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Corona-Krise: Deutschland hat vielfach versagt – und jetzt?


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Corona-Krise
Deutschland hat vielfach versagt – und jetzt?

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

18.03.2021Lesedauer: 6 Min.
Kanzlerin Angela Merkel: Die Regierenden zeigen in der Corona-Krise wenig Weitblick.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Angela Merkel: Die Regierenden zeigen in der Corona-Krise wenig Weitblick. (Quelle: photothek/reuters)
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Mangelnde Vorbereitung, zu viel Bürokratie: In der Corona-Krise läuft nicht alles, aber doch vieles in Deutschland schlecht. Jetzt braucht es einen kühlen Kopf.

Die Liste der Enttäuschungen nach dem Frühjahr 2020 ist lang. Die FFP2-Masken kamen zu spät, von ihrer kostenlosen Verteilung profitierten die Apotheken, die in der ganzen Krise nie schließen mussten. Seit der Maskenaffäre wissen wir, Politikerinnen und Politiker haben sich persönlich bereichert. Ähnliche Problemgeschichten ließen sich zu den Corona-Schnelltests und Selbsttests erzählen. Die Corona-WarnApp des Bundes funktioniert nicht, was niemanden mehr zu interessieren scheint.

Beim Impfstoff wurde erst die Beschaffung in den Sand gesetzt, später die Produktion, die Festlegung von einer Impfreihenfolge, die Vergabe von Impfterminen oder die frühzeitige Einbeziehung von Hausärzten; apropos Produktion: Bill Gates forderte schon vor einem Jahr, auf gut Glück Fabriken für mehrere Impfstoffkandidaten weltweit zu bauen, und finanzierte über seine Stiftung selbst welche mit – ganz gleich ob Staaten dadurch ein paar Milliarden verschwenden würden, argumentierte er, in Relation zu den Billionen an Wirtschaftsschäden sei das wenig.

Mangelnde Vorbereitung, immer wieder

Aber sei’s drum. Die Corona-Hilfen für die Wirtschaft hinken pannengeplagt hinterher oder fließen an die falschen Stellen. Das Gesundheitssystem darbt: Tausende Pflegekräfte wollen traumatisiert und körperlich am Ende ihren Job aufgeben, dabei war "Pflegenotstand" schon lange vor der Pandemie das Schlagwort der Stunde (Diese Entwicklung ist echt ein Skandal!). Die politische Krisenkommunikation ist eine Katastrophe. Wir sind angesichts der Toten vielfach am Schutz der Hauptrisikogruppe in den Pflegeheimen gescheitert.

Überhaupt zieht sich die mangelnde Vorbereitung von Corona-Schutzmaßnahmen wie ein roter Faden durch die Pandemiebekämpfung. Ein Beispiel: Kommende Woche sollen die ersten Massen-Schnelltests an weiterführenden Schulen durchgeführt werden – eine Woche NACH Wiederaufnahme des Präsenzbetriebs. In dieser Woche nun wurden hektisch Konferenzen von Lehrerinnen und Lehrern einberufen, weil niemand weiß, wie die Tests ablaufen: Alle Kinder betreten morgens die Klasse, ziehen fröhlich ihre Masken ab, um sich selbst zu testen? Oder reihen sie sich vor den Eingängen auf? Während Unterrichtszeit fürs Rumstehen draufgeht, stellen sie sich in Warteschlangen an? Die Testergebnisse dürfen am Ende bisher ungeschulte Lehrerinnen und Lehrer abnehmen?

Differenziertes Vorgehen? Fehlanzeige

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Schnelltests bereits vor Wochen versprochen, und Schulen müssen sich jetzt rasch selbst überlegen, wie sie das irgendwie sicher und effizient organisieren?! Das nennt man gemeinhin Planlosigkeit oder Chaos. Aber was will man erwarten, wenn es binnen eines Jahres nicht gelingt, alle Schülerinnen und Schüler mit Tablets und alle Klassen mit WLAN und Luftfiltern auszustatten.

