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Was hat der Islam mit dem Berliner Gedichtsstreit zu tun?


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Was hat der Islam mit dem Berliner Gedichtsstreit zu tun?

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

09.02.2018Lesedauer: 4 Min.
Auf Fassade der Berliner Hochschule prangt das umstrittenes Gomringer-Gedicht - und soll jetzt überpinselt werden.Vergrößern des Bildes
Auf Fassade der Berliner Hochschule prangt das umstrittenes Gomringer-Gedicht - und soll jetzt überpinselt werden. (Quelle: David von Becker/dpa)
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Eugen Gomringers Gedicht an der Fassade einer Berliner Hochschule wird überpinselt. Ein Museum in Manchester hängt ein Bild ab. Beide Werke seien sexistisch, heißt es. Mit dem Islam hat das nichts zu tun. Stimmt nicht, meint unsere Kolumnistin Lamya Kaddor.

Sexismus schreien die einen, Zensur rufen die anderen. "Avenidas y flores y mujeres y / un admirador“ - "Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer“. So heißen die beiden Verse eines Gedichts von Eugen Gomringer aus dem Jahr 1952, die auf einer Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin prangen und nun getilgt werden, weil sie Unmut erregt haben. Es heißt, Frauen würden hier zu einem reinen Objekt männlicher Bewunderung degradiert.

Die Manchester Art Gallery entfernte das Bild "Hylas und die Nymphen“. Ein präraffaelitisches Gemälde mit barbusigen Frauen in einem Teich, die den unschuldigen Jüngling in den Tod locken will, gemalt von John William Waterhouse im Jahr 1896. Sexismus lautet auch hier der Vorwurf. Worauf sich ein Londoner Galerist empört: "Ein Bild von der Wand zu nehmen. Das ist der neue Faschismus." Starker Tobak.

Argumente lassen an Islam denken

Frauen als dekorative, passive Beigabe oder als verführerische Femme fatale – so sollte das Weibliche heute nicht mehr gesehen werden, finden viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Diese Darstellungen seien überkommen, gehörten in eine andere Zeit, in längst vergangene Tage.

Bei dieser Argumentation muss ich unzweifelhaft an den Islam denken. Aber anders als jene Wirrköpfe und Eiferer, die, gefangen in ihren Filterblasen, unmittelbar bei Erreichen der Nachricht gleich ein Einknicken vor Muslimen vermuteten (ja, so tief danieder liegt der Diskurs mancherorts tatsächlich), gehen meine Gedanken eher in Richtung jener Kritiker, die an die islamische Geschichte ebenso wie an Gomringer und Waterhouse die Moralstandards heutiger Zeit anlegen.

Sie bewerten die Vergangenheit anhand von Maßstäben, die wir für uns im 21. Jahrhundert aufgestellt haben. Deshalb muss alles, was war, an den Pranger.

Das Gemälde aber ist rund 120 Jahre alt, das Gedicht 70. Den Islam gibt es seit mehr als 1.400 Jahren und er entstand nicht einmal in Europa, sondern weit weg in einer fremden Welt aus Hitze, Fels und Sand. Was damals in der Arabischen Wüste für recht und billig erachtet wurde, ist zeitlich und räumlich von uns weit weg. Betrachten wir es heute mit unseren Vorstellungen von richtig und falsch, können wir vieles davon nur verachten.

Früher war das gewöhnlich und banal

Dazu gehört zum Beispiel die kriegerische Attitüde des Propheten Mohammed, der zugleich Staatsmann war, zu einer Zeit als Töten und Kämpfen in gleichem Maße Alltag waren wie im Hier und Jetzt der Gang zum Rechtsanwalt. Was uns an Verhalten aus früherer Zeit erschreckt, war einst gewöhnlich und banal. Moralische und ethische Standards der breiten Bevölkerungsschichten standen damals einem Blutvergießen auf dem Schlachtfeld und zur Bestrafung nicht entgegen.

Auf Basis gegenwärtiger Sichtweisen können Vorwürfe ebenso wenig sinnhaft gegen die ersten Muslime erheben, wie wir einen John Waterhouse oder einen Eugen Gomringer als sexistisch betrachten können. Handeln ist auch ein Produkt seiner Zeit, mithin ist die Zeit zu berücksichtigen.

Von den Gedanken, die wir uns heute machen, hatten unsere Ahnen und Urahnen keine Ahnung. Wie hätten sie da zu ähnlichen Bewertungen kommen können, wie wir? Folglich können wir ihr Handeln lediglich als für uns nicht mehr zeitgemäßes Vorbild ablehnen.

Das heißt, es gibt zwei Möglichkeiten: Wir konservieren die Kunst als Ausdruck ihrer Zeit und stellen sie aus, um zu erfahren, wie Menschen früher die Welt gesehen haben. Da wir das mit dem Islam kaum machen können – denn er ist als Religion so lebendig wie eh und je, ihn zu konservieren, hieße, ihn dem Fundamentalismus preis zu geben – müssen wir mit dem historischen Vermächtnis interpretativ arbeiten: Generation für Generation muss den Islam ebenso wie jede andere Religion immer wieder in ihre eigenen Zeiten holen - es ist ein unaufhörlicher Prozess.

Das Gemälde hängt wieder

Religionen, dort wo sie das Verhältnis der Menschen untereinander betreffen, sind zeitgemäß zu verstehen, mit jedem Jahrhundert, mit jedem Jahrzehnt aufs Neue. Das bedeutet zwangsläufig: Wir benötigen Reformen. Ansonsten verkrusten Religionen und sterben ab oder führen zu Zwang und Unterdrückung.

Übrigens: Das Waterhouse-Gemälde hängt wieder. Das Abhängen sei an sich als Kunstaktion zu verstehen gewesen, um eine Diskussion über die gesellschaftliche Stellung von Frau im Rahmen der #Metoo-Debatte anzustoßen, hieß es im Nachhinein. Und Eugen Gomringers Gedicht soll nach dem Willen der Oberen seines bayerischen Wohnortes Rehau bald dort eine Fassade schmücken. Ob das jedoch der richtige Umgang ist? Oder doch nur ein trotziger Ausdruck des immerwährenden Kampfs zwischen Tradition und Moderne?

Wir können Historisches nicht anhand aktueller Moralstandards bewerten, aber wir können genauso wenig Historisches ohne Bewertung anhand aktueller Moralstandards einfach weiter gelten lassen.

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