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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Warnung vor dem Wahltag "Das ist zutiefst besorgniserregend"
Die Magazin-Titel des US-Künstlers Edel Rodriguez über Donald Trump sind weltberühmt und umstritten. Vor der entscheidenden Präsidentschaftswahl spricht er über seine Motive und sagt, was Trump gefährlicher als je zuvor macht.
Bastian Brauns und David Schafbuch berichten aus Washington
Wenn Edel Rodriguez die Titelseiten namhafter Magazine wie "New Yorker", "Time", "Stern" oder "Spiegel" gestaltet, gehen sie meistens um die Welt. Vor allem dann, wenn Donald Trump auf ihnen erscheint. Der kubanisch-amerikanische Künstler gilt als intensiver Beobachter der politischen Verhältnisse in den USA und als harter Kritiker des ehemaligen Präsidenten. Was ihn zu einem umstrittenen Künstler macht, bringt ihm seit Jahren auch Gewaltandrohungen gegen sich und seine Familie ein.
In wenigen Tagen könnte feststehen, ob Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren wird. Aber was dann? Im Interview mit t-online spricht Edel Rodriguez exklusiv über die Herausforderungen seiner Arbeit und darüber, wie er die Lage in den Vereinigten Staaten von Amerika kurz vor der Wahl sieht.
t-online: Mister Rodriguez, wie wird Ihr nächstes Magazin-Titelbild mit Trump aussehen? Wie, wenn er die Wahl am Dienstag gewinnt, und wie, wenn er verliert?
Edel Rodriguez: Das werde ich Ihnen nicht verraten.
Schade.
Im Ernst. Viele Magazine fragen an und wollen Vorschläge haben. Ich habe aber noch keine konkrete Idee. Diese Wahl ist unberechenbar. Es wird dauern, bis zu einem endgültigen Ergebnis. Wenn Kamala Harris gewinnt, wird Trump so viel Chaos wie möglich anrichten. Wenn er gewinnt, werden die Demokraten wohl auf Neuauszählungen drängen, um seinen Sieg zu überprüfen. Wahlen mit Gewissheit am Wahlabend scheinen der Vergangenheit anzugehören. Anwälte spielen eine immer größere Rolle.
Sehen wir also ein Heer von Anwälten auf Ihrem nächsten Cover?
Am besten ist es, die Situation zu beobachten und dann zu reagieren. Das ist der erfolgreichste Ansatz. Die Menschen reden darüber, was als Nächstes passieren könnte, und mein Titelbild wird Teil einer Diskussion, die dabei hilft, die Gedanken zu verarbeiten. Bilder im Voraus zu planen, ist nicht sehr effektiv.
Eines Ihrer berühmtesten Bilder von 2016 zeigte die von Trump enthauptete Freiheitsstatue auf der Titelseite des "Spiegel" und erregte weltweit Aufmerksamkeit. Als Biden gewann, ließen sie ihn diesen Kopf wieder auf den Sockel setzen.
Oh ja, davon hatte ich acht Versionen erstellt. Ich hatte immer die Idee, eine Titelseite mit der Freiheitsstatue zu machen, die dann Trumps abgetrennten Kopf in der Hand hält. Aber das war dem "Spiegel" zu extrem. Es wurde nie veröffentlicht.
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Ihnen wird immer wieder der Vorwurf gemacht, Sie würden mit Ihren Darstellungen das politische Klima zusätzlich anheizen. Reflektieren Sie das?
Sensible Menschen neigen dazu, ständig nachzudenken. Oft überlege ich, was angemessen ist, bevor ich es erschaffe und veröffentliche. Sobald ich mich entschließe, es umzusetzen, stehe ich aber zu meiner Entscheidung. Weil ich die Auswirkungen schon bedacht habe. Ich zeichne nicht einfach so etwas dahin. Als Künstler entwickelt man ein Gefühl dafür, was passieren könnte, und spürt die Gefahr. Interessant ist, dass Trumps Anhänger vier Jahre später wirklich den Kongress und damit die Demokratie angegriffen haben.
Finden Sie, die Medien gehen zu zahm mit Donald Trump um?