Generell beschränken sich die "strategischen Corona-Planungen" in Deutschland auf Auf oder Zu, Lockdown oder Öffnung, Schwarz oder Weiß. Differenziertes und überlegtes Vorgehen fehlt bis heute. Es werden nach Gutdünken Einrichtungen dichtgemacht beziehungsweise nach der Abwägung, von wem viel oder wenig Widerstand zu erwarten ist. Das ist keine taugliche Strategie. Auch ein Jahr später kann niemand empirisch belegen, dass Restaurants trotz ausgeklügelter Hygienevorkehrungen echte Infektionstreiber wären – ebenso wenig wie Kinder- und Jugendsport im Freien. Nirgends erhält man den Eindruck, dass zu solchen Ereignissen aktiv Wissen geschafft wird. Wo sind die Modellprojekte?

Strukturelle Probleme in Deutschland

Inzwischen wird seit Monaten darüber geredet, dass man mit dem Fortschreiten der Pandemie nicht mehr wie am Krisenanfang nur den Inzidenzwert im Blick behalten darf, sondern vermehrt Immunitätsraten (besonders unter Hochrisikogruppen), Auslastungsraten von Krankenhäusern oder psychischen und sozialen Belastungsraten beachten muss. Daran kann auch die britische Virusvariante B.1.1.7. nichts ändern. Dennoch fällt Städten wie Duisburg oder Dortmund nichts Besseres ein, als bei steigenden Inzidenzen sogleich Schulen und Kitas zu schließen. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und sein Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann haben recht, wenn sie nun sagen, das könne nicht sein. Schulschließungen müssen wirklich eine Ultima Ratio sein. Vor allem sind sie schwer vermittelbar, wenn gleichzeitig die Buchungszahlen für Reisen über Ostern nach Mallorca explodieren.

All die vielen Mängel und Widersprüche sind Hinweise darauf, dass es strukturelle Probleme in Deutschland gibt, sie lassen sich nicht allein an Einzelpersonen wie den Bundesministern festmachen. Eklatante Risse werden deutlich. Da kann man sich in seinem Frust und seiner Wut über die Corona-Politik leicht verlieren. Das böse Wort vom "Staatsversagen" kommt einem in den Sinn.

Uns fehlt der Mut

Das ist bitter, zumal wir Deutsche uns stets für jene halten, die mit ihrer sachlichen Art und der ruhigen Hand von Bundeskanzlerin Angela Merkel immer alles besser manchen als andere: Wir sind Exportweltmeister, Reiseweltmeister, vierfacher Fußballweltmeister, Kulturnation mit bedeutenden Dichtern und Denkern und "Made in Germany" gilt als Qualitätssigel schlechthin. Tatsächlich steht Deutschland auch in der Krise an vielen Stellen besser da als andere Staaten. Die Untergangspropheten dürfen sich also wieder in ihre Höhlen zurückziehen. Deutschland hat vielfach versagt, aber am Abgrund steht es nicht.

Doch unsere Erfolge und unser Selbstbild haben bequem und müde gemacht. Letztlich ging es uns in den vergangenen Jahren offenbar zu gut, sodass wir nicht mehr die Notwendigkeit sehen, Probleme beherzt und entschieden anzugehen. Vielfach fehlt uns Mut. Wir drehen lieber zehn Mal um uns selbst, um nach Absicherungen zu suchen und verschanzen uns hinter Bürokratie, statt anzupacken; nebenbei bemerkt, hier kann man viel von mancher Einwanderin und von manchem Einwanderer lernen, die in wirtschaftlicher Bedrängnis Unternehmertum entwickeln, statt so lange die Risiken abzuwägen, bis es zu spät ist.

Traurig, aber wahr: der nächste Lockdown kommt

Okay, Strich drunter! Strich unter die Vergangenheit. Die Zuspitzung der Corona-Krise zwingt uns jetzt dazu, nach vorne zu schauen. Das Geschehene kann nicht ungeschehen gemacht werden. Ununterbrochen über die Versäumnisse der letzten Monate zu schimpfen, ist angesichts der Dramatik des Pandemiegeschehens im Moment nicht hilfreich. Die Abrechnungen können später erfolgen – an den Wahlurnen. Jetzt braucht es einen kühlen Kopf.

