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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ein Jahr im Amt "Nun ist Biden am Ende seines Optimismus angelangt"
Die Erneuerung der USA – das wollte Joe Biden. Doch nach einem Jahr im Amt mehren sich die Fehlschläge. Besteht Hoffnung für die Weltmacht? Der Historiker Christof Mauch ist skeptisch.
t-online: Professor Mauch, nahezu frenetisch wurde Joe Biden bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr von vielen Menschen gefeiert, nun mehren sich die Fehlschläge. Was ist schiefgegangen?
Christof Mauch: Joe Biden hatte einen grandiosen Auftakt vor einem Jahr. Erinnern wir uns an die Auftritte von Lady Gaga und Jennifer Lopez bei der Inauguration. Das war eine große Show. Kurz darauf stellte Biden das diverseste Kabinett der US-Geschichte vor. Aber die Karten waren für Biden schlecht verteilt. Die Startbedingungen waren schlechter als bei Trump 2017.
Trump hat Biden im Januar 2021 in gewisser Weise einen Scherbenhaufen übergeben.
Richtig. Das Coronavirus verbreitete sich rasant, die Wirtschaft lahmte. Dann kam der Sturm von Trumps Anhängern auf das Kapitol. Eigentlich hat Biden viel erreicht, wenn man bedenkt, mit welchen Problemen er konfrontiert gewesen ist.
Was war sein größter Erfolg im ersten Amtsjahr?
Er hat zwei große Gesetze verabschiedet: ein Covid-Rettungspaket, von dem viele Familien profitiert haben. Und ein Gesetz zur Erneuerung der Infrastruktur der USA – mit den Stimmen von Republikanern! Von solchen billionenschweren Fördermaßnahmen konnten Bidens Vorgänger nur träumen. Auch das Impfprogramm hat er recht erfolgreich auf den Weg gebracht. Die Löhne sind gestiegen, es gibt mehr offene Stellen als je zu vor, über fünf Millionen neue Jobs, eine rekordverdächtige Verbrauchernachfrage. Dazu hat der Präsident das ramponierte Image der USA in der Welt reparieren können. Etwa durch die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen.
Das klingt doch hervorragend. Warum die schlechten Umfragewerte für Biden?
Desaströs wäre die passende Bezeichnung. Nur ein Präsident hatte nach einem Jahr Amtszeit noch schlechtere Umfragewerte …
… Donald Trump.
Genau. Es gab große Erwartungen an Biden. Und deshalb war auch die Enttäuschung groß.
Christof Mauch, geboren 1960, leitet das Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort ist er auch Professor für Amerikanische Kulturgeschichte und Transatlantikstudien. Mauch hat 15 Jahre in den USA gelebt, unter anderem als Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur US-Geschichte wie auch Herausgeber des Sammelwerks "Die Präsidenten der USA. Historische Porträts von George Washington bis Joe Biden". Im Februar erscheint mit "Paradise Blues. Reisen in die Natur und die Geschichte der USA" sein neuestes Buch.
Was trübt denn die Erfolge?
Die jüngere Generation ist enttäuscht, weil Joe Biden das Thema Studiengebühren, das im Wahlkampf ganz wichtig war, ignoriert hat. Vielen Europäern ist nicht bewusst: Bildung ist in den USA eine sehr teure Angelegenheit. Viele Amerikaner starten nach ihrem Studium mit hohen Schulden ins Berufsleben, die sie noch viele Jahre lang abzahlen müssen. Dass Biden das zuvor groß angekündigte Thema Schulden aus Studiengebühren unter den Teppich gekehrt hat, sorgte bei Millionen von Jüngeren für große Enttäuschung.
Was aber nicht der alleinige Grund sein kann.
Nein, dazu kam der missglückte Abzug aus Afghanistan, die Probleme bei den Lieferketten, die steigende Inflation. Außerdem hat Biden zu früh den Sieg über Covid erklärt. All das sind Faktoren, die Bidens Ansehen in der Bevölkerung immer weiter mindern. Aber eine steigende Inflation etwa ist in einer sich erholenden Wirtschaft nicht überraschend. Hier hätte er gegensteuern können. Nur ist ein Präsident wie ein Schiffskapitän, er hat das Schiff nicht gebaut, er kann ein bisschen steuern, aber er braucht eine Besatzung, die in die gleiche Richtung will.
Er hat die Republikaner ganz gegen sich, aber nicht alle Demokraten an Bord. Warum?
Unter dem Dach der Demokratischen Partei sind sehr unterschiedliche Wählergruppen versammelt: sozial Benachteiligte, Angehörige ethnischer Minderheiten, die intellektuelle Elite, und auch die Welt von Hollywood. Die Partei muss ein riesiges Spektrum an Wählern abbilden. Die Menschen, die in den USA die Demokraten wählen, würden in Deutschland von der Linkspartei über Grüne und FDP bis hin zu Sozialdemokraten und CDU ihr Kreuzchen auf dem Stimmzettel machen. Ein enormer Spagat. Dieses Problem haben die Republikaner nicht.
