Terrorprozess Mutmaßlicher Reichsbürger weint und zeigt sich reuig
Ein weiterer Angeklagter im Stuttgarter Reichsbürgerprozess bricht das Schweigen. Seine Geschichte zeigt: Die Corona-Zeit war ein Brandbeschleuniger der Radikalisierung.
Er war in Pandemiezeiten ein bekannter "Querdenker" in seiner Stadt, glaubte an einen globalen Blackout und an eine internationale Allianz, die die Macht in Deutschland übernehmen wird: Einer der Angeklagten der mutmaßlichen "Reichsbürger"-Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat vor dem Oberlandesgericht Stuttgart seine Sicht der Dinge geschildert. Teils unter Tränen berichtete der 58-jährige Mann aus seinem Leben, von den Konflikten mit seinen Ex-Frauen um die Kinder, geschäftlichen Problemen - und einer Radikalisierung in den Corona-Jahren.
Der Angeklagte soll zusammen mit anderen Männern geplant haben, gewaltsam die Bundesregierung zu stürzen. Er äußerte sich am Montag zu seiner Person, nur am Rande zu den konkreten Vorwürfen. Der 58-Jährige zeigte sich reuig mit Blick auf seine Radikalisierung und gab an, nichts mehr mit der "Reichsbürger"-Ideologie zu tun zu haben.
Er sei überfordert gewesen mit Scheidungen, Hausbau und Geschäft, dann kam die Corona-Zeit. "Ich habe an mir selber vorbeigelebt", sagte er. "Heute würde mir das nicht mehr passieren." Er habe vorher ein Leben lang "funktioniert".
Angeklagter soll Mitglieder rekrutiert haben
Der Mann soll eine zentrale Rolle in der Querdenker-Szene in seinem Heimatort gehabt haben. Auch unter den "Reichsbürgern" um Prinz Reuß kam ihm laut Anklage eine wichtige Rolle zu. In der Gruppe soll der 58-Jährige Leiter der in Baden-Württemberg angesiedelten "Heimatschutzkompanie Nr. 221" gewesen sein. Die Einheit soll für die Gebiete Freudenstadt und Tübingen verantwortlich gewesen sein.
Laut Generalbundesanwalt war der Angeklagte dafür zuständig, die Gruppe personell und materiell aufstellen. Er habe Mitglieder rekrutiert sowie an Zusammenkünften teilgenommen und dafür sein Gartengrundstück zur Verfügung gestellt.
Machtübernahme mit Waffengewalt geplant
Neben dem 58-Jährigen sitzen sieben weitere Männer in Stuttgart auf der Anklagebank. In dem Mammutverfahren geht es um den militärischen Teil der mutmaßlichen Terrorgruppe, der die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen sollte.
Dazu sei mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von 286 militärisch organisierten Verbänden, sogenannten Heimatschutzkompanien, begonnen worden. Die Kompanien hätten laut Anklage nach einer potenziellen Machtübernahme der Gruppe politische "Säuberungsaktionen" in ihrem Zuständigkeitsbereich durchführen sollen.
Konflikte mit Ex-Frauen
Der 58-Jährige berichtete von einer stellenweise schwierigen Kindheit. Besonders emotional wurde der Mann, als es um den Streit um seine eigenen Kinder mit seinen beiden Ex-Frauen ging. Mit zitternden Händen las er von seinem handschriftlichen Manuskript ab, immer wieder kam er ins Stocken. In beiden Ehen habe es immer wieder gekriselt, schließlich seien die Beziehungen in die Brüche gegangen. Als Vater habe er damals keine Stimme gehabt, sagte er.
Zudem habe er sich selbst mit seinem Dachdecker-Geschäft, einer Kneipenbeteiligung und einem Hausbau zu viel aufgebürdet. Nach rund zwei Stunden Verhandlung bat er darum, die Aussage zu unterbrechen. "Ich habe solche Schmerzen im Kopf", sagte er. Der Richter zog deshalb die Mittagspause vor.
Über die "Querdenker"- in die "Reichsbürger"-Szene
Bereits zu Beginn der Corona-Zeit zweifelte er an der Gefährlichkeit des Virus. Wegen seiner Impfskepsis habe sein Sohn sich von ihm distanziert. Er habe Autokorsos und Spaziergänge organisiert, um die Leute zum Nachdenken zu bringen, sagte er. "Während der Demos lernte ich Leute kennen, die sagten, dass Deutschland kein Staat ist und immer noch besetzt ist", sagte er. Er begann, Internetvideos zu sehen, die die Thesen der "Reichsbürger" unterstützen, schrieb offizielle Stellen an - mit der Frage, ob Deutschland ein souveräner Staat sei. Schließlich erklärte er seinen Austritt aus dem "Wirtschaftsgebiet Deutschland".
Zeitgleich häufte der 58-Jährige geschäftlich Schulden in Höhe von mehreren Zehntausend Euro an, obwohl er sie nach eigenen Aussagen hätte bezahlen können - weil er ja mit dem Zusammenbruch des Systems rechnete. "Ich wusste es nicht besser zu der Zeit, konnte es nicht besser wissen", sagte er.
Verhandlungen in mehreren Städten
Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß wurde nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia Ende 2022 erstmals öffentlich bekannt. Die insgesamt 26 Beschuldigten sollen laut Anklage bei ihren Umsturzplänen bewusst Tote in Kauf genommen haben. Sie stehen inzwischen an drei verschiedenen Orten vor Gericht: München, Frankfurt am Main und Stuttgart. Bis zum Urteil gilt für die Angeklagten die Unschuldsvermutung.
"Reichsbürger" erkennen die Bundesrepublik und ihre Gesetze nicht an. Die Szene ist sehr heterogen, ein Teil wird dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet.
Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt - dann will sich der Angeklagte zu den konkreten Vorwürfen äußern.
- Nachrichtenagentur dpa