Millionen Leben gefährdet Hier schlägt die Klimakrise so brutal zu wie nirgends sonst
In Afrika wird die Ungerechtigkeit der Klimakrise deutlich: Kaum dazu beigetragen, ist der Kontinent am stärksten betroffen. In Nairobi geht es um Bewältigung – und um Chancen.
Nirgendwo auf der Welt schlägt die Klimakrise so brutal zu wie in Afrika. Dabei haben die Länder des Kontinents kaum etwas zu den globalen fossilen Emissionen und damit zur Klimakrise beigetragen – diese Ungerechtigkeit bestimmt Diskussionen rund um den weltweiten Klimaschutz zwischen dem globalen Norden und Süden. Nun findet zum ersten Mal ein Klimagipfel statt, bei dem es in erster Linie um Afrika geht. Seit Montag dreht es sich bei dem dreitägigen Spitzentreffen in Nairobi um die Finanzierung des Klimaschutzes, die Anpassung an die Katastrophen – und um die Chancen des Wandels.
Neun der zehn Länder, die weltweit der Klimakrise am schutzlosesten ausgeliefert sind, liegen in Afrika – die einzige Ausnahme ist Afghanistan auf Platz 179. Das Ranking beschreibt, wie gut die Staaten auf die Folgen der Klimakrise vorbereitet sind. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 9.
Eine Klimakatastrophe nach der nächsten
Für Millionen Menschen bedeutet die Klimakrise somit: Akute Lebensgefahr.
Drei Beispiele:
- Am Horn von Afrika herrscht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. 23 Millionen Menschen leiden hier in Teilen Äthiopiens, Kenias und Somalias unter schwerem Hunger. Die Trockenheit hält bereits seit drei Jahren an. Ohne Klimakrise wäre diese Dürre wohl praktisch unmöglich gewesen, stellten Wissenschaftler des internationalen Forschungsverbunds World Weather Attribution fest. Mehr zum Leiden der Menschen am Horn von Afrika lesen Sie hier.
- Zyklon Freddy suchte im Februar Madagaskar, Mosambik und Malawi heim und drehte dann so ab, dass er die Länder noch ein zweites Mal traf. 32 Tage hielt der Wirbelsturm an – damit wurde Freddy zum Rekordzyklon. Mehr als 1.000 Menschen kamen ums Leben. Klimawissenschaftlern zufolge treibt die Klimakrise das Risiko für derart tödliche Stürme und Überflutungen in Südostafrika und Madagaskar in die Höhe.
- Im Mai starben bei Erdrutschen und extremen Überflutungen infolge sintflutartiger Regenfälle in der Demokratischen Republik Kongo mehr als 460 Menschen. Im benachbarten Ruanda kamen 135 Menschen ums Leben. Welche Rolle die Klimakrise dabei genau gespielt hat, bleibt unklar – den Wissenschaftlern fehlten die Daten für ihre Analyse. Dass infolge der menschengemachten Erderhitzung extreme Starkregenereignisse in Häufigkeit und Intensität zunehmen, ist allerdings erwiesen.
Es gäbe mittlerweile so viele aufeinanderfolgende Klimakatastrophen, dass afrikanische Länder sich kaum davon erholen könnten, sagte Josefa Correia Sacko, Kommissarin für Landwirtschaft und Umweltschutz der Afrikanischen Union. Einige Staaten gäben bis zur Hälfte ihres Bruttoinlandsprodukts aus, um klimabedingte Zerstörung zu bewältigen. "Die Kosten des Klimawandels explodieren", warnte Sacko.
Industriestaaten sollen Entschädigungen zahlen
Gemeinsam mit anderen Ländern, denen es ähnlich ergeht, fordern die Länder Afrikas mit einer internationalen Allianz daher: Der globale Norden, der durch seine fossilen Treibhausgase für die Klimakrise und ihre Folgen verantwortlich ist, soll Schadensersatz zahlen. Bei der UN-Klimakonferenz in Ägypten im vergangenen Jahr einigten sich die Teilnehmerländer darauf, einen entsprechenden Fonds einzurichten.
Der Bedarf allerdings ist groß: Nach Schätzungen der Afrikanischen Entwicklungsbank kosten klimabedingte Naturkatastrophen die Länder zwischen 7 und 15 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Bis 2030 könnten diese Verluste auf jährlich 50 Milliarden US-Dollar ansteigen.
