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Zehn Jahre vertrauliche Geburt: inkognito, aber gut versorgt


Gesundheit
Zehn Jahre vertrauliche Geburt: inkognito, aber gut versorgt

Von dpa
01.05.2024Lesedauer: 4 Min.
Frau mit NeugeborenemVergrößern des Bildes
1166 Frauen haben nach Angaben des Bundesfamilienministeriums bis Februar 2024 vertraulich ein Kind geboren. (Quelle: Sina Schuldt/dpa/dpa-bilder)

Seit zehn Jahren können Schwangere in besonderen Notlagen in Deutschland vertraulich gebären. Expertinnen ziehen eine positive Bilanz - üben aber auch Kritik.

Mal ist es die Angst vor dem gewalttätigen Kindsvater, mal die vor der eigenen Familie, mal liegt eine wirtschaftliche oder psychische Abhängigkeit zugrunde: Manche Schwangeren sind in solch großer Not, dass sie ihre Schwangerschaft selbst vor ihrem engsten Umfeld verheimlichen.

Doch wo dann das Kind auf die Welt bringen? Und was passiert mit dem Kleinen danach? Seit zehn Jahren haben Frauen in besonders schwierigen Lebenssituationen in Deutschland die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt.

Sie wurde am 1. Mai 2014 eingeführt, um Kindstötungen und -aussetzungen zu verhindern und eine legale Alternative zu Babyklappe und anonymer Geburt zu schaffen. Zugleich bekommt das Kind zumindest die Chance auf Kenntnis seiner eigenen Herkunft, die nach Ansicht von Fachleuten für die Persönlichkeitsentwicklung besonders wichtig ist.

Hilfetelefon "Schwangere in Not"

Erste Anlaufstelle ist das Hilfetelefon "Schwangere in Not", das rund um die Uhr in 19 Sprachen unter 0800 40 40 020 erreichbar ist. Dort wird die werdende Mutter an eine Schwangerschaftsberatungsstelle vermittelt. Deren Mitarbeiterin ist die einzige Person, die die wahre Identität der Betroffenen erfährt, welche ansonsten ein Pseudonym erhält.

Die Beraterin vermerkt die Personalien der Mutter auf einem Herkunftsnachweis, der in einem versiegelten Umschlag zentral aufbewahrt wird. Der Umschlag wird mit Datum und Ort der Geburt, dem Pseudonym der Mutter und dem Namen des Kindes versehen. Das Kind wiederum kommt direkt nach der Geburt in Obhut und wird nach ungefähr einem Jahr zur Adoption freigegeben, sofern die Mutter ihre Anonymität nicht widerruft. Mit 16 Jahren erhält es das Recht, die persönlichen Daten seiner Mutter zu erfahren - sofern diese nicht aus gewichtigen Gründen aktiv widerspricht. Im Zweifel entscheidet ein Familiengericht.

Zehn Kinder pro Monat

1166 Frauen haben nach Angaben des Bundesfamilienministeriums bis Februar 2024 vertraulich ein Kind geboren, relativ konstant etwa zehn pro Monat. Daten aus den einzelnen Bundesländern liegen dem Ministerium nicht vor, doch sind die Fallzahlen pro Jahr dort jeweils sehr gering - eine große Herausforderung für das gesamte System vom Rettungsdienst bis zum Standesamt. So wurden beispielsweise in Bayern als dem flächenmäßig größten Bundesland mit der zweitgrößten Bevölkerung laut dortigem Familienministerium 2022 nur 17 vertrauliche Geburten registriert.

"Die Gründe für eine vertrauliche Geburt sind ganz verschieden und sehr individuell", resümiert Evi Kerkak, Fachbeauftragte von Donum Vitae in Bayern. Der auf Schwangere in Konfliktsituationen spezialisierte Verband war mit seinem "Moses-Projekt", in dessen Rahmen Frauen im Freistaat schon seit 1999 völlig anonym gebären können, bundesweiter Vorreiter, was letztlich der vertraulichen Geburt den Weg geebnet hat.

Angst und Scham

"Die Erfahrung zeigt, dass das Thema Angst riesig ist", schildert Kerkak. Da ist etwa die junge Frau, die fürchtet, bei Bekanntwerden der Schwangerschaft in das Heimatland ihrer Eltern zwangsverheiratet zu werden. Oder die werdende Mutter, der der anderweitig verheiratete Kindsvater die Ermordung des Kindes androht, sollte sie es nicht abtreiben. Andere Betroffene fürchten, ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren oder das Familiengefüge zu zerstören.

"Scham ist ein zweiter Grund", zählt Kerkak auf. Etwa bei Müttern, die bereits Unterstützung vom Jugendamt bekommen und nun ungeplant erneut schwanger sind. Oder die vergewaltigt wurden. Ein dritter Grund seien psychische Erkrankungen. Der Gedanke der Betroffenen: "Ich kann nicht mal für mich sorgen, wie soll ich für ein Kind sorgen können?"

Ein reguläres Adoptionsverfahren kommt als Alternative häufig nicht infrage, weil es in weiten Teilen der Gesellschaft geächtet ist und zudem verschiedene Stellen - von der Krankenkasse bis zum Notar - von der Geburt erfahren. "Der Wunsch nach Anonymität ist oft nicht dem Kind gegenüber, sondern der Umgebung", betont Yvonne Fritz vom Sozialdienst katholischer Frauen.

"Bestmöglicher Kompromiss"

Die Expertinnen aus der Praxis befürworten das Konzept der vertraulichen Geburt daher unisono als "bestmöglichen Kompromiss", auch wenn es die meist im Affekt begangenen Kindstötungen oder -aussetzungen kaum vermeiden könne. Doch es gibt auch Kritikpunkte: So bleibe etwa Frauen, die keine gültigen Ausweispapiere haben oder sich illegal in Deutschland aufhalten, nur die noch immer in einer rechtlichen Grauzone angesiedelte anonyme Geburt. Auch sei weder geregelt noch finanziert, wie die Schwangeren zu ihrem eigenen Schutz vor der Geburt außerhalb ihres Umfeldes untergebracht werden könnten.

Auch könnten Mütter davon abgehalten werden, ihr Kind doch noch anzunehmen, weil dann die Kosten für die Geburt anfallen - aber nicht alle Betroffenen eine Krankenversicherung haben. "Und es wird von vielen Seiten gefordert, dass es ein klares Zeitfenster gibt, nach dem das Kind zur Adoption freigegeben wird", zählt Kerkak auf.

Noch eines ist den Fachfrauen nach zehn Jahren vertraulicher Geburt wichtig: mehr Anerkennung für die Mütter, die ihr Kind in gute Hände geben. Dann würden sich auch viel mehr Frauen für eine offizielle Adoption mit all ihren Vorzügen für Mutter und Kind statt für eine vertrauliche oder gar komplett anonyme Geburt entscheiden.

"Fast alle Frauen in der Beratung sagen, das Wichtigste ist mir, dass es dem Kind gut geht, und denken zugleich, sie wären wahnsinnig schlechte Mütter", schildert Heike Pinne vom Beratungsstellen-Verbund pro familia. "Dabei sorgen sie dafür, dass ihr Kind an einen guten Ort kommt. Denen gebührt allerhöchster Respekt und nicht Stigmatisierung."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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