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Überschwemmungen in Libyen: Unicef fürchtet viele Kinder unter Flutopfern


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Flutkatastrophe in Libyen
"Wir fürchten, dass unter den Opfern viele Kinder sind"


Aktualisiert am 13.09.2023Lesedauer: 5 Min.
LIBYA-STORM/DERNAVergrößern des Bildes
Ein Mann läuft durch die zerstörte Stadt Derna in Libyen: Ganze Stadtteile wurden ins Meer gespült. (Quelle: ESAM OMRAN AL-FETORI/reuters)

Libyen wurde von einer Flutkatastrophe betroffen. Wie laufen die Hilfsmaßnahmen an? Was hat die Klimakrise damit zu tun? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Libyen wurde von einem Medicane – einem tropischen Wirbelsturm im Mittelmeer – heimgesucht, der enorme Wassermengen mit sich brachte. In der Stadt Derna brachen durch die Niederschläge zwei Staudämme, die Fluten stürzten die Berge hinunter und spülten ganze Stadtteile mit ins Meer.

Noch ist die Lage unübersichtlich, aber die Hilfsmaßnahmen für das vom Bürgerkrieg gezehrte Land laufen an. Im Gespräch mit t-online erklärt Christine Kahmann von Unicef, was jetzt wichtig ist.

Wie ist die Lage im Unglücksgebiet?

Noch immer sind viele Gebiete von der Außenwelt abgeschnitten. "Die Lage ist sehr unübersichtlich", berichtet Christine Kahmann, Sprecherin des Kinderhilfswerks Unicef. Nach Angaben des Roten Kreuzes werden etwa 10.000 Menschen vermisst.

Besonders hart traf es die libysche Küstenstadt Derna, in der 100.000 Menschen wohnen. "Drei Stadtteile wurden einfach ins Meer gespült", berichtete der lokale Fotograf Mohamed al-Mneina der "taz". Allein die Stadt Derna zählt nach behördlichen Angaben bereits 5.300 Opfer. Die Angaben lassen sich derzeit nicht überprüfen. Neben Derna sind auch andere Städte wie Al-Baida, Al-Mardsch, Susa und Schahat betroffen. Die Region wurde von den Behörden zum Katastrophengebiet erklärt.

Das Katastrophengebiet soll etwa 20.000 Quadratkilometer groß sein, sagte der Bürgermeister von Schahat. Das entspricht in etwa der Fläche Sachsen-Anhalts.

"Wir als Unicef befürchten, dass unter den Opfern und Betroffenen auch sehr viele Kinder sind", sagt Kahmann. Unicef schätzt, dass im Osten Libyens 283.000 Kinder leben.

Wie kam es zu der Flutkatastrophe?

Grund für die Katastrophe ist das Tiefdruckgebiet "Daniel", das bereits ein paar Tage zuvor in Griechenland, Bulgarien und der Türkei für Überschwemmungen sorgte. Das Tief zog weiter übers Mittelmeer Richtung Libyen. "Und dann hat es sich auf dem Mittelmeer noch mal richtig intensiviert und ist zu einer Art Medicane geworden", erklärt der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif im Bayerischen Rundfunk (BR). Ein Medicane ist ein Mittelmeer-Sturm, der Ähnlichkeiten mit einem tropischen Wirbelsturm hat.

Die Regenmengen waren ein Vielfaches von dem, was 2021 im Ahrtal zu einer Flutkatastrophe führte. "In der vergangenen Woche haben wir Niederschläge gemessen, die hat es so in Europa noch nie gegeben", sagte Latif dem BR. "Ich denke, das ändert sich gerade, dass wir erkennen, Klimawandel bedeutet nicht einfach nur höhere Temperaturen, sondern bedeutet vor allem extremeres Wetter, mehr Schadenspotenzial."

Das Mittelmeer war in diesem Jahr so heiß wie noch nie. Gebietsweise wurden in den vergangenen Wochen Wassertemperaturen von mehr als 26 Grad gemessen. Auch dadurch konnte das Tief "Daniel" auf seinem Weg übers Mittelmeer Energie und Wassermengen aufnehmen.

Am Sonntag traf das Tief auf Libyen. Die Regenmengen führten zu dem Bruch zweier Staudämme im Nordosten Libyens. Besonders hart traf es die Hafenstadt Derna, die am Fuße eines Gebirgsmassivs liegt. Das Wasser aus den Staudämmen flutete die Stadt.

Wie kommt die Hilfe bei den Betroffenen an?

Die Vereinten Nationen (UN) koordinieren den Hilfseinsatz. Unicef, ein Organ der UN, stimmt sich dabei eng mit den Behörden vor Ort ab und arbeitet mit anderen UN- und Nichtregierungsorganisationen zusammen.

