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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kritik an DFB-Reform Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht
Die Reform im deutschen Jugendfußball erntet viel Kritik. Dabei ist die oft nicht durchdacht. Der DFB macht nämlich diesmal vieles richtig.
Der DFB macht wieder alles falsch. Da sind sich zumindest einige prominente Stimmen des deutschen Fußballs einig. Thomas Helmer und Dietmar Hamann zum Beispiel. Und jüngst auch Steffen Baumgart. Diesmal geht es aber nicht um eine umstrittene Kadernominierung, ein verkorkstes Länderspiel oder die Besetzung einer Führungsposition. Diesmal geht es um eine Reform im Kinder- und Jugendfußball.
Helmer nannte sie "grotesk", Hamann erkannte darin "wenig sinnvolle Schritte", Baumgart hielt von einigen Änderungen "gar nichts". Sie behaupten, den Kindern werde das "Leistungsprinzip austrainiert" oder in der Ausbildung nur noch der "weiche und seichte" Weg gegangen.
Dabei versteifen sich die Kritiker auf einen Punkt der Reform und zeigen, dass sie sich nur oberflächlich mit ihr befasst haben. Sie entlarven sich selbst. Denn die Reform, die ab der Saison 2024/25 gilt, fördert die Kinder und auch die Trainer. Und so viel der DFB im vergangenen Jahrzehnt in der Jugendarbeit auch falsch gemacht hat – hier macht er einiges richtig.
Das deutsche Nachwuchsproblem
Der Hintergrund der Reform ist klar: Der deutsche Fußball hat ein Nachwuchsproblem. Die U-Nationalmannschaften des DFB scheiden zu früh bei Europameisterschaften aus, wenn sie sich überhaupt qualifizieren. Zudem entwickelt das System zu wenig hochklassige Talente auf verschiedenen Positionen.
Auch die technische Qualität der Spieler lässt oft zu wünschen übrig. Und der aktuell größte deutsche Hoffnungsträger, Jamal Musiala, wurde größtenteils in England ausgebildet. Es musste sich etwas ändern, da waren sich alle einig.
Also schaute und hörte sich der DFB um. Bei Sportwissenschaftlern, anderen Experten und Nationen, die Deutschland in Sachen Jugendfußball in den Schatten stellen. Dabei wurden verschiedene Probleme festgestellt.
Zwei Beispiele:
Problem Nummer eins: Die kleinen Kinder spielen zu wenig Fußball und trainieren zu viel. Was das heißt? Es wird zu früh damit angefangen, alles auf den Gegner und das Ergebnis auszurichten. Statt den Spaß in den Vordergrund zu stellen und die Kinder kreativ alle Facetten des Spiels gleichzeitig ausleben zu lassen, indem sie einfach gegeneinander spielen, wird schon früh alles spezialisiert. Darunter leidet die ganzheitliche Ausbildung der Kinder.
Problem Nummer zwei: Im höheren Jugendbereich, U17 bis U19, stehen die Trainer unter einem hohen Ergebnisdruck. Denn im aktuellen System droht der Abstieg aus der Bundesliga in die Regionalliga. Gute Ergebnisse erhöhen zudem die Chance, irgendwann im Profibereich zu landen und dort Karriere zu machen. Also werden die Spieler eingesetzt, die zum jeweiligen Zeitpunkt am weitesten sind. Der "Relative Age Effect" kommt zum Tragen. Da der Nachwuchsfußball nach Jahrgängen eingeteilt ist, haben Spieler aus der ersten Jahreshälfte eine höhere Chance auf einen Kaderplatz, da sie im Schnitt physisch weiter entwickelt sind.
Im aktuellen U19-Kader des FC Bayern wurden 24 Spieler in der ersten Jahreshälfte geboren, 4 in der zweiten. Diesem "Relative Age Effect" fallen viele Talente zum Opfer, die aufgrund ihrer physischen Nachteile zu früh aussortiert werden.
Anton Stach (geboren im November) wurde beispielsweise in der Werder-Jugend aussortiert, weil er für "körperlich zu schwach" gehalten wurde. Über Umwege schaffte er es doch noch in den Profifußball und ist nun Nationalspieler.
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Was hat der DFB nun verändert?
