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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Nord- und Ostseeküste Am Strand rücken jetzt die Bagger an
Die deutschen Küsten wappnen sich: Millionensummen fließen in Maßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel – auch damit der Tourismus weiter möglich bleibt.
Wer Urlaub an der Nordsee macht, dürfte in den kommenden Jahren immer häufiger nicht vor grünen Deichen, sondern vor Baustellen stehen: Die Küstendämme werden erhöht und verbreitert. Das kostet Millionen – doch ist angesichts der Klimakrise und des steigenden Meeresspiegels dringend notwendig. Denn die See könnte den deutschen Küsten an Nord- und Ostsee und ihren 4,5 Millionen Anwohnern andernfalls zum Verhängnis werden.
Eigentlich ist Küstenschutz Ländersache. Die Kosten aber trägt zu großen Teilen der Bund: 1,1 Milliarden Euro stehen im diesjährigen Bundeshaushalt für die "Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz" (GAK) zur Verfügung. Im ersten Entwurf für das nächste Jahr waren zunächst 300 Millionen weniger vorgesehen – ausgerechnet in Zeiten, in denen die Klimakrise immer weiter voranschreitet.
Doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) will Deutschland wieder auf Kurs mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes bringen – und muss sparen. Alle Ministerien sollen weniger Geld erhalten, als sie Bedarf angemeldet haben: auch das Landwirtschaftsministerium von Cem Özdemir (Grüne), über welches die Mittel an die Länder verteilt werden.
Sparen beim Küstenschutz?
Aus denen kam prompt Protest: "Perfide" nannte Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) die Pläne von Lindner der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) zufolge. Das niedersächsische Finanzministerium teilte der Zeitung mit, die Pläne seien angesichts der Klimakrise "kaum nachzuvollziehen". Und aus Mecklenburg-Vorpommern hieß es laut dem Bericht, die Kürzungen beim Küstenschutz seien ob des steigenden Meeresspiegels verfehlt.
Doch auf t-online-Anfrage heißt es aus dem Schweriner Klimaschutzministerium nun: "Wir bekommen vom Bund im kommenden Jahr nicht weniger, sondern mehr Geld für den Küstenschutz." War die Aufregung also unbegründet?
Ministerium: Entwarnung beim Küstenschutz
Nachfrage im Bundeslandwirtschaftsministerium: Insgesamt habe Lindner ursprünglich gefordert, dass bei den Gesamtausgaben des Hauses im kommenden Jahr 498 Millionen Euro gespart werden – 7,2 Milliarden Euro stehen derzeit zur Verfügung. Das habe man in Verhandlungen "unter schwierigen Voraussetzungen" auf 150 Millionen Euro absenken können, die nun noch eingespart werden müssen. Dieser Betrag steht jetzt im Kabinettsbeschluss und bezieht sich auf die Gesamtsumme – also nicht nur auf die GAK-Mittel.
"Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Sparauflagen bei der GAK und im restlichen Haushalt uns vor schwere Entscheidungen gestellt haben", so ein Sprecher des Ministeriums. Özdemir habe sich dafür eingesetzt, nicht noch weiter bei den Ausgaben für die ländlichen Räume sparen zu müssen. Dennoch fallen Mittel weg, zum Beispiel bei der Dorfentwicklung oder dem Naturschutz.
Aber: Für den Küstenschutz seien aufgrund der "herausgehobenen Bedeutung zum Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung" ohnehin eigene Haushaltsmittel vorgesehen – auch weiterhin.
Budgets der Länder steigen sogar
Auf diese verweist man in Schwerin ebenfalls. Denn der Sonderrahmenplan Küstenschutz wurde auf Initiative der Länder schon im vergangenen Jahr vom Bund aufgestockt und verlängert – verbindlich bis 2040. Damit steigt das Budget für den Küstenschutz sogar. Das Klimaschutzministerium aus Mecklenburg-Vorpommern rechnet vor: 2023 habe man für den Schutz der Ostseeküste 23 Millionen Euro zur Verfügung, 2024 rund 25 Millionen Euro.
Das Geld kann das Bundesland gut gebrauchen. Bis zu 80 Zentimeter soll der Meeresspiegel der Ostsee bis Ende des Jahrhunderts steigen. Bislang setzt man hier hauptsächlich auf Buhnen als Wellenbrecher im Wasser, auf Sandstrände, Dünen und Wald an der Küste.
Gemeinden kippen Sand ans Meer – Jahr für Jahr wieder
Aber die Gemeinden müssen ihre Strände vielerorts bereits jetzt jedes Jahr künstlich wieder aufschütten. Stürme und Hochwasser tragen den Sand ab. Betroffen sind zum Beispiel der bekannte Timmendorfer Strand oder die Küste in Heiligenhafen. Der Aufwand rechnet sich vor allem aufgrund des Tourismus: Der Strand ist das Kapital der Gemeinden.