Am kommenden Montag werden Bund und Länder bei ihrem nächsten Treffen wegen all der schlechten Corona-Politik nicht um einen weiteren Lockdown herumkommen – traurig aber wahr. Dabei werden wohl oder übel die Schulen im Blickpunkt stehen. Bund und Länder sollten sich jedoch hüten, sie ab kommender Woche sofort verbindlich für alle zu schließen – gerade, wo sich die Schulen gegenwärtig wegen der Massentests ein Bein ausreißen. Eine solche Entscheidung würde nur Zorn vermehren.

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Wir brauchen mehr als Mittelaltermethoden

Schulen müssen so lange wie möglich offen bleiben! Hebt jedoch die Präsenzpflicht für die eine Woche bis zu den Osterferien auf und lasst die Eltern entscheiden! Geht dann mit den Osterferien in einen harten Lockdown! Verlängert die Osterferien um ein, zwei Wochen! Danach dürften Wetter und Verfügbarkeit von Impfungen und Tests unsere Freunde und Freundinnen sein.

Medizinerinnen und Mediziner, Virologinnen und Virologen, Epidemiologinnen und Epidemiologen haben oft einen Tunnelblick. Das ist ihr Job. Deswegen sollten sie die Regierungsgeschäfte nicht führen, sondern nur beraten. Würden wir sie regieren lassen, wären die Schulen von Herbst bis mindestens April und vielleicht noch länger zu – ungeachtet aller sozialen und psychischen Folgen. Was eigentlich, wenn eine neue Mutation auftritt? Wenn das Virus uns noch zehn Jahre beherrscht? Ist die einzige Lösung, zu deren Umsetzung wir in der Lage sind, dann immer noch der aus dem Mittelalter bekannte Lockdown? Wir brauchen mehr als das.

Hausärztinnen und Hausärzte müssen ab sofort in die Impfungen eingebunden, sprich darauf VORBEREITET werden. Dazugehört, wie es die CSU verlangt, den Astrazeneca-Impfstoff von den Impfreihenfolgen auszunehmen – und zwar unmittelbar nach der Entwarnung durch die Europäische Arzneimittelbehörde Ema. Das ist die einzige Möglichkeit diese Ressource an Impfstoff noch zu retten. Nach dem Imageschaden kann niemand mehr dazu gedrängt werden, sich dieses Vakzin verabreichen zu lassen, dafür gibt es aber genügend Freiwillige – wie mich –, die es auf der Stelle nehmen würden – und angesichts der vielen verschmähten Impfdosen, ist zumindest für die nächsten Tage genügend Astrazeneca vorhanden.

Mehr Pragmatismus, weniger Bürokratie

Wir brauchen einfach mehr Pragmatismus und weniger Bürokratie. Übrigens: die Einbindung von Hausärztinnen und Hausärzten allein wird nicht ausreichen. Wenn wir in ein bis zwei Monaten mit Impfstoffen geflutet werden, brauchen wir Menschen, die sie verimpfen. Diese Menschen müssen JETZT vorbereitet werden, nicht erst wenn sich die Impfstoffe in Lagerhallen türmen. In den USA sollen Medizinstudierende und Zahn- und Tierärztinnen und -ärzte mitimpfen. In Israel kann man sich bei Ikea im Vorbeigehen impfen lassen.

Wir sollten grundsätzlich mehr auf andere Länder achten, um für die Zukunft zu lernen. Es gibt kein Land, das alles richtig macht. Aber Großbritannien hat von Anfang an intensiv auf Analyse der Coronavirus-Mutationen gesetzt. Das war richtig. Deutschland musste mühsam nachziehen. Das war falsch. China ist autokratisch und sicherlich kein Vorbild an sich, aber es lehrt frühes und beherztes Eingreifen, Korea lehrt massives Testen, Taiwan lehrt, wie man WarnApps richtig einsetzt, auf Kosten des Datenschutzes zwar, aber effektiv; und wo lassen sich in einer folgenschweren Pandemie eher Abstriche ertragen?

Der Blick der Lernenden muss nicht zwangsläufig über die Grenzen gehen. Best Practice-Beispiele gibt es auch hierzulande: Rostock, Tübingen, Augustusburg, Minden-Lübbecke zeigen, wie Gemeinden vorausschauend agieren, Risikogruppen schützen, Teststrategien entwerfen und ganz pragmatisch die Luca-App einsetzen.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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