Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Das wäre das Ende
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
dass in einem Hightech-Land wie Japan eine Nuklearkatastrophe passiert? Unmöglich!
Dass die Pleite einer US-Investmentbank zu einer globalen Finanzkrise führt? Undenkbar!
Dass ein Virus große Teile der Welt in den Lockdown treibt? Nie im Leben!
Dass ein Flüsschen wie die Ahr ein ganzes Tal verwüstet? So viel kann es doch gar nicht regnen!
Dass Wladimir Putin die Ukraine überfällt? So irre wird er ja wohl nicht sein!
Manchmal kommt es eben anders, als man denkt. Und manchmal ganz anders. Woran das liegt? Damit wir im Alltag angesichts der Vielzahl der auf uns einprasselnden Eindrücke und der Fülle an notwendigen Entscheidungen nicht durchdrehen, operieren wir auch mit Wahrscheinlichkeiten. Was uns eher unwahrscheinlich erscheint, verdrängen wir oft – oder vertagen es gedanklich.
Dass es klüger wäre, sich konsequent auch auf unwahrscheinliche Szenarien vorzubereiten, ist offensichtlich. In vielen Bereichen passiert das auch längst. Sonst gäbe es zum Beispiel keine Katastrophenschutzübungen. Und die Versicherungsindustrie wäre eine siechende Branche.
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Nur lässt sich eben vieles nicht versichern. Und manchmal kommt es sogar schlimmer, als es selbst die größten Pessimisten vorhergesagt haben.
Ein echtes Schreckensszenario droht auch am 5. November 2024. Dann wählen die US-Bürger den nächsten Präsidenten. Und Stand jetzt wird es wohl zur Wiederholung des Duells von 2020 kommen: Joseph "Joe" Robinette Biden gegen Donald John Trump.
Die Betonung liegt auf "Stand jetzt". Denn in den nächsten gut 15 Monaten kann noch allerlei passieren: Wer weiß, welche Rendezvous mit der Justiz Trump bis dahin noch hat und wie es um die Gesundheit von Biden steht?
Aber wie gesagt: Es gibt eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit für dieses Duell. Was schwerer wiegt: Es gibt sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump die Wahl gewinnt und erneut ins Weiße Haus einzieht. Was noch schwerer wiegt: Es ist wahrscheinlich, dass seine zweite Amtszeit anders verlaufen wird als seine erste.
Denn Trump ist deutlich besser vorbereitet als nach seinem selbst für ihn überraschenden Wahlsieg 2016. Und er ist vermutlich viel wütender und sieht sich nach einer Wiederwahl noch mehr in seiner Vorstellung bestätigt, dass ihm die Wahl 2020 gestohlen wurde.
Nun kann man das natürlich alles noch weit weg und auch völlig abwegig finden. Und man muss sich als in Deutschland Lebender auch nicht im Detail dafür interessieren, welche Folgen sich aus einem Trump-Triumph für die USA innenpolitisch ergeben. Die "New York Times" hat es vor wenigen Tagen ausführlich analysiert: Im Kern will Trump viel mehr Macht im Weißen Haus konzentrieren und seine Ideologie so deutlich konsequenter umsetzen.
Wofür sich aber jede und jeder auch bei uns – und am besten schon jetzt – interessieren sollte, ist die Frage, was eigentlich passiert, wenn Trump seine Drohung aus der ersten Amtszeit tatsächlich umsetzt – und die USA die Nato verlassen.
Klar, der Austritt aus dem Verteidigungsbündnis ist alles andere als einfach. Und neben den Demokraten werden auch die letzten vernunftbegabten Republikaner in Washington Widerstand leisten.
Nur: Trump kann die USA aus der Nato bugsieren, ohne dass irgendwo irgendetwas offiziell beschlossen oder unterzeichnet wird. Er muss nur beiläufig erwähnen, dass er sich nicht an Artikel 5 des Nato-Vertrags gebunden fühlt, er einen Angriff auf ein Nato-Mitglied also nicht als Attacke auf das Bündnis insgesamt betrachtet. Es reicht sogar, wenn er einfach nur den Eindruck vermittelt, dass er es nicht tut. Denn ohne 100-prozentiges Vertrauen ist der Artikel 5 wertlos.
Etwas Besseres kann Wladimir Putin nicht passieren. Zumal Trump echte Autokraten bewundert und im Fall der Fälle vermutlich auch die Militärhilfe für die Ukraine kürzt oder einstellt. Was bisher nur Gerede ist, kann dann Realität werden: Trump beendet den Krieg, Russland behält seine Landgewinne, die Ukraine verliert Territorium.
Die Ukraine ist also in Gefahr, aber eben nicht nur sie. Denn Europa ist im Falle des Rückzugs der USA aus der Nato tatsächlich auf sich allein gestellt. Es muss sich selbst verteidigen.
Theoretisch ist das selbstverständlich möglich. Schließlich verfügt Europa über mehr als eine halbe Milliarde Einwohner, ist wohlhabend, investiert seit dem Ukraine-Krieg deutlich mehr Geld ins Militär, hat mit Großbritannien und Frankreich sogar zwei Atommächte.
