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Kolumne von Lamya Kaddor: Atheisten nicht länger totschweigen!


Meinung
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Säkularismus in Deutschland
Atheisten nicht länger totschweigen!

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

19.01.2018Lesedauer: 4 Min.
Kampagne von Atheisten 2009 in Berlin: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott."Vergrößern des Bildes
Kampagne von Atheisten 2009 in Berlin: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott." (Quelle: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Menschen, die nicht an einen Gott glauben, werden oft ungerecht behandelt. Jetzt wurden sie in Berlin mit Katholiken und Protestanten offiziell gleichgestellt. Eine spektakuläre Nachricht. Doch sie wurde kaum wahrgenommen. Genau das ist das Problem und ein Kern vieler sozialer Konflikte.

Es war Zufall… obwohl… nach meiner Überzeugung gibt es ja keine Zufälle. Also hatte es wohl einen Sinn, dass ich Anfang der Woche auf die Nachricht aufmerksam wurde. Es war nur eine lokal begrenzte Meldung in den Medien, doch aus meiner Sicht hat sie eine zukunftsweisende gesellschaftspolitische Bedeutung.

Atheisten, die den Glauben an einen Gott nicht teilen, Agnostiker, die die Frage nach göttlicher Existenz für ungeklärt halten, Konfessionsfreie, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, kurz: säkulare Menschen sind nun offiziell gleichgestellt mit Katholiken und Protestanten; jedenfalls in Berlin. Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg (HVD) ist als Körperschaft des Öffentlichen Rechts (KdÖR) anerkannt worden und das wurde am Wochenende im Beisein von Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) feierlich begangen.

Religionsfreie sind größte Weltanschauungsgruppe

Man muss sich die religiöse Landkarte Deutschlands einmal vergegenwärtigen: säkulare Menschen bilden inzwischen mit mehr als 30 Prozent die größte Einzelgruppe; in Berlin sind es sogar fast zwei Drittel der Bevölkerung. In unseren öffentlichen Diskursen aber tauchen sie kaum auf. Sie finden mit ihren Weltanschauungen so gut wie nie statt. Atheisten werden beinah totgeschwiegen.

Katholische Christen stellen nur noch rund 29 Prozent der deutschen Bevölkerung. Evangelische Christen liegen ein bis zwei Prozentpunkte darunter. Tendenz: weiter sinkend. Trotzdem prägen sie nach wie vor staatliche Institutionen und öffentliche Debatten. Ganz absurd wird es bei Muslimen, die gerade mal 5 bis 6 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und deren politische und mediale Aufmerksamkeit alles andere geradezu erdrückt.

Frei nach Shakespeare: Es ist was faul im Staate Deutschland. Eigentlich müssten wir uns primär um christliche Themen kümmern und direkt danach um Weltanschauungsgemeinschaften. Tun wir aber nicht.

Frage des Säkularismus birgt soziale Konflikte

Warum diese breite Ignoranz gegenüber säkularen Menschen? Bei der Frage geht es nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um konkrete Folgen für unser Zusammenleben, denn die fehlende Einbindung einer so bedeutenden Gruppe heizt soziale Konflikte an. Ein Großteil unserer polarisierten Auseinandersetzungen verläuft nicht entlang den Konfliktlinien Christen vs. Juden oder Juden vs. Muslime oder Muslime vs. Christen. Viele Spannungen entstehen aus der Konfrontation von gläubigen und nichtgläubigen Menschen.

Wenn man sich die Kommentarspalten zu Texten über Glaubensvorstellungen anschaut oder wenn ich zum Beispiel die Hasszuschriften an mich als gläubige Muslimin analysiere, dann geht es eher selten um interkonfessionelle Streitigkeiten. Viel stärker kommt eine allgemeine Verachtung von Religion zum Ausdruck. Jesus wird lächerlich gemacht, Muhammed verunglimpft, Heilige Schriften werden entstellt. Man kann darauf wetten, in solchen Kommentarspalten wird mindestens eine Person über den Glauben an das Fliegende Spaghettimonster spotten.

Als Gottlose und Ungläubige verfolgt

Die Verbitterung so mancher religionsfreier Menschen hat historische Gründe: Religionsvertreter sind schon immer herrschsüchtig und mit aller Macht gegen jene vorgegangen, die nichts mit Religion zu tun haben wollten. Davon zeugen wenig charmante Begriffe wie Heiden, Gottlose, Ungläubige, Kuffar, Ketzer, und insbesondere das brutale Vorgehen gegen sie in Form von Feldzügen, Verfolgungen, Hexenverbrennungen, Inquisition, Ausgrenzung etc.

