300 Hinweise bei "Aktenzeichen XY... Ungelöst" Giftmord mit Regenschirm – warum wurde ein Familienvater Opfer?
Ein Mann verlässt sein Büro und freut sich auf ein ruhiges Wochenende. Doch nur wenige Minuten später beginnt ein Albtraum, der mit seinem Tod endet und Ermittler bis heute vor Rätsel stellt.
Hannover, Juli 2011: Christoph Bulwin, ein 40-jähriger Familienvater, verlässt wie gewohnt am Freitagnachmittag sein Büro. Der Softwareentwickler, der für die Gewerkschaft IG BCE arbeitet, freut sich auf ein ruhiges Wochenende mit seiner Familie.
Gegen 16 Uhr bemerkt Bulwin einen Mann auf der anderen Straßenseite. Er trägt eine dunkle Lederjacke, eine Basecap mit hellem Schriftzug und hält einen geschlossenen Regenschirm in der Hand. Was harmlos aussieht, entpuppt sich als der Beginn einer tödlichen Odyssee.
Plötzlich spürt der 40-Jährige einen stechenden Schmerz in seiner linken Gesäßhälfte. Der Mann mit dem Regenschirm geht ruhig weiter. Bulwin realisiert, dass etwas nicht stimmt, spricht den Unbekannten an und versucht, ihm den Schirm zu entreißen. Dabei fällt ein schwarzes Röhrchen zu Boden, aus dem eine Spritze mit heller Flüssigkeit herausragt. Der Angreifer flüchtet.
Gleich danach alarmiert Bulwin die Polizei und wird ins Krankenhaus gebracht. Anfangs zeigen sich keine Symptome, doch eine Woche später verschlechtert sich sein Zustand rapide: Fieber, Übelkeit, neurologische Ausfälle. Schließlich fällt er ins Koma. Untersuchungen ergeben, dass dem Familienvater Dimethylquecksilber injiziert wurde, eine der tödlichsten Chemikalien der Welt.
Eine heimtückische Substanz
Dimethylquecksilber, ein farbloses Nervengift, wird nur noch in seltenen Forschungsbereichen verwendet. Bereits kleinste Mengen sind tödlich. Bekannt wurde die Substanz durch den tragischen Laborunfall der Chemikerin Karen Wetterhahn 1996, die nach Hautkontakt mit nur einem Tropfen einige Monate später starb.
Christoph Bulwins Quecksilberwerte liegen 2000-mal über dem Normalwert. Die Schäden in seinem Körper sind irreparabel. Nach zehn Monaten qualvollen Leidens stirbt er schließlich im Mai 2012 an einem epileptischen Anfall.
Die Suche nach einem Motiv
Warum wurde Bulwin Opfer dieses Anschlags? Eine Frage, die Ermittler bis heute nicht beantworten können. Im privaten Umfeld finden sich keine Hinweise auf Feinde oder Konflikte. Auch beruflich führte Bulwin ein unauffälliges Leben als Softwareentwickler.
Dennoch vermuten Ermittler, dass der Täter aus seinem Arbeitsumfeld stammen könnte. Die IG BCE vertritt zahlreiche Betriebe mit chemischem Bezug. Denkbar ist, dass der Täter aus Rache handelte – möglicherweise fühlte er sich von der Gewerkschaft im Stich gelassen.
Andere Theorie lauten, dass Bulwin mit jemandem verwechselt wurde oder, dass er nur ein Zufallsopfer wurde. Eine Verbindung zu Geheimdiensten, wie sie bei einem anderen Regenschirmattentat 1978 in London vermutet wurde, ist nicht völlig ausgeschlossen, gilt für die Ermittler als unwahrscheinlich.
Neue Ermittlungsansätze
2018 führt ein spektakulärer Fall in Bielefeld zu neuen Ermittlungen: Der sogenannte Pausenbrot-Mörder hatte Arbeitskollegen über Jahre hinweg vergiftet, darunter auch mit Dimethylquecksilber. Die Ermittler prüfen daraufhin, ob der Täter mit Bulwins Fall in Verbindung stehen könnte, finden jedoch keine DNA-Übereinstimmungen.
2022 wird der Fall in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... Ungelöst" präsentiert. Die Sendung bringt 300 Hinweise, doch der entscheidende Durchbruch bleibt aus. Eine neue Untersuchung 2023 zeigt, dass mindestens zwei weitere männliche DNA-Spuren an der Tatwaffe haften. Ob der Täter allein handelte oder Helfer hatte, bleibt unklar.
Ein ungelöster Fall
Christoph Bulwins Familie hofft weiterhin auf Antworten. Warum musste ein unauffälliger Familienvater sterben? Wer war der Mann mit dem Regenschirm? Die Ermittlungen gehen weiter. Der mysteriöse Regenschirm-Mord bleibt somit bis heute einer der ungewöhnlichsten und rätselhaftesten Fälle in der deutschen Kriminalgeschichte.
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- focus.de: "Ermittler prüfen neue Hinweise zum Regenschirm-Mord"
- focus.de: "TV-Kolumne Aktenzeichen XY": Ermittler ratlos - "Wir finden kein Motiv für die Tat"