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Ukraine-Krieg | Putin vor dem Kollaps? Experte warnt vor "nächstem Krieg"


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Militärexperte Keupp
"Für Putin sieht es eher nach Kollaps aus"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 25.04.2023Lesedauer: 6 Min.
Ukrainische Soldaten im Training: Die Offensive der Ukraine wird auf einen bestimmten Punkt zielen, sagt Militärexperte Marcus Keupp.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten im Training: Die Offensive der Ukraine wird auf einen bestimmten Punkt zielen, sagt Militärexperte Marcus Keupp. (Quelle: Dmytro Smolienko / Avalon/dpa)
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Russlands Truppen verschanzen sich, so wollen Putins Soldaten die kommende Offensive der ukrainischen Armee abwehren. Wie aber könnte der Gegenstoß aussehen? Militärexperte Marcus Keupp schätzt die Lage ein.

Das Kriegsziel der Ukraine ist klar: Das Land soll in den Grenzen von 1991 wiederhergestellt werden. Doch wie will sie etwa die stark befestigte Krim von Russland zurückerobern? Dafür gibt es bereits Pläne, allerdings ganz andere, als Russland erwartet, sagt Marcus Keupp. Im Gespräch erklärt der Militärökonom, wie die ukrainische Offensive verlaufen könnte und welche Fehler die russische Armee begeht.

t-online: Herr Keupp, Sie beschäftigen sich als Militärökonom mit der Stärke der russischen Armee, die sich im Ukraine-Krieg eher als schwach herausgestellt hat. Wie konnte der Westen Russland derart lange Zeit überschätzen?

Marcus Keupp: Wenn man nur lange genug an der Fassade kratzt, stellt sich Russland oft als Potemkinsches Dorf heraus. Um dies zu erkennen, muss man Moskau und Sankt Petersburg freilich verlassen und sich den Rest des Landes ansehen. In einer Hinsicht ist Russland allerdings überaus leistungsfähig – und zwar in der Propaganda von seiner angeblichen Stärke.

Gerade in Deutschland verschätzte man sich in Sachen Russland in vielerlei Hinsicht.

Putins Märchen wurden in Deutschland gerne geglaubt. Pensionierte Offiziere saßen in Talkshows und erzählten, wie unendlich die russischen Reserven angeblich seien. Was ist aber tatsächlich geschehen? Mittlerweile schaffen die Russen angesichts ihrer Verluste nun Panzer an die Front, die aus Zeiten des Korea-Krieges stammen. Die russischen Soldaten müssen dann mit Museumsstücken kämpfen.

Marcus Keupp, Jahrgang 1977, ist Dozent für Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich. Der habilitierte Betriebswirt geht in seiner Forschung klassischen militärökonomischen Fragen nach und befasst sich auch mit der Sicherheit von Versorgung und kritischer Infrastruktur. 2019 erschien sein Buch "Militärökonomie", das inzwischen auch in englischer und französischer Sprache erhältlich ist.

Deutschland und andere Staaten des Westens haben es bei der Unterstützung der Ukraine bislang bei der Formel "so lange wie nötig" belassen. Sollte die Bundesregierung aber nicht vielmehr alles dafür tun, dass die Ukraine den Krieg gewinnen wird?

Großbritannien, Polen und etwa auch die baltischen Staaten wollen, dass die Ukraine siegt. Deutschland und Frankreich sind hingegen dafür, dass die Ukraine zumindest nicht verliert, die USA befinden sich derzeit irgendwo dazwischen. So ist die derzeitige Lage. Eigentlich ist aber kein anderes Ziel als der Sieg der Ukraine empfehlenswert. Denn wenn Russland Teile der besetzten ukrainischen Gebiete behalten darf, würde dies nicht nur den Aggressor belohnen. Man würde vielmehr den nächsten Krieg heraufbeschwören.

Weil ein revanchistisches Russland so oder so den nächsten Waffengang plant?

So ist es. Nehmen wir den Fall, dass Russland bei einem Friedensschluss die Krim als militärische Festung behalten darf. Zehn bis 15 Jahre lang würde Moskau erneut aufrüsten, dann geht alles wieder von vorne los. Nein, das Kriegsziel der Ukraine ist nicht nur legitim, sondern auch vernünftig – und zwar das Land in seinen Grenzen von 1991 wiederherzustellen.

Wozu ohne jeden Zweifel die Krim gehört. Nun werden immer wieder Warnungen laut, dass der Verlust der Halbinsel für Putin eine "rote Linie" wäre.

Es gibt im westlichen Politikbetrieb immer noch zu viel Defätismus. Russland redet ständig von roten Linien, welche Drohungen wurden bislang aber Realität? Keine. Man könne Russland nicht besiegen, Putin lässt sich nicht an den Verhandlungstisch zwingen, heißt es immer wieder im Westen. Man kann Putin aber sehr wohl besiegen – wenn man sich nicht mehr von ihm täuschen lässt. Und erkennt, was Russland zurzeit wirklich ist: ein brutales Imperium, das auf Expansion aus ist. Das zumindest sollte mittlerweile jeder begriffen haben.

"Friedensbewegte", wie Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer oder auch Margot Käßmann, mögen das in Deutschland anders sehen.

Das ist eine Folge einer autoritären und antiamerikanischen Ideologie, die Russland als Sehnsuchtsort preist – und somit genau das macht, was Putins Propaganda will. Russland sei angeblich ein friedfertiger Staat, der vom bösen Westen eingekreist worden wäre. Das ist vollkommener Unsinn. Der Blick in die Geschichtsbücher zeigt vielmehr, dass in Russland imperiale Ambitionen seit dem 19. Jahrhundert gang und gäbe sind.