Kinderbereich: Das Ligensystem von der G-Jugend (U7) bis zur E-Jugend (U11) wird abgeschafft und die Teams werden verkleinert. Es sollen viele kleine Turniere, sogenannte "Festivals", stattfinden, an denen die Kinder in kleinen Teams die Spielform "Funiño" gegeneinander spielen. In der G-Jugend bedeutete das beispielsweise ein Drei-gegen-Drei. Dazu haben beide Mannschaften zwei Tore zu verteidigen. Das ermöglicht mehr Ballkontakte für alle Kinder sowie mehr Erfolgserlebnisse durch die höhere Anzahl an Toren. Alle müssen verteidigen, alle müssen angreifen, eine ganzheitliche Ausbildung.
Und bei den "Festivals" dauern die Spiele nur kurz, bei den Jüngsten werden sieben Minuten pro Partie eingeplant. Der Sieger steigt auf, der Verlierer steigt ab. So wird auch hier kein "Leistungsprinzip austrainiert".
U17- bis U19-Bereich: Die Junioren-Bundesliga wird abgeschafft und durch die Nachwuchsliga ersetzt. Die 56 Fußballvereine mit Nachwuchsleistungszentren sind automatisch dabei und können nicht absteigen. Acht Amateurvereine füllen das Feld auf. Die 64 Vereine werden nun auf acht regionale Staffeln mit acht Teams verteilt.
Die zwei besten Teams pro Staffel qualifizieren sich für die K.-o.-Phase. Die begann bisher erst ab dem Halbfinale mit den drei Meistern der drei Bundesligen plus dem Zweiten der Bundesliga West. Alle anderen gingen leer aus. Im neuen System gibt es noch mehr Teams, die ein Erfolgserlebnis feiern können, ohne dabei um den Klassenerhalt bangen zu müssen. Das nimmt den Druck von den Trainern und gibt ihnen die Möglichkeit, anders mit Ergebnissen umzugehen und die langfristige Entwicklung der Spieler in den Vordergrund zu stellen.
Die Kritiker sollten Jamal Musiala zuhören
Wie wir sehen, gibt es also nicht weniger Wettkampf für die Talente, sondern es ist ein anderer. Nur ist der Druck auf die Trainer geringer, was ihnen mehr Chancen und Freiheiten gibt, die individuellen Spieler zu verbessern und nicht nur den Teamerfolg im Blick zu haben.
"Für mich gilt: ohne Ergebnis kein Erlebnis. Deswegen kann ich den Schritt, den der DFB gemacht hat, überhaupt nicht nachvollziehen." Wenn Dietmar Hamann das sagt, dann zeigt das nur, dass er sich nicht die Mühe gemacht hat, sich wirklich mit der Reform auseinanderzusetzen. Es gibt weiterhin Ergebnisse und damit auch Erlebnisse.
Und wer dann immer noch kritisch auf die Reform schaut und sagt, das sei der "weiche und seichte" Weg, der kann mal einen Blick auf die Nachwuchs-Elite wagen. Zum Beispiel auf den amtierenden U21-Europameister England. Denn der bildete den bereits erwähnten Jamal Musiala größtenteils aus. Von seinem 7. bis zu seinem 16. Lebensjahr lebte und spielte er in auf der Insel, ehe er zum FC Bayern wechselte und auch das deutsche System kennenlernte. Der BBC sagte er: "In Deutschland gibt es schon für unter Zehnjährige ein Ligensystem, wohingegen das in England bis zur U18 nicht üblich ist. Da hat man viel weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, man kann viel freier spielen."
- Teßmann, Leo-Jonathan & Sen, Gora: "Denkfabrik Nachwuchsfußball: Wie können wir es besser machen?", Schau ma moi Verlag, 2022
- Ankersen, Rasmus: "Der Goldminen-Effekt", Plassen Verlag, 2016
- dfb.de: "FAQ: WAS SICH IN DER A- UND B-JUNIOREN-BUNDESLIGA VERÄNDERT"
- dfb.de: "FAQ ZU DEN NEUEN SPIELFORMEN"
- training.advance.football: "Funino"
- zeit.de: "Der Straßenfußball ist wieder da"
- fcbayern.com: U19
- sport1.de: "Attacke von Helmer: 'Grotesk'"
- express.de: "Baumgart kritisiert: 'Lernen, mit Niederlagen umzugehen'"
- eurosport.de: "DFB-AKTEUR JAMAL MUSIALA MUSIALA ÜBER AUSBILDUNG IN ENGLAND: 'WENIGER DRUCK UND MEHR ZEIT'"