Asylpolitik Glatteis oder Realpolitik? Kretschmann rät Merz zu Konsens
Unionskanzlerkandidat Merz will etwas ändern bei der Migration - und es ist ihm egal, ob die AfD zustimmt oder nicht. Als ein auf Konsens bauender Politiker warnt ihn Winfried Kretschmann deutlich.
Mit seinen Plänen für eine schärfere Asylpolitik auf eigene Faust geht Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz aus Sicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) ein enormes Risiko ein. Der CDU-Parteichef gefährdet nach Einschätzung des Grünen-Politikers nicht nur die Zusammenarbeit mit künftigen möglichen Koalitionspartnern, sondern er fordert auch den europäischen Zusammenhalt heraus.
"Mit seiner Agenda jetzt begibt er sich einfach auf Glatteis", sagte Kretschmann in Stuttgart. "Denn wenn ich etwas billigend in Kauf nehme, kann das zu Kollateralschäden führen."
CDU und FDP sehen das anders
Das sieht der Koalitionspartner der Grünen in Baden-Württemberg naturgemäß ganz anders: "Während Friedrich Merz klare Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit gibt, verweigern sich die Grünen konsequent jeder Lösung", sagte die Generalsekretärin der Landes-CDU, Nina Warken, der Deutschen Presse-Agentur. Politik müsse liefern. "Da bringt es nichts, wenn die Grünen uns vom hohen moralischen Ross belehren."
Rückendeckung kommt von der FDP: "Die sich andeutende Verweigerung von SPD und Grünen, an sinnvollen Maßnahmen hin zu einer neuen Realpolitik in der Migrationsfrage mitzuwirken, stellt den eigentlichen Gang aufs Glatteis dar", sagte der baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.
Merz will Pläne unabhängig von Unterstützern durchbringen
Merz hatte nach der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg weitreichende Verschärfungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts verlangt und angekündigt, in dieser Woche Anträge zur Migration in den Bundestag einzubringen. "Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt", hatte der Unionsfraktionschef betont. SPD und Grüne zweifeln nun an der Verlässlichkeit von Merz, die sogenannte Brandmauer zur AfD aufrechtzuerhalten.
Kretschmann: Geradeausmarschiererei ist fataler Irrtum
Kretschmann kritisierte auch die mangelnde Diskussionsbereitschaft der Union und ihres Parteichefs im Vorfeld des Antrags. "Friss oder stirb kann in einer parlamentarischen Demokratie nicht wirken", sagte Kretschmann.
Gute Kompromisse setzten immer auch eine Kompromissfähigkeit der Parteien voraus. "Wenn nun aber eine Seite den Kurs diktieren will, und das tut meiner Ansicht nach Friedrich Merz gerade, dann kann das nicht funktionieren", sagte Kretschmann. "Das wird nicht so gehen, dass eine Seite sich zu 100 Prozent durchsetzen wird."
Union will in dieser Woche im Bundestag abstimmen lassen
CDU und CSU wollen in dieser Woche im Bundestag über Anträge für Verschärfungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts abstimmen lassen – egal, ob die AfD zustimmt oder nicht. Die Forderungen sehen unter anderem dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern, die Inhaftierung von Ausreisepflichtigen sowie ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente vor – auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern.
"Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen", hatte Merz dazu erklärt. "Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus."
Kretschmann: CDU muss an potenzielle Koalitionspartner denken
Merz dürfe potenzielle Koalitionspartner für die Zeit nach der anstehenden Bundestagswahl nicht aus dem Blick verlieren, riet Kretschmann. "Da kann ich doch nicht sagen "Jetzt gehe ich geradeaus und entweder, die machen mein Programm eins zu eins und geben sich selber auf oder nicht"", sagte der Ministerpräsident. "So kriegt man doch keine Koalition zustande."
Bei Koalitionsverhandlungen müsse man immer auch zur Seite gucken, zumindest auf die des möglichen Koalitionspartners. "Alles andere ist doch einfach völlig unmöglich", sagte Kretschmann und ergänzte: "Politik ist keine Geradeausmarschiererei. Das ist ein fataler Irrtum."
Kritik könnte auch von europäischen Partnern kommen
Das gilt nach Einschätzung des Grünen auch auf europäischer Ebene. "Die Staaten in der EU haben unterschiedliche Auffassungen zu der Frage und die muss man zusammenbinden", sagte er. Es gebe aber Einwände zu den Merz-Plänen etwa aus Österreich. "Da kann man sich mal vorstellen, was dann Italien, Griechenland und Spanien dazu sagen werden, wenn jetzt der größte Staat in Europa das so macht, wie er es vorschlägt. Es geht nämlich auf deren Kosten", sagte Kretschmann.
Der Flüchtlingsrat sprach von einer Art Überbietungswettkampf in der Debatte um eine schärfere Migrationspolitik. "Ins Hintertreffen geraten dabei Fragen der Umsetzbarkeit, rechtsstaatliche Grundsätze und die ganz essenzielle Frage, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben möchten", sagte die Co-Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates, Anja Bartel. Der Plan der CDU treibe den Wettbewerb auf die Spitze.
- Nachrichtenagentur dpa