistisch gesinnten Serben, Kroaten und Muslimen - also jener ethnisch-religiösen Bevölkerungsgruppen, die sich 80 Jahre später im Bosnienkrieg (1992-1995) bis aufs Blut bekämpfen sollten. Das einigende Band damals war der "Hass auf das österreichisch-ungarische Reich", wie der Schriftsteller Momcilo Zlatanovic erklärt. Ihr Ziel sei es gewesen, alle Slawen in einem souveränen Groß-Serbischen Reich zu vereinen, das sich über den gesamten Balkan erstreckt.
Eine folgenreiche Routenänderung
Schon Anfang 1914 erfährt die Gruppe um Princip von dem bevorstehenden Besuch Franz-Ferdinands in Sarajevo im Sommer, und der Plan für das Attentat reift fortan.
Am Tag des 28. Juni nimmt die Kolonne von Franz Ferdinand dann eine andere als die ursprünglich geplante Route durch die bosnische Hauptstadt. Auf dem Weg zu einer Zeremonie am Rathaus zu Ehren Franz Ferdinands war es bereits zu einem gescheiterten Bombenanschlag durch die Terroristen auf den Thronfolger gekommen. Dieser will auf dem Rückweg ins Garnisonshospital, um die Verletzten des Anschlags zu besuchen.
Weil die Franz-Joseph-Straße, eine Abkürzung zum Hospital, nicht befahrbar ist, muss der offene Wagen halten und umdrehen. Durch Zufall kommt die Kolonne direkt vor Princip zum Stehen, der dort für den Fall, dass das Bombenattentat gescheitert ist, wartet. Der Attentäter braucht nur vorzutreten, um den Erzherzog und seine Frau aus nächster Nähe zu erschießen.
Princip entgeht der Todesstrafe, weil er zur Tatzeit gerade noch unter 20 Jahre alt ist, und wird zu 20 Jahren Haft verurteilt. 1918 stirbt er im Gefängnis von Theresienstadt, geschwächt durch die Tuberkulose - wenige Monate vor dem Ende jener "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", die im bis dato schlimmsten Krieg der Geschichte mehr als 17 Millionen Menschen aus 50 Ländern das Leben kostete - und die Princip mit seinen Schüssen ausgelöst hat.