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Bildung für Demokratie: Erfahrungen statt Tests an Schulen – ein Plädoyer


Meinung
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Demokratie lernen
Nie wieder ist jetzt – erst recht an den Schulen

MeinungEine Kolumne von Bob Blume

18.01.2024Lesedauer: 4 Min.
WittenVergrößern des Bildes
Erfahrung vor Ort: Schüler aus NRW besuchen das ehemalige KZ-Außenlager Witten-Annen (Quelle: Walter Fischer/imago-images-bilder)

Rechtsradikale, Populisten und andere Verfassungsfeinde sprechen unverblümt über Massendeportationen. Sie bedrohen die Demokratie als Ganzes. Es wird Zeit für eine Bildung, die Demokratieerziehung an die erste Stelle setzt.

Ich wurde dieses Wochenende mit dem Tod bedroht. Das passiert immer mal wieder. Aber in diesem Fall ist es von Bedeutung, weil es sich auf eine Rede bezog, die ich am Tag des nationalen Bildungsprotests gehalten habe. Meine damalige These: Bildung verhindert Faschismus. Nun muss ich dazu sagen, dass das ganz so einfach natürlich nicht ist. Ein Mehr an Wissen verhindert gar nichts. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass die Unterstützung für die Nationalsozialisten im "Dritten Reich" auch von Intellektuellen getragen wurde.

Aus diesem Grund schrieb ich unter das Video, in die sogenannte Caption, was ich damit meine: "Denn damit ist eine Bildung der Menschlichkeit gemeint, eine Bildung, die andere respektiert, in der Demokratie gelebt wird und Werte hochgehalten werden. In der ethische Maßstäbe durch Handeln gelernt werden! Eine solche Bildung brauchen wir, denn die Zeit der faschistischen Verführer ist gerade wieder einmal da. Und sie verhehlen es nicht. Wir müssen uns dagegenstellen!"

Bob Blume ist Lehrer und Autor.
Bob Blume ist Lehrer und Autor. (Quelle: privat)

Zur Person

Bob Blume ist Lehrer, Blogger und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Twitter und auf Instagram, wo ihm mehr als 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist im Handel erhältlich.
Hier geht's zu Blumes Instagram-Auftritt.

Bildung bedeutet Nachhaltigkeit

Das war also Grund genug, um mir den Tod zu wünschen. Nebenbei wurde auch noch von "Öko-Diktatur" und "Bio-Nazis" schwadroniert und gegen alles und jeden geschossen, der oder die ein wenig Differenzierung forderte.

Dabei ist das, was ich fordere, keine eigene Erfindung. Mit der sogenannten "Bildung für nachhaltige Entwicklung" initiierten die Vereinten Nationen eine Bildungskampagne, die seit 2021 mit einem Unesco-Programm vertieft wird. Dabei geht es um 17 Nachhaltigkeitsziele, die es im besten Fall möglich machen, dass dieser Planet nicht vor die Hunde geht. Mit dabei: Armutsbekämpfung, hochwertige Bildung, Geschlechter-Gleichstellung und weniger Ungleichheiten.

All das sind Ziele, die nicht in einem Multiple-Choice-Test erreicht werden können. Sie haben weniger mit Wissen zu tun – das auch – als mit einer Haltung, die durch Bewusstwerdung und eigene Tätigkeit erlangt werden kann. Dabei ist der Begriff der Tätigkeit wohl der wichtigste. Der amerikanische Philosoph John Dewey (1859–1952) legte einen Schwerpunkt seiner pädagogischen Überlegungen auf die Demokratieerziehung. Er wusste, wie wichtig die Erfahrungswerte sind, die Kinder und Jugendliche aus dem eigenen Handeln ableiten. Das global bekannte Konzept des learning by doing wurde von ihm benannt und in die Pädagogik eingeführt.

Durch Erfahrungen lernen Schüler mehr als durch Tests

In die Schule übertragen bedeutet dies, dass weniger in die Überprüfung von Inhalten gelegt werden sollte als in konkrete Erfahrungen. Ein Beispiel: Eine Fahrt ins Konzentrationslager Natzweiler-Struthof ist eine andere Erfahrung als ein Arbeitsblatt: Schüler stehen dann in einem Raum, in dem erschossene Menschen verbrannt wurden. Und dessen Betreiber die Hitze dieser Verbrennungen für die Erwärmung des Badewassers nutzten. Wenn Jugendliche einen solchen Raum betreten und den Jahrzehnte überdauernden Geruch der Asche riechen, dann muss man als Lehrer das "Nie wieder" fast nicht mehr anmahnen.