Meine größte Frustration ist, dass weite Teile der Medien noch immer zögern und versuchen, einer rechtsextremen Person entgegenzukommen. Sie untergraben damit ihre eigene Rolle, Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten entgegenzutreten. Statt Konfrontation gibt es fast nur Präsentation. Trump ist für die Medien von Vorteil. Seine Präsidentschaft bringt Aufmerksamkeit und Gewinne für Unternehmen wie die "New York Times" oder CNN. Ich vermute, einige Leute an der Spitze hoffen heimlich auf weitere vier Jahre Wahnsinn, weil das die Einschaltquoten und Abonnements steigert.
Aber sitzen Sie nicht im gleichen Boot? Sie zeichnen immerhin Trump-Cover.
Ich habe in diesem Wahlzyklus viel für die Demokratische Partei gearbeitet, um Kamala Harris zu unterstützen. Wenn ich etwas zu Trump veröffentliche, stelle ich sicher, dass meine Bilder kritisch sind. Viele Medien – nicht nur Print oder Online – sondern vor allem das Fernsehen wirken hingegen manchmal eher wie eine Show.
Haben Sie ein Beispiel?
Neulich hatte Kamala Harris bei CNN Fragen von Bürgern beantwortet. Sie war ruhig, einfühlsam und sprach freundlich mit den Menschen. Sobald es vorbei war, kritisierte CNN sie hart und sagte, sie habe versagt. Sie wird attackiert, keine perfekten Antworten zu geben. Dabei ist der Faschist [Trump, Anm. d. Red] gar nicht erst zu so einer Veranstaltung erschienen. Wenn man die beiden gleichwertig präsentiert, ist das nicht anders als das, was Trump nach dem rechtsextremen Anschlag von Charlottesville im Jahr 2017 sagte, als er meinte, es gebe "gute Leute auf beiden Seiten."
Die Republikaner kritisieren bis heute, dass Trump damals auch von schlechten Leuten gesprochen hat.
Er hätte das einfach nicht sagen dürfen. Wer waren denn diese guten Menschen? Die Leute, die die Fackeln trugen? Oder der Typ, der mit dem Auto in eine Menschenmenge fuhr?
Sie sehen darin eine gezielte Strategie.
Ich hatte einmal eine Ausstellung in Berlin. Da war jemand, der mit mir diskutieren wollte. Ich sagte, Trump sei rassistisch. Er meinte, das könne nicht sein, weil der einen schwarzen Fahrer und einen schwarzen Sicherheitsmann habe. Was für ein Unsinn. Warum sollte ein Rassist keinen schwarzen Sicherheitsmann haben? Aber so sind viele Menschen: Sie weigern sich, die Realität zu akzeptieren, und lenken ab.
Was erklären Sie sich das?
Ich war mein Leben lang von rassistischen Menschen umgeben. Auch in meiner kubanischen Familie. Deren erster Impuls ist es, immer abzuwiegeln. Ich weise sie darauf hin, dass sie sich rassistisch äußern. Aber auch diese nahen Verwandten bleiben dabei und klammern sich an ihre Überzeugungen. Sie haben einen dunklen Teil ihrer Persönlichkeit, der ihnen anerzogen wurde. Ich denke, Trump hat das auf eine sehr üble Weise von seinem Vater gelernt. Der hat ihm beigebracht, so über Menschen zu sprechen. Für ihn sind Schwarze und Leute aus anderen Ländern minderwertig. Das kommt bei ihm ganz natürlich zum Ausdruck.
Zur Person
Edel Rodriguez (52) ist ein kubanisch-amerikanischer Künstler und Illustrator, bekannt für seine provokanten Cover und Illustrationen, die oft politische Themen ansprechen. Er ist insbesondere für seine Arbeiten für den "New Yorker", das "Time"-Magazin, aber auch für den "Spiegel", den "Stern" und andere renommierte Publikationen bekannt.
Und die Medien erkennen das nicht genug?
Es gibt keine Neutralität gegenüber dem Faschismus. Ich bin längst nicht mehr die einzige Person, die Trump einen Faschisten nennt. Jetzt sind es schon mehr als 20 Menschen, die mit ihm gearbeitet haben. Die sagen, dass er Hitler mochte. Ich habe ihn schon vor acht Jahren einen Faschisten genannt.