Nachhaltig ist es allerdings nicht. Denn eigentlich herrscht ein natürliches Gleichgewicht aus abbrechendem Sand an den Steilküsten und Neuanspülung an anderer Stelle – die Küstenlinie wäre naturgemäß also eigentlich ständig in Bewegung. Häufig passt das aber nicht zur Bebauung an der Küste – zumal der steigende Meeresspiegel dazu führt, dass sich die Küstenlinie stetig weiter ins Landesinnere verschiebt und die Ostsee immer mehr Sand "schluckt". Die Gemeinden müssen daher künstlich nachhelfen, Jahr für Jahr wieder. Neue Konzepte sind in Arbeit, beispielsweise in Warnemünde gibt es bereits Sturmflutschutzwände, die bei Bedarf noch erhöht werden können.
Vom Deich zum Klimadeich
Auf Erhöhung setzt man auch an der Nordseeküste, für die bis zu ein Meter Meeresspiegelanstieg bis 2100 vorhergesagt sind. Hier werden die Deiche zu Klimadeichen umgebaut: Ein bis zwei Meter höher als die vorhandenen Deiche und im Idealfall 130 Meter breit – so wird die Böschung insgesamt flacher und widerstandsfähiger gegen den Aufprall der Wellen bei Sturmflut. Steigt das Wasser noch mehr, kann weiter aufgestockt werden.
Umweltminister: "Daseinsvorsorge im wesentlichen Sinne"
In Niedersachsen zeigt man sich daher erleichtert, dass die Einsparungen bei der GAK am Küstenschutz größtenteils vorbeigehen. Aus Landes- und Bundesmitteln zusammen stehen im laufenden Jahr 78,8 Millionen Euro für den Küstenschutz bereit, 2024 werden es 80 Millionen Euro sein, wie das Umweltministerium in Hannover auf t-online-Anfrage mitteilt.
Umweltminister Christian Meyer (Grüne) fordert jedoch mindestens eine Verdopplung der Mittel zum dauerhaften Schutz von "Menschen und Eigentum hinter dem Deich". Die menschengemachte Klimakrise sei eine nationale Verantwortung, sagt er t-online. "Das erfordert Milliarden an Investitionen in den Deichbau und Küstenschutz und ist Daseinsvorsorge im wesentlichen Sinne."
Touristenorte in Schleswig-Holstein bauen um
Noch mehr trifft das auf die Nordseeküste von Schleswig-Holstein zu. Denn aufgrund der typischen Westwinde treffen Sturmfluten sie meist stärker. Das Land hat sich deswegen vorgenommen, pro Jahr vier Kilometer der insgesamt 431 Kilometer Landesschutzdeiche zu Klimadeichen umzubauen.
Der Touristenort Büsum in Dithmarschen hat das bereits hinter sich. Derzeit stehen die Bagger am Eiderdamm und am Hauke-Haien-Koog in Nordfriesland. Als Nächstes an der Reihe sind Friedrichskoog (Dithmarschen) und das nördliche Eiderstedt (Nordfriesland). Bis die komplette Küste saniert ist, kann es noch dauern.
Die Finanzierung muss deswegen auch langfristig "auf soliden Füßen" stehen, fordert Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) daher. Mit Ausgaben von 5 Millionen Euro rechnet man in seinem Bundesland pro Kilometer Klimadeich – im Durchschnitt, wenn die Gegebenheiten vor Ort den Umbau besonders erschweren, könnten bis zu 14 Millionen Euro zu Buche schlagen.
In diesem Jahr stünden insgesamt rund 50 Millionen Euro zur Verfügung, teilt das Umweltministerium auf t-online-Anfrage mit. Im kommenden Jahr werden es demnach 56,5 Millionen Euro sein.
Viel Geld. Aber: "Küstenschutz ist Menschenschutz", sagt Minister Goldschmidt zu t-online. "Die Auswirkungen der Klimakrise schlagen auch in Deutschland drastisch zu." Mindestens bis 2100 sollen die Klimadeiche die Küsten und Menschen davor schützen – länger reichen die Prognosen zum Meeresspiegel nicht.
- Anfragen beim Bundeslandwirtschaftsministerium und den zuständigen Ministerien in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern
- bmel.de: Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"
- bmel.de: "Sonderrahmenplan: Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels"
- regierung-mv.de: Küstenschutz
- nzz.ch: "Aufstand der Küstenländer: Christian Lindner droht eine Sparblockade"
- ndr.de: "Spiel auf Zeit: Die Illusion vom Sandstrand an der Ostsee"
- ndr.de: "Wie sicher sind Deutschlands Küsten?"