Nun ist die Zeit des Nationalsozialismus lange vorbei. Und es gibt keine Vernichtungslager mehr. Aber wenn die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sagt: "So hat es damals auch angefangen", dann müssen wir als Deutsche genau zuhören. Denn auch die industrielle Massenvernichtung der Juden fiel nicht vom Himmel, sondern war die monströse Steigerung einer Geisteshaltung, die gerade jene Bildungsziele, von denen hier die Rede war, nicht teilte.

Jeder Mensch hat eine eigene Würde

Die Unterteilung in Rassen, von denen die weiße Rasse mehr wert sei als alle anderen, war eines der wichtigsten Fundamente des späteren Genozids an Juden und Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten. Es kommt nicht von ungefähr, dass das deutsche Grundgesetz mit dem ersten Artikel festhält, was keiner je wieder vergessen sollte: Dass jeder Mensch ein Mensch ist. Und eine eigene Würde hat, die unantastbar ist und sein sollte.

Dass man dies alles im Jahre 2024 schreiben muss, liegt an den Entwicklungen, über die wir alle in der letzten Zeit gelesen haben. Das sogenannte "Geheimtreffen", an dem Neonazis, AfD-Politiker, Unternehmer und auch Angehörige der CDU teilgenommen haben. An einem Ort, der unweit der Wannsee-Villa lag, in welcher der Holocaust geplant wurde. Mit einem Plan zur Deportation von Millionen Menschen, der an den Madagaskarplan der Nationalsozialisten erinnert. Dieser sah vor, Millionen von Juden nach Madagaskar zu deportieren.

Radikale Fantasien nicht als Normalität abtun

Der jetzige Plan: Die Deportation von allen Menschen, die nicht unter eine bestimmte Definition von "deutsch" fallen. Welche das ist? Wir wissen von anderen autoritären Regimen, dass das Auslegungssache ist. Erst sind es sogenannte Migranten, unter die auch jene Deutsche fallen, die in Deutschland geboren wurden und die auch einen deutschen Pass haben. Deren Großeltern oder Eltern aber vielleicht eine andere Nationalität hatten. Dann sind es alle, die das Regime nicht unterstützen. Dann sind es Randgruppen, Schwule, Lesben oder Menschen mit einer anderen Lebensweise oder einer anderen politischen Einstellung.

Nein, da sind wir noch nicht. Und ich lese schon jetzt die Kommentare und Mails, in denen mir genau die falschen Leute Geschichtsrevisionismus vorwerfen werden. Es geht um keine Vergleichbarkeit. Es geht darum, die Zeichen zu erkennen. Aus dem Grunde gibt es mir, und sollte es uns allen Hoffnung geben, dass gerade erst Tausende von Menschen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind. Als ein Zeichen, dass wir es nicht zulassen, Deportationsfantasien als neue Normalität abzutun.

Wir brauchen eine Bildung im Sinne des Humanismus

"Nie wieder ist jetzt!" heißt ein Hashtag auf dem neuen Netzwerk Threads, und es bringt den Ernst der Lage auf den Punkt. Wir können es uns nicht leisten, dass all jene Grundwerte, die mühsam nach dem Zivilisationsbruch der Deutschen entwickelt worden sind und unser Zusammenleben prägen, wieder eingerissen werden. "Nie wieder ist jetzt" ist eine Mahnung an uns, Flagge zu zeigen, auf der Straße, in den Schulen und im Netz.

Längerfristig bedeutet das auch, dass wir Bildung viel mehr als eine Menschenbildung im Sinne des Humanismus verstehen. Eine Bildung zum Menschsein in der Anerkennung seiner Würde. Kurzfristig bedeutet das, sich darüber bewusst zu werden, wie wichtig es ist, das Übertreten von Normen unserer demokratischen Gesellschaft zu benennen. Die Sprache der Rassisten nicht zu übernehmen. Und eine klare Linie zu jenen zu ziehen, die unsere Verfassung, unsere Demokratie und damit unser gemeinsames Leben infrage stellen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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