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Boris Johnson in der Krise – Ein heftiger Sturm zieht auf


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Boris Johnson in der Krise
Ein heftiger Sturm zieht auf


Aktualisiert am 13.11.2020Lesedauer: 4 Min.
Boris Johnson vor seinem Amtssitz in der Downing Street: Der Premierminister bereitet seine Politik auf eine Zeit nach dem Brexit vor.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson vor seinem Amtssitz in der Downing Street: Der Premierminister bereitet seine Politik auf eine Zeit nach dem Brexit vor. (Quelle: imago-images-bilder)
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Mitten in der Corona-Krise und parallel zu schwierigen Brexit-Verhandlungen tobt in Großbritannien ein Machtkampf. Der engste Berater von Boris Johnson verlässt die Downing Street. Es herrscht einmal mehr Chaos auf der Insel.

Boris Johnson taumelt von einer Krise in die nächste. Der britische Premierminister kämpft gegen die Corona-Pandemie, die sein Land mit 1,2 Millionen akuten Infektionen besonders hart trifft. Zudem läuft am 31. Dezember die Brexit-Übergangsphase ab, es gibt noch keine Einigung über ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union. Die Zeit drängt, der Druck auf die britische Regierung ist hoch.

Zu dieser Unzeit bricht ein Machtkampf in London aus, der zur Regierungskrise werden könnte. Auf der einen Seite stehen Brexit-Hardliner und Populisten, auf der anderen gemäßigte Konservative. Dabei gibt es eine Sache, die Johnson in dieser angespannten Situation am wenigsten braucht: noch mehr Chaos. Aber dieser heftige Sturm bietet am Ende Großbritannien auch die Chance auf einen politischen Neustart. Ausgerechnet die Entlassung eines prominenten Brexit-Vorkämpfers könnte der Anfang sein.

Dominic Cummings gilt als engster Berater des Premierministers. Doch eigentlich steht er für viel mehr: In den USA wird Johnson – meistens von politischen Gegnern – "Briten Trump" genannt. In dem Vergleich wäre Cummings das Ambivalent zu Steve Bannon, der Trump maßgeblich politisch beeinflusste. Bannon und Cummings vertreten beide eine nationalistische Ideologie, beide sehen sich als Gegner des politischen Establishments, drängten sich oft in den Vordergrund. Wie Cummings war auch Bannon nicht mehr haltbar, musste seine Beratertätigkeit im Weißen Haus aufgeben.

Chaos als Chance zum Neuanfang

Der Machtkampf in Großbritannien eskalierte am späten Donnerstagabend. Gegen 23 Uhr hatte eine BBC-Reporterin gemeldet: "Hochrangige Nr.10-Quelle sagt, Dominic Cummings ist bis Weihnachten raus." Cummings tat das in einer ersten Reaktion als "erfundenes" Gerücht ab – doch wenige Stunden später verdichteten sich die Informationen. Der Mann, der für den Erfolg der Brexit-Kampagne und den Aufstieg Boris Johnsons verantwortlich war wie kein Zweiter, verließ bereits am Freitagabend mit einem großen Pappkarton in den Armen den Regierungssitz in London.

Für viele der konservativen Tories kam dieser Schritt nicht überraschend. Cummings, der als Brexit-Hardliner und Corona-Sünder für Schlagzeilen sorgte, wurde zunehmend zur Belastung für Johnson. Sein Abschied dürfte zunächst für Chaos in den Reihen der Konservativen sorgen, weil er eine Galionsfigur der Brexiteers ist. Doch nach dem Abschluss des Brexit-Prozesses ist er für den Premier verzichtbar geworden.

Cummings sorgte für Unruhe in der Pandemie

Cummings ist in Großbritannien höchst umstritten, er war der strategische Kopf der erfolgreichen Brexit-Kampagne im Jahr 2016. Außerdem plante er die Wahlkampagne für Johnson 2019, die den Tories eine große Mehrheit im Unterhaus brachte. Trotzdem inszenierte sich der 48-Jährige stets als Außenseiter in der Herzkammer der Macht in London, verkaufte sich als Gegner des politischen Establishments.