„Du schiltst die Heiden und bringst die Gottlosen um; ihren Namen vertilgst du immer und ewiglich“, heißt es in Psalm 9 Vers 5 und in Sure 2 Vers 16: „Diejenigen, die ungläubig sind und als Ungläubige sterben, auf ihnen liegt der Fluch Gottes, der Engel und der Menschen insgesamt.“

Hinzu kommt der christliche Missionsgedanke und in islamischen Gesellschaften die Tabuisierung von Religionslosigkeit oder sogar deren Kriminalisierung; in Ägypten wollen hochrangige Politiker derzeit Atheismus unter Strafe stellen.

Nichtreligiöse Menschen beklagen Benachteiligungen

In Deutschland wird die Verbitterung auch durch die unzureichende öffentliche Wahrnehmung geschürt. Seit Jahren beklagen nichtreligiöse Menschen Benachteiligungen. Um die Spannungen abzubauen, müssen wir uns mehr mit ihren Haltungen befassen. Vor diesem Hintergrund ist die Aufwertung des HVD zu begrüßen. Dass dieser Vorgang bundesweit kaum medialen Widerhall fand, ist bezeichnend. Wetten, wenn ein Islamverband in Berlin diesen Körperschaftsstatus erhalten sollte, wird es ein Medienspektakel geben?

Gewiss, es ist nicht der erste HVD-Landesverband, dem die Körperschaftsrechte gewährt wurden. In Baden-Württemberg, Bayern, NRW und Niedersachsen ist das längst geschehen. Aber es ist die erste Anerkennung einer Weltanschauungsgemeinschaft in Berlin, sonst haben dort nur Religionsgruppen diesen Status inne. Zudem war es ein langwieriger Prozess, der gut 20 Jahre dauerte inklusive Rechtsstreit. Gescheitert waren die Versuche unter anderem daran, dass dem HVD Berlin gesagt wurde, er sei zu klein und habe zu wenige Mitglieder.

Atheisten bislang kaum organisiert

Religions- und konfessionsfreie Menschen haben da übrigens ein ähnliches Problem wie liberale Muslime. Ihr Organisationsbedürfnis ist vergleichsweise gering. In der Regel tritt man einer Gemeinschaft bei, wenn man deren Überzeugung teilt und diese als zentralen Bestandteil des eigenen Lebens sieht, nicht wenn man von etwas wenig bis gar nicht überzeugt ist oder diese Überzeugung bloß eine Facette der eigenen Persönlichkeit ausmacht. Kurz gesagt: Man wählt sich einen Verein, wenn man etwas will, nicht, wenn man etwas nicht will.

Aber Vorsicht! Diese Mechanismen dürfen nicht dazu führen, dass wir nur gesellschaftliche Akteure wahrnehmen, die eine mächtige Verbandsstruktur aufweisen können. In unserer modernen Welt der zunehmenden Individualisierung und Emanzipierung erlangt ein Anliegen nicht mehr nur dann gesellschaftliche Bedeutung, wenn es dessen Vertretern gelingt, einen großen Zusammenschluss zu bilden.

Neue Modelle der Repräsentanz gesucht

Zudem ist die Gruppe der säkularen Menschen äußerst heterogen: einige sind gläubig, gehören aber keiner Gemeinde an, andere lehnen die Existenz göttlicher Wesen gänzlich ab. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sie eine einheitliche Struktur bilden können. Von daher brauchen wir neue Modelle der Repräsentanz gesellschaftlicher Akteure gegenüber dem Staat und in der Öffentlichkeit.

Bis wir diese gefunden haben, sollten wir einzelnen Akteuren und kleineren Gruppierungen wie dem HVD zuhören und uns mit ihren Positionen intensiver auseinandersetzen. Das wird nicht leicht. Angesichts der vielen gegenseitigen Feindseligkeiten in Vergangenheit und Gegenwart müssen beide Seiten lernen, sich auf Augenhöhe zu begegnen und ihren missionarischen Eifer ablegen. Auch wenn ich persönlich die Überzeugungen des HVD nicht teile, nur wer miteinander redet und seine Ansichten austauscht, kann auf lange Sicht respektvoll miteinander zusammenleben.

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