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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angriffe häufen sich Das steckt hinter der Gewalt gegen Klimaaktivisten
Regelmäßig tauchen neue Videos auf, in denen Aktivisten geschlagen, getreten oder über die Straße gezerrt werden. Die Gewalt gegen Klimaaktivisten nimmt offenbar zu – doch woran liegt das?
Immer wieder kommt es bei Straßenblockaden der "Letzten Generation" zu körperlichen Angriffen gegen Aktivisten, zuletzt bei Protesten gegen die Automobilmesse IAA in München. Das sind längst keine Einzelfälle mehr.
Viele der Angriffe sind auf Videos dokumentiert, Angst vor Konsequenzen haben die Täter offenbar nicht. In den sozialen Medien erhalten die Gewalttäter teilweise sogar viel Zuspruch.
Die Gewaltaktionen gehen offenbar quer durch die Gesellschaft, beobachtet Polizei-Soziologe Raphael Behr. Dass sich die Aktivisten oft nicht wehren, sorgt in vielen Fällen für noch mehr Frust, erklärt er im Gespräch mit t-online.
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Ein Klimaaktivist wird mit Gülle übergossen. Obwohl es nur eine Inszenierung ist, hat dieses Video fast 4 Millionen Aufrufe. Ein Sänger zeigt in seinem Musikvideo, wie es Klimaaktivisten auf dem Land ergehen könnte.
Die Gewalt gegen Klimaaktivisten nimmt immer mehr zu. Regelmäßig tauchen neue Videos auf, in denen die Aktivisten geschlagen, getreten oder über die Straße gezerrt werden. Aus verbalen Angriffen werden zunehmend körperliche Auseinandersetzungen.
"Zum einen muss man sagen, sowieso ist das Auto oder die Fahrerkabine psychologisch gesehen ein Risiko-Raum im Verkehr, besonders für Männer. Da gehen schnell schon mal die Emotionen durch, weil viele denken, das Auto ist sozusagen mein Reich und da habe ich automatisch auch Rechte und Vorfahrt vor allen Dingen."
In den sozialen Medien erhalten die Gewalttäter teilweise viel Zuspruch.
"Sehr gut, der Autofahrer hat meine volle Solidarität", schreibt ein Nutzer. Oder "Nein, bitte weitermachen, es wird doch gerade erst lustig."
Behr spricht von einer kollektiven Dimension - die medial inszeniert wird.
"Da fühlt man sich sozusagen plötzlich mit einer großen Gemeinschaft in Übereinstimmung. Und tatsächlich passiert aber auch auf der Straße oftmals, dass das Publikum Beifall spendet oder gar hilft."
Mit ihren Aktionen provozieren die Klimaaktivisten die Autofahrer. Dass sie sich oft nicht wehren, sorgt in vielen Fällen für noch mehr Frust.
"Wenn Sie im Stau stehen, haben Sie keinen Angreifer, keinen Angriffspunkt. Bei der "Letzten Generation" haben Sie jemanden, der da sitzt, der ist physisch da. Und dann übertragen sich ganz viele Wutgefühle auf diese Menschen, die noch eine Eigenschaft haben, nämlich ihren radikalen Pazifismus. Die schreien ja nicht rum und sind aggressiv und pöbeln die Leute an und machen selbst - Nein, sie sitzen auf der Straße. Und seltsamerweise ist diese Friedfertigkeit immer auch ein aggressionsauslösendes Moment für viele Leute, weil sie so moralisch überlegen daherkommt."
Angst vor Konsequenzen scheinen die Autofahrer in dem Moment nicht zu haben.
"Täter, die sehr stark emotionalisiert sind und die in Aufwallung der Gefühle etwas tun, schalten ganz oft die Rationalität aus. Es ist also keine rationale Handlung, die da passiert, sondern es ist eine sehr stark emotionalisierte Handlung. Und dann werden die Konsequenzen zum Beispiel völlig ausgeblendet und man denkt, man ist im Recht in dieser Situation."
Die Gewaltaktionen gehen offenbar quer durch die Gesellschaft, wie Behr beobachtet. Eins steht für ihn aber fest:
"Das Einzige, was wir sagen können zu dem Thema, ist, ich habe noch keine einzige Frau gesehen, die ausgestiegen ist und jemanden weggetreten hat. Das ist tatsächlich eine männliche Gewalt, die wir auch sonst in der Öffentlichkeit oft Männern zuschreiben."
Auch immer wieder im Fokus der Aktionen sind die Einsatzkräfte. Die Münchner Polizei hat sich auf der Plattform X (vormals Twitter) deutlich gegen körperliche Gewalt an Klimaaktivisten ausgesprochen.
"Ich habe jetzt schon von einigen Teilnehmenden gehört. Ich bin froh, wenn die Polizei da ist. Das ist ganz selten, dass Demonstranten sagen: Ich bin froh, wenn die Polizei kommt, aber die geht wenigstens nach Regeln vor. Und auf die kann man sich verlassen."
Dennoch sorgt eine Polizistin aus München für Diskussionen. Anscheinend übergießt sie den Aktivisten absichtlich mit Öl. Derzeit wird untersucht, ob das für sie strafrechtliche Konsequenzen haben wird.
"Allerdings ist in jedem Fall sichtbar gewesen, dass es keine angeordnete und kollektive Aktion war. Es war also keine Aktion der Polizei, sondern es war eine Einzelaktion einer Polizistin (...). Aber selbst wenn, ist es keine angeordnete Vorgehensweise und insofern glaube ich nicht, dass das noch mal als Verstärker dient."
Die Aktionen der “Letzten Generation” werden auch in den kommenden Wochen weitergehen. Die Toleranzgrenze der Autofahrer dürfte dadurch weiter sinken.
Warum die Gewalt gegen Klimaaktivisten immer weiter zunimmt, welche Rolle die Medien und die Polizei dabei spielen und warum der Straßenbereich ein besonderes Gewaltpotenzial hat, sehen Sie hier oder oben im Video.
- Eigenes Interview mit Prof. Dr. Rafael Behr
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