Dabei kam es immer wieder zu Konflikten mit dem Premierminister. Erst im Mai beherrschte Cummings die Schlagzeilen, als er inmitten des Corona-Lockdowns mit seiner Familie Hunderte Kilometer durch das Land reiste, um seinen Sohn zu den Großeltern zu bringen. Danach fuhr er noch eine halbe Stunde durch die Gegend, um zu testen, ob seine Corona-Infektion seine Sehkraft beeinträchtigt hat. Doch Cummings überstand diese Affäre, Johnson hielt an dem Berater fest.

"Handele schnell und mache Dinge kaputt"

Nach der erfolgreichen Brexit-Kampagne platzierte Johnson zahlreiche "Vote-Leave"-Anhänger in entscheidenden Stellen in der Downing Street. Das wurde zum Problem, weil viele davon auch Cummings gegenüber loyal waren. Aber der Premier brauchte seinen Berater, um den Brexit über die Bühne zu bekommen. Je näher das Ende der Übergangsphase rückte, desto ersetzlicher wurde der Chef-Stratege der "Leave"-Kampagne.

Cummings machte sich im konservativen Lager viele Feinde. Sein Motto: "Move fast and break things" ("Handele schnell und mache Dinge kaputt"). Das wurde unter vielen Tories weder als verantwortungsvoll noch staatstragend empfunden.

Außerdem sahen ihn viele Parteifreunde zunehmend als Floh im Ohr eines führungsschwachen Premiers. Selbst enge Unterstützer klagten über die politischen 180-Grad-Wenden Johnsons und darüber, dass sich der Premier von zu vielen Beratern beeinflussen lasse. Der konservative "Spectator" höhnte im September: Johnson sei "zu eifrig dabei, immer der letzten Person zuzustimmen, mit der er gerade geredet hat".

Der Druck auf Johnson wurde in der Corona-Pandemie nach seinem zögerlichen Handeln größer, seine Zustimmungswerte sanken in den Keller. Das gab den Cummings-Gegnern immer mehr politische Munition, um gegen den ungeliebten Berater vorzugehen. Besonders pikant: Auch im Regierungssitz in der Downing Street formierte sich Widerstand gegen Cummings und seine Anhänger. Die Rebellion soll ausgerechnet Johnsons Verlobte Carrie Symonds, einst ebenfalls PR-Expertin der Konservativen, angeführt haben.

Rückschläge für den Protektionismus

Die britische Bevölkerung konnte in den letzten Wochen mitverfolgen, wie sich der Machtkampf immer mehr zuspitzte. Johnson wollte am Dienstag zunächst seinen Kommunikationsdirektor Lee Cain zum Stabschef befördern. Cain ist, wie sein Förderer Cummings, eine der Schlüsselfiguren der Brexit-Kampagne. Doch der Premierminister machte einen Rückzieher, Cain erklärte am Mittwoch daraufhin seinen Rückzug aus der Downing Street. Einen Tag später stand dann auch Cummings auf der Abschussliste.

Das kann auch als Zeichen dafür gesehen werden, dass Johnson seine Regierungsmannschaft für eine Zeit nach dem Brexit umbaut. Die britische Politik muss innenpolitisch versöhnlicher werden, um die Gräben in der eigenen Gesellschaft zu kitten. Außenpolitisch ist der wichtigste Partner nun der gewählte US-Präsident Joe Biden, der deutlich mehr auf internationale Zusammenarbeit setzt als sein Vorgänger. Darauf muss sich Johnson einstellen, dessen Politik nun berechenbarer werden könnte. In jedem Fall haben die Verfechter des nationalen Protektionismus durch die Abwahl Trumps und den Rückzug Cummings einen Rückschlag erlitten. Vorbei ist dieser Machtkampf aber noch nicht.

Cummings wird auch weiter ein öffentliches Sprachrohr dieser Ideologie bleiben – ein kompletter Rückzug aus der Öffentlichkeit ist unwahrscheinlich. Immerhin: Sein Ziel war es, den Regierungsapparat so umzubauen, dass er irgendwann nicht mehr gebraucht wird, schrieb er Anfang 2020 in einem Blogartikel. Offenbar brauchte er nicht mal ein Jahr, um dieses Ziel zu erreichen.

Verwendete Quellen
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