Sie sind Historiker, welcher frühere US-Präsident wäre denn mit Biden vergleichbar?
Anfangs wurde Biden öfter mit Franklin D. Roosevelt verglichen.
Der Präsident, der die Vereinigten Staaten durch die Große Depression und den Zweiten Weltkrieg führte.
Genau. Oder mit Lyndon B. Johnson, dem großen Sozialreformer. Aber da Bidens Sozial- und Umweltprogramm bislang nicht umgesetzt werden konnte, erinnert er eher an Jimmy Carter. Carter war ein moralischer, aber schwacher Präsident, der auf den skrupellosen Richard Nixon folgte. Nixon musste seinerzeit wegen der Watergate-Affäre den Hut nehmen. Wobei ich gerade als Historiker an dieser Stelle einwenden muss: Eine Bilanz der Amtszeit Joe Bidens ist problematisch. Unter den Präsidenten, die nach dem ersten Jahr sehr schlecht dastanden, sind auch Bill Clinton und Ronald Reagan. Und die wurden wiedergewählt, mit großen Mehrheiten.
Die Spaltung der USA ist nicht erst seit Donald Trump offensichtlich. Hat Biden überhaupt noch eine Chance auf eine erfolgreiche Präsidentschaft?
Joe Biden ist ein Präsident, der Optimismus und Realismus vereint. Er hat durchaus versucht, republikanischen Senatoren Angebote zu machen. Nun ist Biden aber am Ende seines Optimismus angelangt. Nicht einmal seine eigene hauchdünne Mehrheit im Senat steht noch stabil. Geschweige denn, dass die Möglichkeit besteht, zumindest mit gemäßigteren Republikanern zu kooperieren.
Wie konnte die Republikanische Partei, die sich selbst "Grand Old Party" nennt, überhaupt derart Trump-hörig werden?
Seit der Präsidentschaft von Barack Obama haben sich die Republikaner nicht aus der Mitte heraus erneuert. Radikalere Stimmen waren oft maßgebend. Die Tea-Party-Bewegung war dabei nur der Anfang. Die USA sind im letzten halben Jahrhundert immer bunter geworden. Aber die Republikaner konnten die erstarkenden Minderheiten – Schwarze und Hispanics – nicht mehr erreichen. Sie haben sich gegen den demografischen Trend gestellt und Trump hat daraus Profit geschlagen. Er konnte die Ängste der weißen Bevölkerung vor dem Wandel für sich nutzen.
In zahlreichen US-Bundesstaaten erschweren Republikaner Angehörigen von Minderheiten das Wählen. Ist die "Grand Old Party" überhaupt noch demokratisch?
Die Republikaner halten sich tatsächlich immer weniger an die Spielregeln der Demokratie. Manche Regeln scheinen für sie nur dann zu gelten, wenn sie dadurch an Macht hinzugewinnen. Im heutigen Zustand ist die US-Demokratie kein Vorbild mehr. Die Präsidialdemokratie und das Zwei-Parteien-System stoßen in der Krise an ihre Grenzen.
Es sieht so aus, als befänden sich die USA an einem Scheideweg. Dabei sind die nächsten Präsidentschaftswahlen, bei denen Trump antreten könnte, noch weit entfernt. Gibt es Hoffnung?
Ich sehe momentan keinen Silberstreifen. Nicht angesichts der aktuellen Krise, der strukturellen Probleme der USA, der kulturellen Spaltung und der Politisierung, die auch am Obersten Gerichtshof zunimmt.
Würden Sie denn einem Politiker zutrauen, sei es von den Demokraten oder den Republikanern, die sprichwörtlichen Gräben überwinden zu können?
Wer sollte das sein? Bei den Republikanern traut sich niemand, Trump zu widersprechen. Im schlimmsten Fall könnte es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den USA kommen. Was wir in Deutschland verstehen müssen, ist eine wichtige und traurige Erkenntnis: Die Parteien in den USA sind zu einer Art Glaubensgemeinschaft geworden. Es gibt so etwas wie Stammeszugehörigkeit. Sie ist an die Stelle eines offenen und konstruktiven Meinungsaustausches getreten. Meinungen könnte man wechseln, aber das Gefühl der unbedingten Zugehörigkeit zu einer Gruppe geht viel tiefer.
Ist Politik nur noch eine große Show? Trump führte sich während seiner Amtszeit wie ein Schauspieler auf. Wie in einem Hollywoodfilm inszenierte er auch die Rückkehr ins Weiße Haus nach seinem Corona-Krankenhausaufenthalt: Mit einem aufsteigenden Hubschrauber im Hintergrund stand er salutierend auf dem Balkon.
