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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Corona-Strategie "Damit wird das tägliche Leiden und Sterben weitergehen"
Der "Freedom Day" wurde verschoben: Nun sollen am 2. April die meisten Corona-Maßnahmen fallen. Eine riskante Strategie oder der richtige Schritt? Ein Patientenschützer schlägt Alarm.
Das neue Anti-Corona-Konzept der Regierung stößt auf viel Kritik. Im Kern sieht das sogenannte Zwei-Säulen-Modell vor, dass die vulnerablen Gruppen weiter mit Masken und Tests g"eschützt werden sollen.
Und: Bei Hotspot-Ausbrüchen stehen den Ländern weitergehende Maßnahmen wie Maskenpflicht, Abstandsgebote, Hygienekonzepte und Regelungen wie 2G und 3G zur Verfügung. Reicht das aus? Und für wen kann die Strategie doch gefährlich werden? t-online sprach mit dem Patientenschützer Eugen Brysch.
t-online: Herr Brysch, wie blicken Sie auf den zunächst verschobenen Tag, an dem die Corona-Maßnahmen aufgehoben werden?
Eugen Brysch: Die Regierungskoalition setzt da alles auf eine Karte. Zwar haben die Bundesländer Aufschub bis zum 2. April, doch die Corona-Lage bleibt besorgniserregend. Denn die verfügbaren Impfstoffe bieten sicherlich noch einen Eigenschutz, doch die Ausbreitung lässt sich damit nicht verhindern. Damit wird das tägliche Leiden und Sterben weitergehen.
Also war die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes ein Fehler?
Ja, damit wird sich das Infektionsgeschehen nicht abbremsen lassen. Die FDP als kleinster Koalitionspartner hat den Deal durchgesetzt. Das Kompensationsgeschäft für SPD und Grüne kennen wir nicht. Jedoch sind die Argumente der Liberalen hanebüchen.
Denn der Vergleich mit den Nachbarländern hinkt. Sonst müsste man bei der Wirtschafts-, Sozial- und Energiepolitik ähnlich argumentieren. Auch die vielen Corona-Toten in den Nachbarländern können nicht überzeugen.
Nun kann man ein Land aber auch nicht dauerhaft im Lockdown verharren lassen.
Das ist auch gar nicht notwendig. Denn es geht nicht darum, alles zu tun, sondern das Richtige zu tun. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Das bedeutet, in erster Linie diejenigen zu schützen, deren Leib und Leben vom Virus am stärksten bedroht sind. Doch dazu sind wir nicht in der Lage. Dafür müssen nicht Betriebe, Schulen, Restaurants oder Theater geschlossen werden.
Eugen Brysch ist der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Sie vertritt die Interessen von schwerstkranken, pflegebedürftigen und sterbenden Menschen.
Was müsste stattdessen getan werden?
Immer wieder kommt es zu Infektionsausbrüchen in Pflegeheimen. Hier leben Menschen, die auf unsere Fürsorge angewiesen sind. Mit den sogenannten Basisschutzmaßnahmen wird sich die Situation in diesen Einrichtungen aber nicht verbessern.
Die Veränderung der allgemeinen Teststrategie zum Beispiel sorgt nur dafür, dass immer weniger PCR-Tests durchgeführt werden. Und sich allein auf Schnelltests zu verlassen, ist fatal. Außerdem gibt es immer noch keine Konzepte, wie Infektionsketten in der stationären Altenpflege wirksam unterbrochen werden können.
Was wäre dazu nötig?
Wir fordern seit zwei Jahren etwa lokale Ausweichquartiere dort zu schaffen, wo Ausbrüche stattfinden. So kann eine wirksame Isolierung der Infizierten sichergestellt und damit die Infektionskette unterbrochen werden. Auch fehlt die Möglichkeit, dass externes medizinisch-pflegerisches Personal die betroffene Einrichtung unterstützt. Damit das Virus gar nicht erst in die Einrichtungen kommt, ist ein tägliches Testregime in der Alten- und Krankenpflege notwendig.
Ebenso müssen Pflegebedürftige, Chronisch- und Schwerstkranke sowie ihre Angehörigen das Recht erhalten, jederzeit auch symptomlos einen PCR-Test zu machen. Bund und Länder geben Hunderte von Milliarden in der Corona-Pandemie aus. Dabei wäre es wichtiger, sich genau auf Hochbetagte, Pflegebedürftige und Schwerstkranke zu konzentrieren und für sie endlich wirksame Maßnahmen zu beschließen.
Nun gilt seit Mitte des Monats eine Impfpflicht für das Pflegepersonal. Das beruhigt Sie nicht?
Nein, wie gesagt: Die aktuellen Impfstoffe stellen keinen ausreichenden Infektionsschutz gegen die dominierenden Omikron-Varianten dar. Ebenso erzeugen sie keine sterile Immunität. Das Virus wird auch von Geimpften weitergegeben – an diejenigen, denen Corona wirklich gefährlich werden kann.
Hier wird etwas als sichere Lösung verkauft, was so nicht gegeben ist. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es hier nicht nur um Alte geht. Es gibt Kinder und Jugendliche, die auf Pflege angewiesen sind. Auch ihnen bietet das neue Konzept kaum mehr Schutz. Davon betroffen sind etwa vier Millionen Menschen in Deutschland.
Was kritisieren Sie noch an der neuen Corona-Strategie der Regierung?
Die sogenannte Hotspot-Regelung etwa wird vor keinem Gericht standhalten. So viel ist sicher. Denn nirgendwo ist erklärt, welche Kriterien ein Hotspot erfüllen muss.
Abgesehen davon ist mehr als fraglich, ob die Ermittlung eines Hotspots überhaupt möglich ist. Schließlich werden immer weniger PCR-Tests durchgeführt und eine Vielzahl der erhältlichen Schnelltests sind qualitativ unzureichend.
Ebenso gibt es für die Krankenhäuser immer noch keine verlässliche und aktuelle Datenlage. Unbekannt bleibt, wie viele der Klinikbetten nicht belegt werden können, weil beispielsweise Mitarbeiter erkrankt sind. Aber genau das wird gebraucht, um den Hotspot zu begründen.
Was ist da in der Regierung passiert, dass dieses Konzept dabei rausgekommen ist?
SPD und Grüne haben sich auf einen Kompromiss mit der FDP eingelassen. Aber eine Pandemie ist nicht der richtige Zeitpunkt für faule Kompromisse. Die neue Strategie ist im Grunde ein Offenbarungseid der Regierung. Hier geht es nicht mehr um Wissenschaft, sondern nur um Ideologie. So lässt sich das Corona-Virus nicht stoppen.
Herr Brysch, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Eugen Brysch
- Eigene Recherche