Kein Inzest in der Anklageschrift 21-Jähriger soll Schwester über Monate vergewaltigt haben
In der Gesellschaft ist Inzest immer noch ein Tabuthema, vor Gericht nicht: In Konstanz muss sich ein Bruder verantworten, der seine jüngere Schwester vergewaltigt haben soll.
In Deutschland ist Inzest gesetzlich verboten, nicht immer steht Inzest aber auch auf der Anklageschrift, wie jetzt ein Fall aus Konstanz zeigt: Hier sitzt am Donnerstag ein 21-Jähriger auf der Anklagebank, weil er seine Schwester über Monate missbraucht haben soll. Die Vorwürfe: Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung.
- So lief der Prozessauftakt in Konstanz: 18-Jährige Schwester vergewaltigt? – Bruder schweigt
Der Bruder soll die damals 18-Jährige nach Angaben der Staatsanwaltschaft in sein Konstanzer WG-Zimmer eingesperrt haben. Die Taten spielten sich demnach zwischen Januar und Mai 2022 ab. Obwohl Inzest in Deutschland verboten ist, gehört er in diesem Fall nicht zu den Anklagepunkten.
Der Grund: Das Strafmaß beim sogenannten Beischlaf zwischen Verwandten liegt laut Justizministerium bei einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren, für Vergewaltigung muss man deutlich länger in Haft. Geregelt ist das Inzestverbot in Paragraf 173 des Strafgesetzbuches, 2008 wurde es vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt – Umstritten ist es dennoch.
Liebesbeziehungen in der Familie unter Umständen erlaubt
Als Inzest bezeichnet man den Geschlechtsverkehr unter Mitgliedern der Kernfamilie. Also unter Eltern und Kindern, Großeltern und Kindern oder unter Geschwistern. Das Inzestverbot reicht laut Bundesverfassungsgericht bis ins Altertum zurück. Für das Verbot sprechen Befürworten zufolge vor allem zwei Gründe: die Gefahr von Erbschäden bei Kindern, die aus einem Inzest entstehen können, und der Schutz der Familie, die ohne Ordnungsgefüge ins Wanken geraten würde.
Doch es gibt Ausnahmen: Anal- oder Oralverkehr sind in Deutschland nicht strafbar. Damit sind solche Liebesbeziehungen unter engen Familienmitgliedern erlaubt – vorausgesetzt, dass alle daran Beteiligten erwachsen sind und aus freien Stücken handeln.
Im Jahr 2014 hatte sich der Deutsche Ethikrat dafür ausgesprochen, auch den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter erwachsenen Geschwistern zu legalisieren. Das Strafrecht sei nicht das geeignete Mittel, um "ein gesellschaftliches Tabu zu bewahren", hatten die Ratsmitglieder damals argumentiert und für die Streichung des Paragrafen 173 plädiert.
34 vergewaltigte Schwestern allein im Jahr 2021
Weder an der Gesetzeslage noch an der Position des Ethikrats hat sich einem Sprecher zufolge seitdem etwas geändert. Doch in der Justiz wird weiter debattiert. Es gibt Stimmen, die Sex zwischen engen Blutsverwandten zwar als nicht wünschenswert betrachten, ihn aber dennoch nicht unter Strafe stellen würden.
Wenn der Sex nicht einvernehmlich ist – so wie im Konstanzer Fall –, landet er auch ohne Inzest-Anzeige vor Gericht. Ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass es sich bei dem Vergehen nicht um einen Einzelfall handelt: Seit 2018 zählte das Landeskriminalamt zwölf weibliche Opfer einer Vergewaltigung durch den Bruder. Bundesweit waren es allein im Jahr 2021 34 Fälle.
Opfervertreterin fordert Strafverschärfung bei Inzest
Für die Opfer von Inzest setzt sich der in Stuttgart gegründete Verein Melina seit drei Jahrzehnten ein. "Regelmäßig melden sich Betroffene bei uns", sagt Gründerin Ulrike Dierkes, die für ihr Engagement für Inzestopfer mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Ohne den Paragrafen 173 hätten Opfer gar keine juristische Handhabe, sagt die 65-Jährige, die sich für seinen Erhalt einsetzte.
Der inzestuöse Aspekt bei Sexualstraftaten muss ihrer Ansicht nach strafverschärfend wirken. Vor allem auch, weil die Opfer oft den Halt der Familie verlieren. "Innerhalb der Familie wirkt eine ganz andere Dynamik bei solchen Verbrechen", so die Expertin. Inzest sei immer noch sehr tabuisiert.
- Nachrichtenagentur dpa