Das trifft es gut. Russland geht bei der Durchsetzung imperialer Ansprüche mit äußerster Brutalität vor. Das war nicht zuletzt bei den beiden Kriegen gegen Tschetschenien so, dazu hat der Westen allerdings geschwiegen. Beim Krieg gegen die Ukraine sehen wir nun allerdings den ersten großen Krieg Russlands seit Jahrzehnten. Und für Putin sieht es eher nach Kollaps aus.

Eine Frühjahrsoffensive der ukrainischen Armee soll dazu beitragen.

Zu klären wäre, was diese Frühjahrsoffensive überhaupt sein kann und was sie zu erreichen imstande ist. In der deutschen Öffentlichkeit existiert ein verzerrtes Bild dazu, viele Menschen denken in den Dimensionen des Zweiten Weltkriegs mit seinen massiven mechanisierten Operationen an der Ostfront. Nein, die ukrainische Offensive wird anders ablaufen.

Es läuft eher auf einen konzentrierten Vorstoß durch die russische Front aus.

Genau. Es wird das Gegenteil von dem sein, was die Russen im Sommer vergangenen Jahres probiert haben: unter massivem Beschuss vorrücken und dann mit größtmöglicher Brutalität die ukrainische Front einzudrücken versuchen. Diesen Fehler werden die Ukrainer nicht machen. Es wird vielmehr eine massive konzentrierte Aktion mittels mechanisierter Kräfte auf einen bestimmten Punkt geben. Dagegen können die Russen nicht viel ausrichten.

Haben Sie eine Vermutung, wann es losgehen wird?

Möglicherweise hat die Offensive schon begonnen. Wichtige Eisenbahnknotenpunkte im russisch besetzten Gebiet wurden angegriffen, auch die elektronische Kriegsführung darf nicht unterschätzt werden. Derartige "Shaping Operations" gehen einer Offensive voraus. Wann die Ukraine aber tatsächlich zum Gegenangriff übergeht? Das werden wir erst gut 24 Stunden später erfahren, nachdem der Vorstoß passiert ist. Es wird schnell, präzise und überraschend sein.

Die vom Westen an die Ukraine gelieferten Panzer werden eine große Rolle spielen. Hat die ukrainische Armee genug Exemplare erhalten?

Alle Lieferungen der verschiedenen Staaten zusammengerechnet verfügt die Ukraine über eine ansehnliche Kampfgruppe, darunter die deutschen Leopard 2. Es dürften insgesamt rund 150 mechanisierte Fahrzeuge sein. Damit können sie die Front durchstoßen, wenn es ihnen gelingt, diese Kräfte zu bündeln.

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Worin besteht das genaue Ziel der Operation? Der frühere US-General Ben Hodges rechnet ebenso wie Sie damit, dass die Ukrainer die Krim für Russland unhaltbar machen wollen durch Beschuss mit Fernwaffen.

Dafür spricht einiges. Die Idee besteht nicht darin, Russland auf konventionelle Art und Weise zu besiegen, sondern die Russen in eine Situation zu versetzen, in der ihnen keine Offensiven mehr möglich sind und ihre Position unhaltbar wird. Anders gesagt: Dann können die russischen Soldaten nur noch rumstehen und sich eingraben. Nach und nach würde die ukrainische Armee sie dann ausschalten. Sobald eine solche Lage eintritt, hat Russland den Krieg verloren.

Die ukrainischen Streitkräfte müssen also vor allem möglichst weit Richtung russisch besetzter Schwarzmeerküste vordringen.

Das würde viele Möglichkeiten eröffnen, in Henitschesk am Asowschen Meer befindet sich etwa das Hauptquartier der russischen Südfront, es läge dann in Reichweite ukrainischer Raketen. Aber selbstverständlich geht es vor allem um die Krim, die Russen wären im Falle eines ukrainischen Erfolgs dort eingekapselt. Sie könnten dann noch über die Brücke von Kertsch abziehen, oder sie würden langsam aufgerieben.

Nun könnte die russische Seite die gleichen Überlegungen anstellen, wie Sie es gerade tun. Bereiten sich die Truppen des Kremls nicht auf diese Bedrohung vor?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der russische Generalstab diesen Fall nicht in Erwägung zieht. Die Frage lautet aber: Was können sie dagegen überhaupt tun? Und vor allem: Dringen sie mit diesen Überlegungen noch zu Putin durch? Sie können sehr wenig ausrichten, denn ihre Offensivfähigkeit ist momentan verbraucht. In diesem Krieg fällt mir immer wieder die fundamentale Unfähigkeit der Russen auf, sich anzupassen. Russland hat riesige Verluste, das Material ist nahezu aufgebraucht: Aber ändern sie ihre Taktik? Nein.

Hat die Ukraine aber Fernwaffen in einer ausreichenden Zahl? Oder braucht es mehr westliche Systeme?

Eine Aufstockung der Lieferungen durch den Westen würde die Ukraine sicher nicht ablehnen. Aber sie verfügt durchaus über eigene Langstreckenfähigkeiten, zu Sowjetzeiten gab es dort eine sehr leistungsfähige Rüstungsindustrie. Zum Beispiel hat das Raketensystem Hrim-2 hat eine Reichweite von bis zu 170 Kilometern. Wenn die Ukrainer das in die Nähe der Krim bekommen, wird es richtig brenzlig für die Russen. Da können sie noch so viele Schützengräben anlegen.

Herr Keupp, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Marcus Keupp via Videokonferenz
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