In den ersten Tagen seien "Safe and Rescue"-Maßnahmen sehr wichtig, erklärt Unicef-Sprecherin Kahmann. Gleichzeitig brauchen Kinder und Familien jetzt dringend medizinische Hilfe und sauberes Trinkwasser. "In einer ersten Lieferung stellen wir mehr als 1.000 Sets mit Medikamenten und Hygieneartikel für 10.000 Menschen bereit, darunter ist auch Kleidung für Kinder." Viele Staaten haben Hilfen angekündigt, auch Deutschland.

Viele der Menschen fliehen aus den überfluteten Regionen, weil sie ihre Häuser verloren haben. "Die ersten Zahlen sagen, dass rund 20.000 Menschen Obdach suchen", sagt Kahmann. "Viele suchen in Schulen Zuflucht. Zum Beispiel in Bengasi wissen wir von 2.500 Menschen, die in 17 Schulen Obdach suchen."

Für die Kinder will Unicef schnellstmöglich psychosoziale Hilfe bereitstellen. "Es ist jetzt wichtig, schnellstmöglich sichere Orte zu etablieren, an denen Kinder psychosoziale Hilfe erhalten, wo sie spielen und malen können, ein bisschen abgelenkt sind und Hilfe erhalten, um das Erlebte besser verarbeiten zu könne", so Kahmann.

Allein Unicef geht davon aus, für erste Hilfsmaßnahmen zwei Millionen US-Dollar Spendengelder zu benötigen. Informationen dazu, wie Sie spenden können, finden Sie hier.

Wie ist die politische Situation in Libyen?

Seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 ist Libyen politisch instabil. In dem nordafrikanischen Land herrscht Bürgerkrieg. In Libyen beanspruchen zwei verfeindete und sich bekämpfende Regierungen die Macht. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Libyen.

Das Unglücksgebiet liegt im östlichen Teil des Landes, das von General Chalifa Haftar kontrolliert wird, der wiederum von Russland unterstützt wird. Seit mehreren Jahren sind etwa Söldner der Gruppe Wagner in Libyen. Um die Hauptstadt Tripolis regiert die international anerkannte Regierung um Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba, die allerdings ein wesentlich kleineres Territorium kontrolliert. Sie wird vorrangig von der Türkei unterstützt.

Im Unglücksgebiet regiert der Warlord Haftar, was die Koordination der Hilfen schwieriger macht. Mit Haftar müssten die Hilfsorganisationen aber reden, erklärt Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik im ZDF. "Haftar kontrolliert die Häfen, Flughäfen und Straßen in der Region", sagt Lacher.

Unicef-Sprecherin Kahmann bestätigt, dass Unicef in Krisensituationen wie dieser mit "allen Akteuren" im Gespräch sei, "um sicherzustellen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen sowie unsere Partner die Hilfe sicher vor Ort umsetzen können und die Kinder erreichen". Dabei geht es auch um Sicherheitsgarantien für die Helferinnen und Helfer.

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Den befeindeten Regierungen würden versuchen, Profit aus der Katastrophe zu schlagen und in der Bevölkerung gut dazustehen, erklärt Lacher im ZDF. "Es wird mit Sicherheit darum gehen, die großen Geldbeträge zu verteilen und zu unterschlagen, die die Regierung in Tripolis schon jetzt für Derna bereitgestellt hat", sagt Lacher.

Welche Auswirkungen hat die Katastrophe auf die Flüchtlinge im Land?

Libyen ist eines der Haupttransitländer für Menschen, die aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara nach Europa gelangen wollen. Über die zentrale Mittelmeerroute, also von Tunesien oder Libyen nach Italien oder Malta, haben im ersten Halbjahr 2023 bereits knapp 90.000 Menschen das Mittelmeer auf Booten überquert – weit mehr als im gleichen Zeitraum 2022, wie Zahlen der EU zeigen.

In den Unglücksgebieten leben laut UNHCR mehr als 1.000 registrierte Flüchtlinge. Die Flüchtlingsbehörde der UN geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge leben mehr als 200.000 Migranten im Osten Libyens. Wie viele von ihnen bei den Fluten verletzt, getötet oder vertrieben sein könnten, lässt sich derzeit nicht sagen.

In Libyen sind laut dem Europäischen Rat "gut etablierte und widerstandsfähige Schleuser- und Menschenhändlernetze" entstanden. Die Machthaber im Osten stehen zudem im Verdacht, an den Schleusungen mitzuverdienen.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Christine Kahmann
  • mit Material der Nachrichtenagentur dpa und Reuters
  • consilium.europa.eu: "Migrationsströme auf der zentralen Mittelmeerroute"
  • uno-fluechtlingshilfe.de: "Verheerende Naturkatastrophe in Libyen"
  • zdf.de: "Libyen: "Nicht einfach eine Naturkatastrophe"
  • auswaertiges-amt.de: "Libyen: Reise- und Sicherheitshinweise (Reisewarnung)"
  • taz.de: "Überschwemmungen in Libyen: Klimawandel tötet"
  • taz.de: "Halbe Stadt ins Meer gespült"
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