Dabei haben sich die Industriestaaten des globalen Nordens eigentlich längst zu finanzieller Unterstützung verpflichtet: 100 Milliarden US-Dollar sollen seit 2020 pro Jahr fließen, für Klimaschutz und Anpassung an die immer häufigeren und heftigeren Naturkatastrophen infolge der Erderhitzung. Doch insbesondere seit der Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg gegen die Ukraine flossen die Gelder in ganz andere Bereiche – in den Klimaprojekten im globalen Süden ist viel zu wenig angekommen.
"Wir müssen die Chancen sehen"
Dabei bietet der Kontinent Chancen, von denen die ganze Welt profitieren könnte. Das betonte zur Eröffnung des Gipfels auch der kenianische Präsident William Ruto. Lange Zeit hätten die Staaten Afrikas die Klimakrise nur als Problem angesehen, sagte er am Montag zum Beginn der Konferenz. Es sei aber an der Zeit, es von der anderen Seite her zu betrachten.
Der wachsenden Bevölkerung Afrikas "Wohlstand und Wohlergehen zu bieten, ohne die Welt in eine noch tiefere Klimakatastrophe zu stürzen" sei "kein abstrakter Vorschlag oder Wunschdenken", sondern "eine reale, wissenschaftlich belegte Möglichkeit", so Ruto. "Wir müssen in grünem Wachstum nicht nur eine Notwendigkeit für das Klima sehen, sondern auch eine Quelle wirtschaftlicher Chancen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar, die Afrika und die Welt nutzen können", erklärte er.
"Weltweit suchen Investoren nach grünen Investitionsmöglichkeiten im Wert von Billionen US-Dollar", sagte der kenianische Präsident weiter. Afrika habe das Potenzial an erneuerbaren Energien und natürlichen Ressourcen, um diese Gelder anzuziehen.
"Saubere Energie im Überfluss"
Laut einem Bericht des Think-Tanks PowerShift Africa ist Afrikas Potenzial zur Herstellung erneuerbarer Energien 50 Mal größer als der für das Jahr 2040 erwartete weltweite Strombedarf. Afrika habe "saubere, erneuerbare Energie im Überfluss", so Direktor Mohamed Adow. "Aber um diese freizusetzen, braucht Afrika Mittel von Ländern, die durch unser Leiden reich geworden sind."
Der Kontinent hat ideale Bedingungen für die Produktion von Sonnen- und Windenergie und besitzt für die Energiewende kritische Bodenschätze wie Lithium, Kupfer, Seltene Erden oder Silizium. Dazu kommt ein enormes "Naturkapital" wie Wälder, Ackerböden, Wasser- und Meeresressourcen.
Kenia: Der "echte Klima-Champion"
Das Beispiel Kenia zeigt: Es geht. Das ostafrikanische Land mit 53 Millionen Menschen hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 seine Energiewende abzuschließen. Schon heute stammen mehr als drei Viertel der kenianischen Energie aus erneuerbaren Quellen, in den nächsten sieben Jahren soll dies auf 100 Prozent steigen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete Kenia vor einigen Monaten als "echten Klima-Champion".
Für Deutschland sind die Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, Bärbel Kofler (SPD), und die Beauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, in Kenias Hauptstadt gereist. Die Bundesrepublik werde während des Gipfels für eine "deutliche Beschleunigung des Ausbaus an erneuerbaren Energien weltweit, einen klaren Ausstiegspfad aus fossilen Energieträgern und starke Partnerschaften – zwischen Afrika und Europa und weltweit" plädieren, sagte Morgan.
Die Bundesregierung wolle demnach eine Reihe von Zusagen einbringen, unter anderem zur Absicherung gegen Klimarisiken und zum Waldschutz sowie zur Schuldenumwandlung für Klimaanpassung. Zu Beginn der Konferenz vereinbarte Deutschland mit Kenia eine Umschuldung im Volumen von 60 Millionen Euro. Statt das Geld zurückzuzahlen, soll das ostafrikanische Land damit in Erneuerbare Energien und eine nachhaltige Landwirtschaft investieren – ein erster Schritt auf die afrikanischen Länder zu.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- gain.nd.edu: ND-GAIN Country Index (englisch)
- disastercharta.org: Activation List (englisch)
- reuters.com: "Cyclone Freddy death toll jumps to over 1,000, Malawi president says" (englisch)
- wfp.org: "Horn of Africa hunger crisis pushes millions to the brink" (englisch)
- wordlweatherattribution.org: "Limited data prevent assessment of role of climate change in deadly floods affecting highly vulnerable communities around Lake Kivu" (englisch)
- wmo.int: "Tropical Cyclone Freddy may set new record" (englisch)