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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vernunftehe Bei diesem Pärchen ging's auch ohne Liebe
Sympathie ist da, Liebe aber nicht: Kann man auf dieser Basis eine Familie gründen? "Ja", sagen Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich und haben ein Buch über ihre ungewöhnliche Geschichte geschrieben ("Wie wär´s mit uns Beiden", Horizon-Verlag, 15,90 Euro). Die zwei wollten nicht mehr auf den richtigen Partner warten und haben es miteinander versucht - ohne große Gefühle. Drei Jahre leben sie seither zusammen, haben einen Sohn und die Liebe sei erst später gekommen, sagen beide. Wir haben einen Paarexperten gefragt, wann dieses Modell der Vernunftehe funktionieren kann und welche Stolpersteine drohen können.
"So ungewöhnlich ist das Modell Vernunftehe gar nicht", sagt Diplom-Psychologe Robert Eckert, Experte für Paartherapie und Eheberatung aus Hofheim am Taunus. Dass das Experiment Liebe bei den beiden funktionieren konnte, habe zum großen Teil daran gelegen, dass die beiden zu Anfang zwar keine Liebe, dafür aber Sympathie und Achtung füreinander empfunden hätten. "Daher war die Entscheidung schon keine rein rationale Entscheidung mehr", so seine Einschätzung.
Partnerschaft ohne Liebe kann erfolgreich sein
Eckert ist davon überzeugt, dass diese Beziehung Erfolg haben kann. Damit dieses Modell aber funktioniert, müsse auf jeden Fall eine gemeinsame Grundlage vorhanden sein, betont der Paarexperte. Übereinstimmungen in Bereichen, die beiden sehr wichtig sind, wie eine Familie zu gründen oder gemeinsame Hobbys und Lebenseinstellungen, könnten also die Voraussetzung für einen Start ohne Liebe sein. "Ob das längerfristig allerdings ausreichend ist, müssen sowohl die Vernünftigen als auch die Verliebten selbst herausfinden. Man merkt unter Umständen eben erst im Nachhinein, ob es passt oder nicht."
Liebe muss wachsen
Das Einzige, was Wendel und Heidrich verband, war eine dreijährige lockere Bekanntschaft, Sympathie und der Wunsch nach einer Familie. Und das reichte den beiden aus. Dass aus Freundschaft Liebe entstehen kann, haben sie bewiesen. Und zwar auch dann, wenn der andere zuerst so gar nicht in das Raster Traumpartner passt.
Susanne Wendel gibt in einem Interview mit der „Welt“ zu, dass ihr Mann damals optisch überhaupt nicht ihrem Typ entsprochen habe und ihr vom Charakter her viel zu ruhig und zurückhaltend gewesen sei. Heute würde sie ihn aber schon in die Kategorie Traummann einstufen, meint sie. Die Liebe sei eben erst später gekommen.
Traumprinzen gibt es nicht
Man solle aufhören, nach Traummännern zu suchen und nette Männer wählen, lautet ihr Fazit. Es gebe keinen Traumprinzen. Laut Wendel ist besonders das Wollen wichtig: zusammenbleiben wollen, einander verstehen wollen, fair miteinander umgehen wollen.
"Spätestens hier wird deutlich, dass unser Glück offenbar nicht messbar von einer gewissen Dosis abhängig ist, sondern von vielen anderen komplexen Einflussgrößen“, sagt Eckert. Nicht umsonst gebe es so viel Literatur über die ideale Liebe und das Liebesglück.
Kleines Stück Glück ist besser als nichts
Auf die Frage, ob Paare zu Beginn Regeln aufstellen sollten, bevor sie sich in die Vernunft-Beziehung stürzen, sagt der Paartherapeut: "Die einzige Regel, welche hier wirklich Sinn machen würde, wäre diejenige, die beiden zum Glück verhilft. Oder zumindest, wenn das nicht möglich erscheint, zur Zufriedenheit beider führt. Letzteres wäre somit quasi ein kleines Stück von Glück - besser als nichts", findet er. Wie genau die Regel aussehen soll, müssten beide für sich herausfinden.
