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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit in der Union Knallt es jetzt?
Die Mehrheit der CDU-Ministerpräsidenten wünscht sich eine Reform der Schuldenbremse. Doch Friedrich Merz und die Fraktion sind strikt dagegen. Wer setzt sich durch? Ein Lagebild.
Carsten Linnemann schüttelt energisch den Kopf, als er am Montagmittag zum dritten Mal nach der Schuldenbremse gefragt wird. Er presst die Lippen zusammen, wirkt leicht genervt. Während der Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus soll der CDU-Generalsekretär erklären, wo seine Partei in der Frage steht. Dabei ist die Sache für ihn doch klar:
"Wir halten an der Schuldenbremse fest", sagt Linnemann. Da gebe es auch kein Rütteln.
Tatsächlich ist die Haltung der Union überhaupt nicht klar. Zwar ist man sich einig, dass an der Schuldenbremse festgehalten werden soll. Aber was die Frage einer möglichen Reform angeht? Da gibt es dann doch sehr unterschiedliche Haltungen.
Die Länder pochen auf eine Reform der Schuldenbremse
Auf der einen Seite stehen die Ministerpräsidenten der CDU. Unter ihnen wird seit Längerem die Debatte geführt, ob man sich für eine Reform der Schuldenbremse offen zeigen sollte. Als erster hatte sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, öffentlich dazu geäußert. Bereits Ende des vergangenen Jahres sagte Wegner dem "Stern", für Investitionen sei eine Reform dringend erforderlich.
Friedrich Merz und ein Großteil seiner Fraktion sehen das jedoch anders. Sie wollen nicht nur an der Schuldenbremse festhalten, sondern sind auch strikt gegen jegliche Veränderungen. Den Parteikollegen Wegner watschte der CDU-Vorsitzende nach dessen Äußerungen deshalb mit einer herablassenden Bemerkung im Bundestag ab. Die Union sei gegen jede Form einer Aufweichung der Schuldenbremse und Entscheidungen dazu "werden hier im Deutschen Bundestag getroffen und nicht im Rathaus von Berlin", so Merz im Plenum.
Allerdings kommen die Rufe nach einer Reform jetzt nicht mehr nur aus dem Roten Rathaus. Seit Monaten wird unter den CDU-Ministerpräsidenten über das Thema beraten. Mittlerweile zeigen sich viele von ihnen auch öffentlich bereit, die Schuldenbremse zu reformieren. Sogar ein gemeinsamer Antrag im Bundesrat für eine Reform der Schuldenbremse noch in diesem Jahr wird erwogen.
Doch Merz hält weiter dagegen. Die Debatte droht einen Riss durch die Partei zu ziehen.
Merz ist in einer komfortableren Lage als seine Ministerpräsidenten
Per se gibt es für die unterschiedlichen Haltungen in Sachen Schuldenbremse-Reform durchaus Gründe: Die Ministerpräsidenten sind schlichtweg in einer anderen Situation als ihr Parteichef und dessen Fraktion. Allein schon, weil die einen regieren, während die anderen Opposition machen. Heißt auch: Merz befindet sich in einer deutlich komfortableren Lage, was das Thema angeht. Der Oppositionsführer kann die Regierung vor sich hertreiben, zum Sparen aufrufen und finanzielle Kürzungen fordern, wie beim Bürgergeld oder der Kindergrundsicherung.
Unterdessen haben die Länderchefs das Problem, dass sie selbst mehr Geld brauchen. Denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Tatsache, dass der Ampel plötzlich 60 Milliarden Euro fehlen, macht sich auch bei ihnen bemerkbar. Hinzu kommt, dass die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für sie noch strenger gilt als für den Bund.
Fast alle Ministerpräsidenten seien deshalb offen für eine Reform der Schuldenbremse, heißt es aus CDU-Kreisen. Einen öffentlichen Streit mit Friedrich Merz wolle man jedoch vermeiden. Erst recht so kurz vor dem Parteitag.
Aber ist es dafür mittlerweile nicht zu spät? Immerhin läuft die Debatte längst.
Gute Gründe zum falschen Zeitpunkt – was ist das Ziel?
Am vergangenen Wochenende macht Friedrich Merz seine Haltung zu dem Thema noch einmal deutlich. In einer Diskussionsrunde während des Ludwig-Erhard-Gipfels am Tegernsee sitzt der CDU-Vorsitzende unter anderem mit der SPD-Chefin Saskia Esken zusammen. Es geht um die aktuelle Wirtschaftslage, um Investitionen – und Schulden. Auf den Appell von Esken, die Schuldenbremse sei investitionshemmend, reagiert Merz so: "Wenn Sie glauben, dass sie ständig weiter Geld ausgeben können für Ihre Versprechungen, die nicht mehr finanzierbar sind. Und dann anschließend die Union darum bitten für weitere Änderungen des Grundgesetzes – diesen Weg gehen wir nicht mit, Frau Esken."
Es sind Aussagen, die Merz nicht zum ersten Mal tätigt und die auch seine CDU-Kollegen in den Ländern kennen. Und auch, wenn man dort anderer Meinung ist, ist klar, dass eine Reform allein mit und nicht gegen Merz funktionieren wird. Denn die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag geändert werden.
So vehement, wie Merz und Linnemann das Thema derzeit ablehnen, scheint kaum vorstellbar, dass sich die Meinung noch einmal ändern könnte. Ländervertreter befürchten zudem, dass in der Öffentlichkeit durch die harte Ablehnung der Parteispitze das Bild entsteht, man halte die Schuldenbremse für falsch – was nicht stimme. Allein der Begriff "Aufweichen" sei negativ konnotiert, heißt es dort.
Bis zum Wahlkampf wird die CDU in der Frage eine einheitliche Linie gefunden haben müssen. Dass sie sich auf dem Parteitag dazu einigen wird, ist unwahrscheinlich. In den Ländern rechnet man eher damit, dass Merz sich noch einmal in Ruhe mit den Ministerpräsidenten zusammensetzen wird.
Fraglich bleibt jedoch, warum das Thema vonseiten der Länder ausgerechnet jetzt – noch bevor die Ampel die Hand überhaupt ausgestreckt hat – über die Öffentlichkeit gespielt wird. Gerade, wenn es den Wunsch gibt, Merz vor dem Parteitag nicht in die Parade zu fahren, ist es eigentlich unnötig. Es sei denn, das Motiv war ein anderes.
- Eigene Recherche
- https://ludwig-erhard-gipfel.de/
- www.stern.de