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Integration in Deutschland – Lamya Kaddor: Nicht so schlimm wie alle denken


Meinung
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Integrations-Erfolge
Deutschsein heißt nicht nur: blond, blauäugig, heterosexuell

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

24.10.2019Lesedauer: 3 Min.
Teilnehmer des Christopher Street Days 2019 in Berlin: Deutschland ist bei der Integration weiter als viele denken, meint t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Teilnehmer des Christopher Street Days 2019 in Berlin: Deutschland ist bei der Integration weiter als viele denken, meint t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Carsten Koall/getty-images-bilder)
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Über wenig Themen wird in Deutschland so viel und hitzig diskutiert wie über Integration. Doch ein Blick in den Alltag vieler zeigt: So schlecht läuft es eigentlich gar nicht.

Integration ist, wenn Grundschüler heute mit "Ali und Lisa" zählen und rechnen lernen und es im Deutschlehrbuch an Gymnasien heißt: "Sinan schreibt seinem Freund Joschua einen Brief. Formuliert diesen Brief!"

Integration ist, wenn lesbische und schwule Beziehungen in einer amerikanischen Fernsehserie wie "Arrow" ganz selbstverständlich und ohne tiefere Bedeutung für die Dramaturgie erzählt werden.

Integration ist, wenn ein bayerischer Restaurantinhaber zornig wird und ein Hausverbot gegen eine Frau verhängt, die sich auf unverschämte Art über eine Familie mit einem behinderten Kind am Nachbartisch echauffiert hatte und dafür auf Facebook fast 30.000 "Likes" erhält und mehr als 11.000 Mal geteilt wird.

Integration ist, wenn die "Dorfküche" im Ruhrgebiet traditionell deutsche Gerichte nicht nur mit Fleisch zubereitet, sondern auch mit Alternativen für Vegetarier.

Integration ist, wenn eine muslimische Frau in einem Bilderbuch ein Kopftuch trägt, das für die Geschichte überhaupt keine Rolle spielt.

Integration ist, wenn ein ehemaliger Journalist und Politiker in Abwandlung eines berühmten Zitats von Max Frisch schreibt: "Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel", und das zwei Jahre später eine Welle der Empörung mit Zehntausenden Reaktionen auslöst, nachdem eine Satire-Initiative gegen Rechtsradikalismus diese zusammen mit ähnlichen Aussagen erneut in die sozialen Medien gespielt hatte.

So schlecht läuft es gar nicht

Das sind ein paar wahllose Beobachtungen, die ich im Laufe der vergangenen Woche gemacht habe. Sie stehen exemplarisch dafür, wie "normal" Diversität eigentlich schon geworden ist. Deutschsein bedeutet für viele eben nicht nur: blond, blauäugig, schlank, gesunder Körper, heterosexuell, Fleisch essen und christlich-sozialisiert zu sein, sondern viel, viel mehr.

In der Politik mag man sich darüber streiten, wie (und in einigen Teilen der Politik auch darüber ob) Integration gelingen kann. In der Alltagsrealität wird sie derweil an vielen Stellen einfach gelebt. Für eine realistische Perspektive auf unsere Gesellschaft ist es von Zeit zu Zeit wichtig, neben den Problemen von Integration, über die wir so oft sprechen, auch solche Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen. So schlecht, wie man manchmal meinen könnte, läuft es in Deutschland nämlich gar nicht.

Die Jungen leben Integration vor

Allerdings lässt sich zugleich feststellen: Die eingangs skizzierten Beispiele stammen allesamt aus der Welt jüngerer Menschen. Moderne und freie Gesellschaften sind divers und die Jugend erkennt und (er)lebt es offenbar als Erstes. Veränderungen lassen sich in jüngeren Jahren leichter ertragen, was uns im Übrigen das Brexit-Drama in Großbritannien tagtäglich vor Augen führt: "Die Alten wählten den Brexit", wie die "FAZ" 2016 sogar titelte.

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Doch an der Stelle ist Vorsicht vor voreiligen Schlüssen geboten. Jungsein bedeutet nicht automatisch Offenheit und Toleranz: Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die AfD die geringsten Zustimmungswerte laut Infratest dimap bei den 18- bis 24-Jährigen und bei den Wählerinnen und Wählern, die 70 Jahre und älter sind. Der jüngst vorgestellten 18. Shell Jugendstudie zufolge sind gut ein Drittel der Jugendlichen eher populistisch orientiert und etwa ein Fünftel der Mädchen und Jungen stehen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Minderheiten eher ablehnend gegenüber. Die Zahlen zeigen also, dass wir es lediglich mit einer gewissen Tendenz zu tun haben.

Zusammenspiel von Jung und Alt

Daraus folgt wie immer, wenn es um Gesellschaft geht: die Sachlage ist kompliziert und komplex. Man kann das vorhandene Potenzial und die Zuwendung der Jugend zur Moderne nutzen. Dazu gehört, junge Menschen ernst zu nehmen und ihnen gegenüber nicht nur belächelnd, belehrend, schulmeisterlich und gouvernantenhaft aufzutreten, wie es häufig mit Fridays-For-Future-Aktivisten gemacht wird – erst Dienstagabend noch in der Sendung "Markus Lanz" mit Luisa Neubauer (abgesehen von berechtigten kritischen Nachfragen). Es gibt nun einmal keinen realistischen Weg zurück. Der Fortschritt schreitet unaufhaltsam fort. Und exakt daran erinnern uns meistens junge Menschen.

Allerdings kann das Zusammenspiel von Jung und Alt nur funktionieren, wenn man Skepsis und Sorgen vor Veränderungen umgekehrt ebenfalls ernst nimmt. Das führt zu einem klaren Handlungsauftrag an Politik und Gesellschaft: nehmt ältere Menschen mit, zeigt und beweist ihnen auf kreative Weise, dass Unterschiedlichkeit, Ambiguität oder Vagheit nicht automatisch eine Bedrohung darstellen.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

Verwendete Quellen
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