Partnerschaft ohne Vernunft funktioniert nicht
Als eventuelle Vorteile einer Vernunftpartnerschaft führt Eckert Ruhe, Rationalität und Sachlichkeit an. „Aber ich denke, das sind eher theoretische Annahmen und die Vernunft spielt oft doch eine gewisse Rolle, gerade am Anfang oder spätestens bei einer Familiengründung. Mal mehr, mal weniger“, sagt er. „Längerfristig sind aber auch
Gefühle und Nähe eine wichtige Einflussgröße in einer Beziehung. Das lässt sich nicht vermeiden und das ist gut so. Die Natur hat sich schon etwas dabei gedacht, es so mit uns einzurichten.“
Oft nicht leicht, wenn die "rosarote Brille" fehlt
Und wie sieht es mit den negativen Seiten des Modells aus? Der Paarexperte sieht einen möglichen Nachteil darin, dass die „rosarote Brille“ zu Beginn einer Beziehung übersprungen wird. "Gerade das ist vielen Menschen sehr wichtig und wird oft als 'Eintrittstor' für eine Partnerschaft angesehen", sagt er. Aber auch das sei nicht zwangsläufig problematisch und komme immer auch auf das Paar an. "Befragt man orientalische Pärchen zu diesem Thema, sagen sie häufig, dass sich die Liebe von ganz alleine entwickelt hat. Auch die Eltern unserer Eltern haben damals sehr häufig Vernunftehen geschlossen, die stabil gewesen sind", weiß Eckert.
Ein Versuch kann es wert sein
Wie viele Paare sich neben Wendel und Heidrich für das Modell Vernunft entscheiden, kann man jedoch nicht klar sagen: "Das herauszufinden, ist kaum möglich", sagt Eckert. "Der Grund ist, dass es sehr schwer ist, präzise und objektiv die Grenze zu definieren, ab wann Gefühle letztlich doch eine mehr oder weniger relevante Einflussgröße dargestellt haben. Diese Prozesse laufen gerade am Anfang einer Beziehung gerne unbewusst ab und erschweren damit eine genaue Differenzierung."
Kann man das Modell ohne Liebe also Menschen empfehlen, die schon lange suchen und immer noch nicht den richtigen Partner gefunden haben? "Mein Rat wäre hier, Dinge auszuprobieren, die man bisher noch nicht als mögliche Option in Erwägung gezogen hat", sagt Eckert. "Im schlimmsten Fall ist alles so, wie es vorher schon war und man kann sich weiter umschauen." Man müsse ja nicht sofort heiraten und Kinder bekommen.
Liebesheirat nicht sicherer als Vernunftehe
Allerdings hat die Liebesheirat gegenüber der Vernunftehe auch ihre Vorzüge: "Paare, die sich von Anfang an lieben, haben das Glück, die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen und Gefühle in Bezug auf das Thema Liebe selbst zu erfahren und dadurch ein Stück vom Geheimnis unserer Existenz am eigenen Leib zu spüren", erklärt der Experte.
Aber der Zustand halte in der Regel ohnehin nicht dauerhaft an, gibt Eckert zu bedenken. Und das sei kein Zufall. Denn das Paar bräuchte für die Familienplanung eben auch Vernunft und Sicherheit im rationalen Sinne. Für Eckert ist eines entscheidend: "Egal wie man beginnt, wenn Glück und Liebe dabei herauskommen sind alle Ziele erreicht, oder etwa nicht?", sagt er.
Garantie für das Glück gibt es nicht
"Eine Garantie für das Gelingen vom Glück in der Liebe gibt es selbstverständlich nicht." Von diesem Standpunkt ausgehend, hätten Wendel und Heidrich alles richtig gemacht, sagt Eckert. Und auch das Paar selbst sieht das so. Sie seien glücklich und wollten zusammenbleiben, sagen sie im Interview mit der Zeitung "Die Welt".
Mehr zum Buch "Wie wärs mit uns beiden" von Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich finden Sie hier