Durchbruch dank "Aktenzeichen XY" Das brutale Ende eines Lottogewinns
Todesangst statt unbändiger Freude. Wie ein Lottogewinn zum Albtraum wurde – und "Aktenzeichen XY" bei der Klärung eines schrecklichen Verbrechens half.
Es ist der 2. November 2016, kurz nach 17 Uhr, als es bei Birgit D.* an der Tür klingelt. Dort warten zwei Männer auf die 50-jährige Fürtherin. Sie behaupten, Polizisten zu sein und dass es ein Problem mit ihrer Tochter gebe. Als D. sich misstrauisch zeigt, drängen die Männer sie gewaltsam in die Wohnung.
Einer der Täter wirft sie zu Boden, fesselt ihre Hände und Füße mit Kabelbindern und wickelt mehrfach Panzertape um ihren Kopf, bis sie kaum noch atmen kann. "Das war so beengend. Platzangst. Atemnot. Ich habe gedacht, das ist meine letzte Minute. Das überlebe ich nicht", schildert sie die Situation im Podcast "Aktenzeichen XY... Ungelöste Verbrechen".
Ihre 22-jährige Tochter Kathrin wird durch den Lärm aufmerksam und tritt ins Wohnzimmer. Dort wird sie sofort von einem der Täter zu Boden gedrückt, ebenfalls gefesselt und mit Klebeband geknebelt. Die Männer schlagen und treten zu, drohen mit Vergewaltigung, falls die Frauen nicht kooperieren, versetzen sie in Todesangst.
Zielgerichtete Suche nach dem Tresor
Dann fangen die Täter an, Schubladen aufzureißen, Gegenstände auf den Boden zu werfen und die Frauen immer wieder anzuschreien. Offensichtlich suchen sie gezielt nach einem Tresor. In diesem befindet sich der Lottogewinn von Birgits Ehemann. Dieser hatte acht Jahre zuvor 50.000 Euro gewonnen und das Geld zu Hause deponiert. Er selbst ist zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort, sondern sitzt eine achtjährige Haftstrafe wegen Rauschgifthandels ab.
Die Eindringlinge gehen skrupellos vor. Zuerst zerren sie Kathrin ins Badezimmer, setzen sie in die Badewanne und fesseln sie an den Wasserhahn. Währenddessen erleidet ihre Mutter aufgrund akuter Atemnot einen Asthmaanfall und kann den Tätern erst nach Verabreichung eines Asthmasprays das Versteck des Tresorschlüssels verraten. Daraufhin wird auch sie in der Badewanne gefesselt.
Schließlich können die Täter den Tresor öffnen, in dem sich insgesamt 52.000 Euro befinden. Bevor sie fliehen, sprühen sie ihre Opfer mit einer unbekannten Flüssigkeit ein. Die beiden Frauen können nicht erkennen, worum es sich handelt. Sie fürchten das Schlimmste. Später wird sich herausstellen, dass es sich um eine ungefährliche Substanz, vermutlich Desinfektionsmittel, handelt. Erst nachdem die Männer die Wohnung verlassen haben, gelingt es den Frauen, sich zu befreien und die Polizei zu verständigen.
Aufklärung dank "Aktenzeichen XY"
Die Polizei steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die Eindringlinge haben kaum Spuren hinterlassen und weder Fingerabdrücke noch verwertbare DNA finden sich am Tatort. Auch eine Lichtbildrecherche und die Erstellung von Phantombildern führen zu keinem Ergebnis. Dann gelingt den Kriminaltechnikern doch noch ein Durchbruch: Sie entdecken eine winzige DNA-Spur an den Klebebandresten – und haben einen Treffer in der Datenbank. Der erste Verdächtige, Ali C.*, ist identifiziert.
Am 13. Dezember 2017 wenden sich die Ermittler zudem an die Öffentlichkeit und präsentieren den Fall in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst". Dabei schildern sie den Überfall im Detail und zeigen Phantombilder. Die Ausstrahlung liefert entscheidende Hinweise: Ein anonymer Anrufer identifiziert sowohl Ali C. als auch seinen Bruder Yilmaz* als Täter und liefert wichtige Informationen zu deren Vorgehen. Dadurch gelingt es den Beamten, die Verdachtsmomente gegen die Brüder zu erhärten und letztlich Haftbefehle gegen beide zu erwirken. Die Zusammenarbeit mit der Sendung wird zu einem Schlüsselfaktor für die Aufklärung des Falls.
Bei den Verdächtigen handelt es sich um keine Unbekannten. Ali C. ist einschlägig vorbestraft, genau wie Yilmaz. Letzterer hatte in der Justizvollzugsanstalt Straubing, als er mit Birgit D.s Ehemann inhaftiert war, von dem Lottogewinn erfahren und irrtümlich geglaubt, im Tresor befänden sich 250.000 Euro aus angeblichen Drogengeschäften. Über einen Mittelsmann gelangen Adresse und Details zur Familie in die Hände der Brüder. Zur Tatzeit befindet sich M. sogar noch in Haft. Dennoch kann er die Tat während eines langen Freigangs begehen, der ihm am 2. November 2016 zwischen 7.45 Uhr und 19.45 Uhr gewährt wird.
Psychische Folgen und Urteil
Am 20. November 2018 beginnt der Prozess gegen die beiden am Landgericht Nürnberg-Fürth. In dessen Folge werden Ali C. zu sechs und sein Bruder Yilmaz zu neun Jahren Haft verurteilt. Von der Beute ist zu diesem Zeitpunkt nichts mehr übrig – die Täter haben das Geld verzockt oder verprasst.
Die Tat hat bei den Opfern tiefe Spuren hinterlassen. Bei Birgit D. wird eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, ihre Tochter leidet immer wieder an Flashbacks. Lange Zeit können beide nicht arbeiten. Bis heute haben die beiden Frauen die Folgen des Verbrechens nicht hinter sich lassen können.
*Namen geändert, Anm .d. Red.
- Dieser Text wurde teilweise mit maschineller Unterstützung erstellt und redaktionell geprüft. Wir freuen uns über Hinweise an t-online@stroeer.de.
- br.de: "Lösen Fürther Ermittler dank XY nun brutalen Überfall?"
- nordbayern.de: "Fataler Lottogewinn: Brutaler Raubüberfall aufgeklärt"
- nordbayern.de: "Brutaler Überfall in Fürth: Täter muss lange in Haft"
- bild.de: "70 Hinweise bei Nürnberger Kripo eingegangen"