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Suizid bei jungen Menschen: So können Sie helfen


"Ich bin für dich da"
So können Suizide junger Menschen verhindert werden

dpa, Elke Richter

Aktualisiert am 18.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Suizidüberlebender im Video: Stefan Lange hilft anderen Betroffenen psychischer Erkrankungen. Im t-online-Format "Frag mich" hat er Ihre Fragen zum Thema beantwortet. (Quelle: t-online)

Als Jugendlicher hat man noch keine echten Sorgen, mag so mancher Erwachsener denken. Weit gefehlt. Rund 500 junge Menschen sind jedes Jahr so verzweifelt, dass sie sich das Leben nehmen.

Aus den Zeilen sprechen Verzweiflung, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit. Das Gefühl, nicht gebraucht und nicht geliebt zu werden, nichts wert zu sein. "Ich will sterben" ist deshalb ein Satz, den die Ehrenamtlichen bei U25, einer Online-Anlaufstelle für junge Menschen mit Suizidgedanken, oft lesen. Das Gefühl, lieber tot sein zu wollen als weiterzuleben, kennen erschreckend viele Kinder und Jugendliche: Rund 500 von ihnen wählen Jahr für Jahr in Deutschland den Freitod. Zehn bis 20 Mal so viele unternehmen seriösen Schätzungen zufolge zudem den Versuch, sich das Leben zu nehmen.

Corona-Pandemie wirbelt das Leben zusätzlich durcheinander

Damit ist Suizid in der Altersklasse der 15- bis 24-Jährigen neben Verkehrsunfällen die häufigste Todesursache. Zudem gibt es bei jungen Menschen unter allen Altersgruppen die meisten Suizidversuche. 2019 – neuere Zahlen hat das Statistische Bundesamt noch nicht veröffentlicht – schieden 471 unter 25-Jährige aus eigenem Zutun aus dem Leben. Das war zwar der niedrigste Stand seit vielen Jahren, doch Fachleute sind alarmiert. Denn seither wirbelt die Corona-Pandemie das Leben gerade auch der jungen Menschen durcheinander.

Die Münchner Arche etwa, eine auf Suizidprävention spezialisierte Beratungsstelle, verzeichnet seit dem Winter einen deutlichen Anstieg an Anfragen, die selbst sehr junge Teenager mit Suizidgedanken betreffen. "Das sind ganz klar die Auswirkungen der Pandemie und des Lockdowns auf die Jugendlichen und die Kinder, die noch kaum Krisenerfahrung haben können oder durch frühere Belastungen besonders verletzlich sind", schildert Geschäftsführerin Heidi Graf.

Streit, Stress, Pubertät: Alles kann zur Krise führen

Stress mit den Eltern, schlechte Noten, Streit mit Freunden, die Pubertät als solche – "das reicht alles, um in eine Krise zu kommen", betont Graf. "Wenn dann noch alles wegfällt, was normalerweise stabilisiert, die Klassenfahrt, die Pfadfinder, der Sportverein, die Party am Freitagabend, dann rutschen manche Jugendliche in eine Form von Niedergeschlagenheit, Depression und Zukunftslosigkeit, so dass sie vermehrt auf die Idee kommen, sich zu fragen: Was soll ich noch auf dieser Welt?" Und in diesen Fällen ist noch lange nicht die Rede von traumatischen Erlebnissen, von Missbrauch und Gewalt oder dem Verlust geliebter Menschen.

Wenn sich jeden Tag in Deutschland im Schnitt mehr als ein Kind, Jugendlicher oder junger Erwachsener das Leben nimmt, hat das letztlich eine riesige Dimension. "In jeder Schule ist das Thema", betont Ute Lewitzka, Psychiaterin an der Uniklinik Dresden und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. "Jeder Jugendliche hat in seiner Klasse einen Mitschüler, bei dem der Gedanke an Suizid irgendwann aufkommt."

Risikofaktoren spielen nur eine bedingte Rolle

Wen es treffe, sei nicht vorherzusagen, auch wenn es Risikofaktoren wie unstabile Familienverhältnisse, Armut, Migration oder Flucht gebe. "Man sollte einen Suizid oder Suizidversuch nie nur auf eine Ursache runterbrechen. Es ist immer ein Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Faktoren", betont Lewitzka.