Man darf nicht vergessen, dass Trump jahrelang im Fernsehen aufgetreten ist. Solche Auftritte beherrscht er wie einst Ronald Reagan, der in Hollywood gelernt hatte. Im Vergleich zu Trump war Reagan aber der lächelnde Präsident. Außerdem war er geradezu liberal: Reagan trat seinerzeit sogar für eine Amnestie von illegalen Einwanderern ein. Er legte durchaus Toleranz und Offenheit an den Tag. Gerade Offenheit ist heute aber ein Wert, der bei den Republikanern in extremer Weise negativ besetzt ist. Hoffnung und Wandel, beides Begriffe, mit denen Barack Obama Wahlkampf machte, kommen bei demokratischen Wählern positiv an. Bei Republikanern lösen Begriffe wie "offene Gesellschaft" und "offene Grenzen" eher Ängste aus.
Was genau erhoffen sich die Wähler denn von Trump?
Trump verspricht einen Sieg im Kulturkampf. In einer Situation, in der die kulturellen Minderheiten stärker werden und die Weißen einbüßen, fühlen sich viele von Trumps Anhängern verletzlich und bedroht. Trump verspricht das zu richten. In Wirklichkeit befinden sich die Republikaner keineswegs in der Position eines Underdogs. Beide Parteien werden von etwa der Hälfte der Bevölkerung unterstützt. Aber genau das führt zu dem Grabenkrieg, der die politische Landschaft bestimmt.
Wobei diese Zweiteilung des Landes auch aus seinem Zweiparteiensystem herrührt.
Ja, aber es hat sich etwas verändert. Es geht nicht mehr darum, einen Kandidaten zu wählen, weil man dessen Meinung schätzt. Es geht darum, jemanden zu wählen, um einen anderen zu verhindern. Joe Biden wurde nicht gewählt, weil man ihn für herausragend hielt, sondern um Donald Trump zu verhindern. Trump wurde wiederum gewählt, um Hillary Clinton zu verhindern. Die Fundamentalopposition ist zum Prinzip geworden.
Haben Sie eine Idee, wer 2024 für die Demokraten anstelle von Joe Biden antreten könnte? Kamala Harris?
Sie kommt wohl aus mehreren Gründen nicht infrage. Ihre Umfragewerte sind noch schlechter als die von Joe Biden. Mit den ihr übertragenen politischen Aufgaben in Form von Migration und Wahlrechtsreform lässt sich im Grunde auch kein Ruhm ernten. Die Ressentiments gegen Frauen und Afroamerikaner sind zudem nach wie vor ein großes Problem in den USA. Damit die Demokraten gewinnen können, müsste es wahrscheinlich ein weißer Mann sein, am besten mit militärischem Hintergrund. Das wichtigste aber: Er muss Schlagzeilen produzieren können. Trump hatte dafür einen Riecher.
Diese Person scheint es derzeit aber nicht zu geben.
Ich fürchte, dass die demokratischen Strukturen der Vereinigten Staaten zuerst an die sprichwörtliche Wand gefahren werden.
Das ist eine sehr düstere Annahme.
Ja. Aber es gibt eben in der Gesellschaft keine Geduld mehr für Argumente. Mithilfe der sozialen Medien lassen sich Menschen mit kurzen Sätzen, mit bewussten Doppeldeutigkeiten und Euphemismen leicht aufwiegeln. Nehmen Sie als Beispiel den Satz "Let's go Brandon", mit dem Joe Biden immer wieder beschimpft wird. Tatsächlich ist er als unflätige Beleidigung des US-Präsidenten gemeint. Donald Trump und seine Anhänger setzen diese Mittel gezielt ein, um damit eine weiße Minderheit von Nichtwählern zu aktivieren, die Ressentiments gegen Minderheiten wie die Afroamerikaner oder auch gegen die Wissenschaft hegen.
Denken Sie nicht, dass die Demokraten es 2024 mit wem auch immer als Kandidaten schaffen können, noch einmal eine Dynamik gegen Donald Trump in Gang zu setzen?
Momentan sehe ich das nicht. Es ist natürlich möglich, dass Donald Trump rechtlich für die Vorgänge rund um den Sturm auf das Kapitol belangt wird. Sollte er aber 2024 antreten, werden er und seine Anhänger eine Niederlage nicht ohne Weiteres akzeptieren. Die Bewegung hat außerdem eine eigene Dynamik entwickelt.
Bitte erklären Sie das näher.
Selbst Trump wird von seinen Anhängern ausgebuht, wenn er für das Impfen gegen Corona wirbt. Er hat die Büchse der Pandora geöffnet. Die Geister, die er gerufen hat, kann er nicht mehr einfangen.
Sowohl Demokraten als auch Republikaner sehen in Chinas Aufstieg eine Bedrohung. Könnte die angebliche Gefahr von außen die USA im Inneren vereinen?
Wie sieht es mit Europa aus? Welche Bedeutung hat Deutschland noch für die USA?
Die transatlantischen Beziehungen sind weit weniger wichtig als früher. Was aber auch klar ist: Die Biden-Administration hat Deutschland und Europa nicht aufgegeben. Im Gegenteil. Das gibt doch etwas Hoffnung.
Professor Mauch, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Christof Mauch via Videokonferenz