Trumps großes Thema ist die illegale Migration. Damit hat er bei seinen Anhängern viel Erfolg. Republikaner und Demokraten sagen, das Einwanderungssystem der USA muss reformiert werden. Was denken Sie als Einwanderer aus Kuba darüber?
Wir benötigen eine Migrationspolitik, die Menschen aufnimmt, die Asyl suchen. Aber man muss sie interviewen und verstehen, wer sie sind. Man muss feststellen, wovor sie fliehen, und die internationalen Menschenrechte einhalten. Wenn jemand nicht berechtigt ist, sollte er zurückgeschickt werden. Wenn jemand hier ist und gegen das Gesetz verstößt, sollte er ebenfalls gemäß unseren bestehenden Migrationsgesetzen abgeschoben werden. Ich bin nicht dafür, Menschen einfach so reinzulassen.
Reichen dafür die bestehenden Gesetze?
Ich bin kein Fachanwalt für Migration. Einwanderung ist für dieses Land gut. Aber sie sollte besser organisiert sein. Als ich kam, war das während des Kalten Krieges, als viele Menschen vor dem Kommunismus flüchteten. Wir hatten damals einen legitimen Flüchtlingsstatus, ähnlich wie jemand, der aus Ostdeutschland nach Westdeutschland geflohen war.
Das war eine andere Zeit.
Ja, damals war das ein PR-Sieg für die USA und den Westen. 200.000 Kubaner flohen vor dem Kommunismus. Die USA konnten der Welt zeigen: "Schaut, diese Menschen fliehen vor dem Kommunismus." Das war ähnlich wie bei den Ostdeutschen, die über Stacheldraht nach Westdeutschland oder nach West-Berlin rannten.
Warum wird das heute nicht mehr so gesehen?
Es gibt keinen geopolitischen Vorteil mehr. Darum glaube ich, dass sich die Einstellung Amerikas gegenüber Einwanderern geändert hat. Dabei bieten Einwanderer so viele Chancen, gerade in den vielen amerikanischen Städten, die im Grunde absterben.
Trump erzählt den Amerikanern, solche Menschen würden das Blut der Amerikaner vergiften.
Er ist ein übler Rassist. Diese Einwanderer sind geradezu begeistert, Amerikaner zu werden und ein neues Leben zu beginnen. Das kann man spüren. Plötzlich gibt es ein neues Taco-Restaurant. In das alte Diner wollte niemand mehr gehen. Plötzlich gibt es Musikfestivals. Einwanderer beleben dieses Land. Menschen, die lange hier sind, werden oft faul, weil sie alles haben. Sie erwarten zu erben, was ihre Eltern hatten – das Haus ihrer Eltern oder das Geschäft der Familie. Sie haben nicht die gleiche Energie und den gleichen Geist, den viele Einwanderer mitbringen.
In der Stadt Springfeld, im Bundesstaat Ohio, verbreiteten Donald Trump und sein Vizekandidat J. D. Vance Lügen über Haitianer, die Haustiere von Amerikanern fressen würden.
Würde ich ein haitianisches Restaurant besitzen, hätte ich Angst. Viele Menschen in diesem Land, vielleicht die Hälfte, besitzen eine Waffe. Es kann jederzeit etwas Schlimmes passieren, vor allem wenn Politiker einen attackieren. Dabei sollten sie die Bürger beschützen. Trump und Vance erklären Leute unverhohlen zu Feinden. Das ist nicht das, wofür Amerika steht. Und ich tue alles, um dagegen Stellung zu beziehen. Es ist faschistisch, Menschen wegen ihres Aussehens anzugreifen, ohne sie verstehen zu wollen. Ich habe haitianische Freunde. Einige der besten Menschen, die ich überhaupt kenne. Wir sind seit 30 Jahren befreundet. Sie haben jetzt Angst, sich als Haitianer zu erkennen zu geben.
Trumps Sprache ist gewaltvoller als je zuvor. Er spricht von "Feinden im Inneren", gegen die er das Militär einsetzen würde. Was befürchten Sie?