Praktisch ist die Lage weniger rosig: Die wenigsten europäischen Armeen sind wirklich schlagkräftig und selbst die kombinierten Nukleararsenale Frankreichs und Großbritanniens deutlich kleiner als die Russlands. Hinzu kommt, dass es keine gemeinsame Verteidigungspolitik gibt, die diesen Namen verdient. In den Hauptstädten geht es vor allem darum, die nationalen Industrien zu päppeln. Gemeinsame Beschaffungsprojekte, die seit Langem ein Gebot der Vernunft sind, kommen auch wegen unterschiedlicher Prioritäten nur schleppend voran.
Und überhaupt: Es fehlt das Vertrauen zwischen den Akteuren. Da möchte man die Situation, dass Putin sich mit der Ukraine nicht zufriedengibt und in einer zweiten Amtszeit von Trump etwa die baltischen Staaten angreift, besser nicht erleben.
Puh, mögen Sie jetzt sagen, das ist ja alles ganz schön negativ. Stimmt. Und es ist im Indikativ geschrieben, obwohl Konjunktiv angebrachter wäre. Auch richtig. Aber: Das hilft ja alles nichts. Wenn es so käme (oder so ähnlich), dann hätten wir alle tatsächlich ein veritables Problem.
Das Gute ist: Die Politik reagiert in der Regel entschlossen, wenn es einen Schock von außen gibt. Das hat sich auch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gezeigt. Deutschland hat binnen kurzer Zeit seine Militärausgaben erhöht und die Abhängigkeit von russischer Energie reduziert.
Besser wäre es allerdings, wenn wir auf die Rachegelüste von Donald Trump umfangreicher vorbereitet wären als auf die von Wladimir Putin. Die aktuelle Sommerpause böte eine hervorragende Gelegenheit dafür.
Wie hat er das denn schon wieder gemeint?
In den sozialen Netzwerken war die Aufregung am Sonntagabend groß: Hat Friedrich Merz im "ZDF-Sommerinterview" die Brandmauer der CDU gegenüber der AfD eingerissen?
Der Parteichef begrenzte das Tabu einer Zusammenarbeit explizit auf "gesetzgebende Körperschaften", also den Bundestag, die Landtage und das Europaparlament. Auf kommunaler Ebene soll seiner Überzeugung nach gelten: "Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter arbeiten kann." Die CDU sei verpflichtet, demokratische Wahlen zu akzeptieren.
Auch CDU-Politiker kritisierten Merz noch am Abend scharf. Der frühere saarländische Ministerpräsident Tobias Hans schleuderte ihm bei Twitter sogar ein "Das ist nicht erträglich und kann nicht stehen bleiben. (...) Wehret den Anfängen!" entgegen.
Merz hat jetzt mindestens zwei riesige Probleme: Wieder einmal muss er seine eigenen Worte irgendwie einfangen. Das ist alles andere als kanzleresk. Und wieder einmal steht infrage, wie lange die CDU dem Druck der AfD besonders in Ostdeutschland standhalten kann. Das ist eine echte Wahlkampfhilfe für die Ampel.
Auch mit Herzschrittmacher radikal
Die rechts-religiöse Regierung in Israel treibt ihre umstrittene Justizreform trotz anhaltender Massenproteste voran. Heute könnte ein Gesetz zu dem umfassenden Vorhaben beschlossen werden, das unter anderem die richterlichen Möglichkeiten einschränkt, gegen Entscheidungen der Regierung vorzugehen.
Der Zeitplan soll beibehalten werden, obwohl Premierminister Benjamin Netanjahu am Wochenende kurzfristig einen Herzschrittmacher erhielt. Der 73-Jährige erklärte, er sei bei "exzellenter Gesundheit" und werde am Montag ins Parlament zurückkehren.
Elf Freundinnen müsst ihr sein
Die deutschen Frauen starten um 10.30 Uhr in die Fußball-WM. Gegner beim Auftaktspiel in Melbourne ist Marokko. Ein Sieg ist geradezu Pflicht, denn die Fußballerinnen wollen ihren dritten WM-Stern holen. Und noch ein Ziel hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg: "Wir wollen (...) wie immer die Menschen mitnehmen, emotionalisieren."
Das Urlaubsparadies brennt
Es war nach Angaben der Regierung die größte Evakuierungsaktion, die es jemals in Griechenland gegeben hat: Seit Samstag wurden auf Rhodos rund 19.000 Menschen vor den Waldbränden in Sicherheit gebracht.
Das Außenministerium richtete am Flughafen einen Hotspot ein, an dem Touristen unbürokratisch eine Ausreisegenehmigung erhalten, wenn sie keine Papiere mehr haben. Tui fliegt vorerst keine Urlauber mehr auf die Insel. Noch ist die Lage längst nicht unter Kontrolle.
Auch auf anderen griechischen Inseln brachen Waldbrände aus: Auf Euböa mussten mehrere Wohngebiete evakuiert werden, auf Korfu wurden am späten Sonntag Evakuierungen auf dem Land- und dem Seeweg eingeleitet.
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Zum Schluss
Manchmal muss man eben pragmatisch sein ...
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche. Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie den Tagesanbruch.
Ihr Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell
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Mit Material von dpa.
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