Den Fachleuten zufolge lässt sich nur schwer erkennen, wann ein junger Mensch Selbsttötungsgedanken hegt. Appetitlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Rückzug, das Aufgeben alter Hobbys und Freundschaften oder das Vernachlässigen der Körperpflege können zwar Warnzeichen sein, treten bei vielen Pubertierenden aber auch so in manchen Phasen auf. Dennoch sollten Bezugspersonen dann aufmerksam werden – und im Zweifel ganz konkret nach einem etwaigen Todeswunsch fragen. Jemanden dadurch erst auf die Idee eines Suizides zu bringen, halten Fachleute unisono für einen widerlegten Mythos.

Suizidversuch ist häufig ein Hilferuf

Zwar wollen die meisten Jugendlichen mit Suizidgedanken nicht wirklich tot sein, sondern nur einer als unerträglich und ausweglos empfundenen Situation entkommen, wie die Experten schildern. Eine entsprechende Ankündigung oder ein Versuch seien daher oft ein Hilferuf, "aber der ist unglaublich ernst und kann potenziell den Tod bedeuten", betont Lewitzka. "Die Bindung zum Leben ist möglicherweise stärker als die Sehnsucht zum Tod, aber die Jugendlichen nehmen in Kauf, dabei wirklich sterben zu können."

Die meisten kündigen ihre Suizidversuche vorher an. "Da ist es entscheidend, das nicht zu überhören und sich sofort, und nicht zehn Minuten oder einen Tag später, die Zeit zu nehmen und zu sagen, das habe ich gerade gehört, das interessiert mich, das nehme ich sehr, sehr ernst, du hast jetzt meine volle Aufmerksamkeit und ich bin jetzt für dich da", schildert Arche-Geschäftsführerin Graf. "Wenn diese kleinen Fensterchen aufgehen – die gehen sonst so schnell wieder zu!"

Zeit zwischen Entschluss und Tat ist häufig knapp

Umgehendes Reagieren sei auch deshalb so wichtig, betont Psychiaterin Lewitzka, weil bei vier von fünf Suiziden zwischen Entschluss und Umsetzung der Tat nur wenige Stunden vergingen. "In Krisen vor allem bei Jugendlichen reden wir teils von zehn Minuten."

Hilfe gibt es unter anderem bei der Telefonseelsorge unter 0800/111 0 111, den Krisendiensten oder den sozialpsychiatrischen Diensten der Landkreise, aber auch bei Schulpsychologen und Ärzten. Allerdings richten sich nur wenige Angebote explizit an junge Menschen. Eine Ausnahme bildet neben der "Nummer gegen Kummer", die unter 116 111 erreichbar ist, die Online-Beratungsstelle U25. Dort stehen 300 junge Ehrenamtliche in zehn Städten Deutschlands Verzweifelten per E-Mail zur Seite.

Lockdown führt zu massivem Anstieg verzweifelter Jugendlicher

In Nürnberg verzeichnet Teamleiterin Jenny Catsam seit dem zweiten Lockdown einen massiven Anstieg der Anfragen. Längst können nicht mehr alle Interessenten begleitet werden, selbst die Warteliste ist voll. Sie rät deshalb jedem, der sich Sorgen um einen Freund oder Verwandten macht: "Rede mit demjenigen und hör zu, was da los ist, sehe ihn und interessiere dich für ihn!" Die Sorgen, und scheinen sie von außen auch noch so banal, sollten auf jeden Fall ernst genommen und nicht kleingeredet werden.

"Vor allem Gleichaltrige sollten dabei aber auch auf ihre eigenen Grenzen achten und nichts versprechen, was nicht haltbar ist", rät Catsam. "Ich muss nicht immer für den anderen da sein, ich habe das Recht, nachts mein Handy auszuschalten." Auch sei es nicht ratsam zuzusagen, die Suizidpläne als Geheimnis zu behalten, damit man sich Hilfe holen könne. "Denn für einen alleine ist dieses Problem zu groß."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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