Wir müssen nicht mehr spekulieren. Wir haben gesehen, was am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol passiert ist. Wir wissen, wozu er fähig ist. Er hatte nur nicht genug Menschen, die bereit waren, ihm zu folgen. Die wirkliche Gefahr besteht darin – das haben wir in Deutschland und anderswo gesehen –, dass genug Leute bereit sind, alles für ihn zu riskieren. Trump hat Individuen um sich geschart, die so extrem sind wie er, hungrig nach Macht und bereit zu handeln.
In Trumps letzter Amtszeit sind ihm die eigenen Generäle in den Arm gefallen. Denken Sie, man muss sich im Zweifel darauf verlassen?
Es gab Menschen im Generalstab, die sich ihm entgegenstellten. Aber was, wenn wir Generäle haben, die so radikal sind wie Trump? Wo sind wir denn gelandet? Wir müssen unser Vertrauen in Generäle setzen, um zu verhindern, dass etwas Schreckliches passiert. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem wir auf militärische Führer angewiesen sind, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Solche Szenarien ähneln Lateinamerika, wo Generäle de facto das Land regieren. Das ist zutiefst besorgniserregend. Wozu geht Amerika solche Risiken ein? Für billigere Lebensmittel?
Halten Sie Trump für gefährlicher als je zuvor?
Für viele ist das unvorstellbar. Die Menschen verstehen nicht, dass Trump offen Faschisten bewundert. Jetzt hat ihm der Oberste Gerichtshof sogar Immunität zugesprochen, die ihn gegen rechtliche Konsequenzen schützt. Trump ist ein Faschist mit Immunität, auf den geschossen wurde. Er ist also auch noch wütend. Er wird jetzt viel härter gegen seine Feinde vorgehen. Um dem Gefängnis zu entkommen, wird er alles tun, was er kann.
Sie haben Fidel Castro auf Kuba erlebt. Halten Sie es für vorstellbar, dass Trump auch eine Art Revolution anzettelt?
Trump benötigt wohl keine Revolution. Er nutzt das System. In Deutschland ist auch nicht über Nacht die Diktatur ausgebrochen. Es war ein langer, schleichender Prozess. Am Supreme Court sitzt jetzt schon eine Mehrheit von rechtsextremen Richtern, die nicht Recht sprechen, sondern fast alles tun, was Trump sagt. Hätten seine Leute am 6. Januar Maschinengewehre gehabt, hätte die Situation ganz anders ausgesehen. Wir können jetzt froh sein, dass aktuell die Biden-Regierung die Verantwortung für die Sicherheit hat.
Von vielen Amerikanern wird Trump nach wie vor als Garant für den eigenen Wohlstand angesehen.
Es ist absurd. Die meisten Menschen in diesem Land sind relativ wohlhabend. Sie haben Häuser, Boote, Autos – all die Annehmlichkeiten. Sie schätzen nicht, was sie haben, und riskieren alles für noch billigere Angebote. Man kann aber nicht immer alles bekommen, was man will, und die Republikaner haben das nicht gelernt. Sie haben Reichtum, Macht im Kongress, Einfluss durch Senatoren – aber sie wollen das ganze Land beherrschen. Das gefährdet die Stabilität dieser Nation, auf die sich die Welt einst verlassen konnte. Wenn wir das verlieren, werden unser Geld und Einfluss schwinden. Es ist beunruhigend, dass wir mit dem Risiko spielen.
Wer gewinnt am Dienstag: Kamala Harris oder Donald Trump?
Kamala wird gewinnen. Ich bin entspannter als meine Frau.
Was macht Sie so sicher?
Ich sehe weniger Trump-Aktivitäten auf der Straße als früher – weniger Schilder und Banner. Es scheint, als gebe es innerhalb der Republikanischen Partei ein gewisses Maß an Scham. Einige scheinen wirklich angewidert von ihm zu sein. Ich denke, Harris könnte fünf bis sieben Prozent von ihnen anziehen – besonders unter republikanischen Frauen. Für viele Männer bleibt eine Frau eine Hürde. Es gibt tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit. Ich hoffe, das überwinden wir jetzt.
- Interview mit Edel Rodriguez